Storm / Alex Cross Bd.16
Thriller
Mitten in Washington werden zwei prominente Politiker von einem Sniper erschossen. Alex Cross setzt sich auf die Spur des Heckenschützen. Der Killer mordet weiter und hinterlässt Alex Cross blutige Botschaften, bis der merkt, dass der Täter...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Storm / Alex Cross Bd.16 “
Mitten in Washington werden zwei prominente Politiker von einem Sniper erschossen. Alex Cross setzt sich auf die Spur des Heckenschützen. Der Killer mordet weiter und hinterlässt Alex Cross blutige Botschaften, bis der merkt, dass der Täter einen ganz persönlichen Rachefeldzug führt gegen ihn.
Klappentext zu „Storm / Alex Cross Bd.16 “
Der neue Fall für den genialen Profiler Alex Cross!Als in Washington, D.C., zwei hoch angesehene - und ebenso korrupte - öffentliche Personen ermordet werden, muss Detective Alex Cross seine Hochzeitsplanung auf Eis legen, um die Ermittlungen aufzunehmen. Doch seine Nachforschungen verlaufen im Sand. Als weitere hochkarätige Opfer sterben, feiert die Bevölkerung den Schützen fast wie einen Helden. In diesem Tumult taucht Cross' ärgster Feind auf, der sich geschworen hat, die Stadt erst wieder zu verlassen, wenn sein Gegenspieler für immer schweigt ...
Lese-Probe zu „Storm / Alex Cross Bd.16 “
Storm von James PattersonProlog
WER ZUERST KOMMT, MAHLT ZUERST
1
... mehr
Monate waren vergangen, seitdem Kyle Craig einen Menschen getötet hatte. Früher war er der
Typ gewesen, der immer alles
sofort haben musste. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Wenn die Jahre in der Hölle der Einsamkeit im Hochsicherheitsgefängnis von Florence, Colorado, für etwas gut gewesen waren, dann dafür, dass sie ihn das Warten gelehrt hatten.
Geduldig saß er im Flur der Wohnung seines Opfers, die Waffe im Schoß, den Blick hinaus auf die Lichter des Hafens von Miami gerichtet, und wartete. Er hatte es nicht besonders eilig, genoss die Aussicht, fing womöglich sogar endlich an, das Leben zu genießen. Auf jeden Fall machte er eine ausgesprochen lässige Figur - ausgewaschene Jeans, Sandalen, ein T-Shirt mit der Aufschrift BETRACHTEN SIE DAS ALS LETZTE WARNUNG.
Um 2.12 Uhr wurde ein Schlüssel ins Türschloss gesteckt. Kyle stand sofort auf und drückte sich mit dem Rücken an die Wand, stand stumm und regungslos da wie eine Statue.
Der Mann, um den es ging, Max Siegel, betrat pfeifend die Wohnung. Kyle erkannte sogar die Melodie, ein altes Liedchen aus seiner Kindheit ... aus Peter und der Wolf. Die Stelle mit den Streichern - Peters Jagdmotiv. Pikant, pikant.
Er wartete, bis Mr. Siegel die Tür zugezogen und die ersten Schritte in die immer noch dunkle Wohnung gemacht hatte. Dann richtete Kyle den roten Laserpunkt auf den Rücken des Mannes und drückte ab. »Guten Abend, Mr. Siegel «, sagte er. »Schön, Sie kennenzulernen.«
Die Salzlösung, die in gleichmäßigem Strom in Siegels Körper eindrang, transportierte eine Spannung von fünfzigtausend Volt. Siegel stöhnte auf und biss dann die Zähne zusammen. Erst verkrampften sich seine Schultern, dann wurde sein gesamter Körper steif, und er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Kyle zögerte keine Sekunde. Rasch wickelte er Siegel eine Nylonschnur um den Hals und schleifte ihn immer im Kreis über den Boden, bis die Salzlösung aufgewischt war. Anschließend schleppte er ihn hinter sich her bis ins Badezimmer am anderen Ende der Wohnung. Siegel war zu schwach, um Widerstand zu leisten. Alle Kraft, die ihm geblieben war, brauchte er für die Schnur. Schließlich wollte er nicht erdrosselt werden.
»Wehren Sie sich nicht«, sagte Kyle irgendwann. »Es hat überhaupt keinen Zweck.«
Im Badezimmer hob Kyle ihn in die übergroße Wanne und knotete beide Enden der Schnur an den verchromten Armaturen fest. Das war zwar nicht unbedingt nötig, aber so behielt Siegel den Kopf oben, und Kyle konnte ihm ins Gesicht sehen.
»So ein Ding haben Sie wahrscheinlich noch nie gesehen, stimmt's?«, sagte er und deutete auf die merkwürdige Waffe, die er mitgebracht hatte. »Ich weiß, dass Sie schon eine ganze Weile untergetaucht sind, aber eines können Sie mir glauben: Die Dinger, die werden noch von sich reden machen.«
Das Gerät sah aus wie eine riesige Wasserpistole, und im Grunde genommen war es das ja auch. Normale Elektroschocker hielten dreißig Sekunden lang durch, maximal.
Aber dieses Schätzchen ließ einfach nicht nach, dank des Zehn-Liter-Tankrucksacks, den er sich auf den Rücken geschnallt hatte.
»Was ... was wollen Sie?«, presste Siegel schließlich als Reaktion auf diesen ganzen Wahnsinn hervor.
Kyle holte eine kleine Digitalkamera aus der Tasche und fing an, Fotos zu machen. Frontalansicht, linkes Profil, rechtes Profil. »Ich weiß, wer Sie sind, Agent Siegel. Nehmen wir das einfach als Ausgangspunkt, okay?«
Verwirrung zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes. Dann Angst. »O Gott, das muss alles ein furchtbarer Irrtum sein. Ich heiße Ivan Schimmel!«
»Nein«, sagte Kyle und fotografierte munter drauf los - Augenbrauen, Nase, Kinn. »Sie sind Max Siegel, und Sie arbeiten für das FBI. Seit sechsundzwanzig Monaten sind Sie im verdeckten Einsatz. Sie haben sich in das Buenez-Kartell eingeschlichen und sich langsam emporgearbeitet, bis man Ihnen die Abwicklung von Lieferungen anvertraut hat.
Und jetzt, während alle Welt nach Kolumbien schaut, schmuggeln Sie Heroin von Phuket und Bangkok nach Miami. «
Er ließ die Kamera sinken und blickte Siegel in die Augen. »Die Relativierung jeglicher Moral will ich in diesem Zusammenhang einmal außer Acht lassen. Das große Ziel ist ja letztendlich die spektakuläre Verhaftung am Schluss. Hab ich nicht recht, Agent Siegel?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden!«, schrie der Angesprochene. »Hier, bitte! Sehen Sie in meiner Brieftasche nach!« Er hatte angefangen, sich zu wehren, aber ein weiterer Hochspannungsstoß machte dem ein schnelles Ende. Der Strom legte vor allem die motorischen und die Sinnesnerven lahm. Da spielte es auch keine Rolle, wie viel Schmerz Siegel ertragen konnte. Und die Munition, wenn man es so nennen wollte, lief durch den Abfluss direkt in die Biscayne Bay.
»Ich denke, ich kann darüber hinwegsehen, dass Sie mich nicht erkannt haben«, fuhr Kyle fort. »Haben Sie den Namen ›Kyle Craig‹ vielleicht schon einmal gehört? Oder auch das Superhirn? So hat man mich früher genannt, im großen Puzzle-Palast in Washington. Um genau zu sein, da habe ich sogar einmal gearbeitet. Vor langer Zeit.«
Eine Erkenntnis blitzte in Siegels Blick auf und verschwand sofort wieder - nicht, dass Kyle irgendeine Bestätigung gebraucht hätte. Seine Fähigkeiten als Kundschafter waren nach wie vor ohne Fehl und Tadel. Aber dieser Max Siegel war auch ein Profi, genau wie er. Er würde sein Spiel jetzt nicht aufgeben, gerade jetzt nicht. »Bitte«, blubberte er, nachdem er die Stimme wiedergefunden hatte. »Was soll das denn? Wer sind Sie? Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
»Einfach alles, Max. Jede noch so kleine Einzelheit.«
Kyle machte noch ein halbes Dutzend Fotos und steckte die Kamera dann wieder ein. »Sie sind, ehrlich gesagt, ein Opfer Ihrer eigenen, ausgezeichneten Arbeit geworden, falls Ihnen das ein Trost sein kann. Niemand weiß, dass Sie hier unten sind, nicht einmal die FBI-Niederlassung vor Ort. Darum habe ich Sie ausgesucht, unter all den Agenten in den gesamten Vereinigten Staaten. Sie, Max. Können Sie sich vorstellen, warum?«
Während dieser Sätze hatte seine Stimme eine andere Färbung bekommen. Die Aussprache klang jetzt nasaler und enthielt die gleiche Andeutung eines Brooklyn-Akzents wie die des echten Max Siegel. »Das schaffen Sie niemals! Sie sind doch wahnsinnig!«, brüllte Siegel ihn an. »Sie sind total durchgeknallt!«
»In gewisser Hinsicht mag das sogar zutreffen«, erwiderte Kyle. »Aber darüber hinaus bin ich auch der brillanteste Hurensohn, dessen Bekanntschaft Sie jemals gemacht haben dürften.« Dann drückte er noch ein letztes Mal auf den Abzug und nahm den Finger einfach nicht mehr weg.
Siegel wälzte sich in stummer Qual in der Badewanne hin und her. Irgendwann erstickte er schließlich an seiner eigenen Zunge. Kyle sah zu, beobachtete aufmerksam jedes Detail bis ganz zum Schluss, betrachtete sein Studienobjekt, bis es nichts mehr zu lernen gab.
»Hoffen wir mal, dass es funktioniert«, sagte er dann. »Wäre doch schade, wenn Sie ganz umsonst gestorben wären, Mr. Siegel.«
2
Zweiundzwanzig Tage später bezahlte ein Mann, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit
Max Siegel besaß, seine Rech
nung im Hotel Meliá Habana, gelegen im vornehmen Stadtteil Miramar von Havanna auf Kuba. Hier gab es genauso viele Medizintouristen wie Taschendiebe, daher zog der breitschultrige Mann im Leinenanzug auf dem Weg durch das Foyer keinerlei neugierige Blicke auf sich, trotz seiner blau unterlaufenen Augen und den Verbänden über Nase und Ohren.
Er unterzeichnete die Rechnung mit einer perfekt gefälschten Unterschrift und veranlasste so, dass Max Siegels nagelneue American-Express-Karte mit dem Betrag belastet wurde. Die Operationen waren bereits bezahlt worden, in bar.
Vom Hotel nahm er sich ein Taxi quer durch die Stadt in Dr. Cruz' Praxis, die hübsch versteckt in einer der endlosen, neoklassizistischen Arkaden der Stadt lag. Dort befand sich eine komplett ausgestattete, moderne Klinik, die jeden teuren Schönheitschirurgen in Miami oder Palm Beach stolz gemacht hätte.
»Ich muss schon sagen, Señor Siegel, ich bin sehr zufrieden. « Die Stimme des Doktors klang sanft, während er die letzten Verbände abnahm. »Das ist eine der besten Arbeiten, die ich jemals abgeliefert habe, wenn ich das sagen darf.« Er wirkte sehr gewissenhaft, aber gleichzeitig auch knapp und effizient - professionell eben. Kein Mensch konnte ahnen, dass er ethische und moralische Grenzen genauso wenig als Hindernis betrachtete wie die Haut und die Knochen seiner Patienten.
Dr. Cruz hatte in kurzen Abständen mehrere Operationen durchgeführt. Die ganze Prozedur hätte anderswo vermutlich Monate oder gar Jahre in Anspruch genommen. Blepharoplastiken zur Straffung der Augenlider, eine Nasenkorrektur genau nach Vorlage, Haut- und Gewebestraffungen rund um das Nasenbein, Implantate in Wangenknochen und am Kinn, eine zusätzliche Vergrößerung des Kinns durch eine hufeisenförmige Knochentransplantation, kleine Silikonkissen zur Betonung der Augenbrauen und, zum Abschluss, ein hübsches kleines Grübchen im Kinn, genau wie bei Max Siegel.
Auf Bitten des Patienten waren keinerlei digitale Aufnahmen gemacht worden, weder vor noch nach dem Eingriff. Gegen ein angemessenes Entgelt hatte Dr. Cruz mehr als bereitwillig seiner Bitte entsprochen, sich ausschließlich an einigen stark vergrößerten Fotografien zu orientieren, keine weiteren Fragen zu stellen, kein Interesse an biophysischen Einzelheiten zu zeigen.
Jetzt nahm er den großen Handspiegel und hob ihn hoch, damit Kyle sich darin betrachten konnte. Der Effekt war umwerfend. Vor allem die Implantate hatten ein wahres Wunder der Verwandlung vollbracht.
Das war Max - nicht Kyle -, der ihn da aus dem Spiegel heraus anlächelte. Er spürte ein leichtes Stechen in den Mundwinkeln, die sich irgendwie anders bewegten als zuvor. Um ehrlich zu sein, er erkannte sich überhaupt nicht wieder. Es war frappierend. Er hatte sich schon in der Vergangenheit immer wieder verkleidet, war einmal mithilfe außerordentlich kostspieliger Gesichtsprothesen aus dem Gefängnis entkommen. Aber im Vergleich zu dem hier war alles andere Kleinkram gewesen.
»Wie lange wird man die blauen Flecken noch sehen können? «, wollte er wissen. »Und die Schwellungen rund um die Augen?«
Cruz reichte ihm eine Mappe, in der alle Maßnahmen für die Zeit der Rekonvaleszenz aufgeführt waren. »Wenn Sie sich die nötige Ruhe gönnen, dann müssten Sie in sieben bis zehn Tagen wieder völlig normal aussehen.«
Die übrigen notwendigen Veränderungen konnte er alleine bewerkstelligen - Haare färben und militärisch kurz schneiden, dazu ein paar einfache dunkle Kontaktlinsen. Wenn die ganze Sache überhaupt einen Haken hatte, dann den, dass Kyle Craig so viel besser ausgesehen hatte als Max Siegel.
Aber scheiß drauf. Er musste das große Ganze im Auge behalten. Wenn er wollte, dann wurde er beim nächsten Mal eben Brad Pitt.
In Hochstimmung verließ er die Klinik und nahm sich ein Taxi zum Internationalen Flughafen José Martí. Dort bestieg er ein Flugzeug nach Miami und flog noch am selben Nachmittag weiter nach Washington, D. C. Zum krönenden Höhepunkt.
Seine Gedanken kreisten mittlerweile fast nur noch um ein einziges Bild: das Zusammentreffen mit seinem alten Freund und gelegentlichen Partner Alex Cross. Hatte Alex womöglich vergessen, welches Versprechen Kyle ihm im Lauf der Jahre immer wieder gegeben hatte? Das erschien ihm fast unmöglich. Aber war Cross in der Zwischenzeit vielleicht ein bisschen selbstzufrieden geworden? Schon eher. So oder so, der »große« Alex Cross würde sterben, und zwar qualvoll. Er würde Schmerzen spüren, aber darüber hinaus noch etwas anderes: tiefes Bedauern. Ohne Zweifel ein Finale, auf das sich zu warten lohnte.
Und in der Zwischenzeit würde Kyle sich ein bisschen Vergnügen gönnen. Schließlich wusste er als der neue, verbesserte Max Siegel besser als jeder andere, dass es mehr als nur einen Weg gab, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen.
Erstes Buch
SCHÜTZE BEREIT
Schon wieder war ein Gullydeckel in Georgetown aufgrund einer unterirdischen Explosion
fast fünfzehn Meter hoch in die
Luft geschleudert worden. Da war eine seltsame, kleine Epidemie im Gang, während die überalterte Infrastruktur der Stadt langsam, aber sicher die kritische Masse erreichte ... oder etwas in der Art.
Mit der Zeit waren die unterirdischen Stromleitungen mürbe geworden und hatten angefangen zu schmoren, während gleichzeitig entflammbares Gas in die Hohlräume unter den Straßen eingedrungen war. Irgendwann - und das geschah immer häufiger in diesen Tagen - entstand dann zwischen den entblößten Stromkabeln ein Lichtbogen, der einen Feuerball durch die Kanalisation trieb und die nächstgelegene gusseiserne Hundertfünfzigkiloscheibe in den Himmel jagte.
Genau solche Ereignisse, durchgeknallt und irgendwie auch beängstigend, waren der Stoff, für den Denny und Mitch lebten. Jeden Nachmittag schnappten sie sich ihre Zeitungen und schlurften rüber in die Bibliothek, um auf der Webseite des District Department of Transportation - DDOT - nachzusehen, wo der Berufsverkehr gerade am dichtesten war. Verstopfte Straßen, das war ihr Lebenselixier.
Selbst an einem normalen Tag machte die Key Bridge ihrem Spitznamen »The Car Strangled Spanner« alle Ehre, aber heute glich die auf die Brücke führende M-Street einer Mischung aus Parkplatz und Zirkus. Denny arbeitete sich auf dem Mittelstreifen entlang, und Mitch nahm die Außen- bahn.
»True Press, nur ein Dollar. Unterstützt die Obdachlosen. « »Jesus liebt dich. Hilfst du einem Obdachlosen?«
Die beiden waren ein seltsames Paar - Denny, ein weit über eins achtzig großer Weißer mit schlechten Zähnen und einem Stoppelbart, der nicht über sein fliehendes Kinn hinwegtäuschen konnte, und dazu Mitch mit seinem jungenhaften, schwarzen Gesicht, dem kräftigen, aber nicht einmal einen Meter siebzig großen Körper und den ebenfalls ziemlich kleinen Rastalöckchen auf dem Kopf. »Diese Geschichte hier, das ist doch wirklich die perfekte Metapher, findest du nicht?«, sagte Denny gerade. Sie sprachen über die Wagendächer hinweg miteinander, beziehungsweise ... Denny sprach, während Mitch der Kundschaft rechtschaffenes Bemühen vorgaukelte.
»Unter der Erde, da wo niemand hinsieht, weil's da sowieso bloß Ratten und Scheiße gibt, und wen interessiert das schon, da baut sich Druck auf, stimmt's? Und dann, eines Tages ...« Denny blies die Backen auf und machte ein Geräusch wie bei einer Atombombenexplosion. »Und jetzt muss man hinschauen, weil jetzt sind die Ratten und die Scheiße und das alles einfach überall, und alle wollen wissen, wieso eigentlich niemand was dagegen unternommen hat. Ich meine, wenn das nicht eins zu eins eine Beschreibung von Washington ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Eins zu eins, Bruder. Eins zu eins, nich zwei zu eins«, erwiderte Mitch und lachte über seinen eigenen blöden Witz. Auf seinem verblichenen T-Shirt stand IRAK: WENN DU NICHT DA WARST, DANN HALT DIE KLAPPE! Er trug die gleiche sackartige Tarnmusterhose wie Denny, bloß dass seine auf Höhe der Waden abgeschnitten war.
Denny hatte sein T-Shirt bis über die Schultern hochgezogen und stellte seinen halbwegs anständigen Waschbrettbauch zur Schau. Es konnte nie schaden, zu zeigen, was man hatte, und sein Gesicht war nicht gerade seine stärkste Waffe. »Das ist der American Way of Life«, machte er weiter, so laut, dass alle, die das Fenster offen hatten, es hören konnten. »Immer weiter das machen, was man immer gemacht hat, damit man immer weiter das kriegt, was man immer gekriegt hat. Hab ich recht?«, wandte er sich an eine attraktive Geschäftsfrau mit Anzug in einem BMW. Sie lächelte ihn tatsächlich an und kaufte ihm eine Zeitung ab. »Gott segne Sie, Miss. Genau das hab ich gemeint, meine Damen und Herren!«
Er machte ununterbrochen weiter, laberte die Leute zu und schaffte, dass immer mehr Hände mit Kleingeld zu den Fenstern herausgestreckt wurden.
»He, Denny.« Mitch deutete mit dem Kinn auf zwei Verkehrspolizisten, die von der Vierunddreißigsten her auf sie zukamen. »Ich glaub, die beiden da ham nich allzu viel für uns übrig.«
Noch bevor die beiden Polizisten etwas sagen konnten, legte Denny los. »Betteln ist nicht verboten, meine Herren. Nur in öffentlichen Parks, und als ich das letzte Mal nachgesehen hab, da war die M-Street noch kein Park!«
Übersetzung: Leo Strohm
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
Monate waren vergangen, seitdem Kyle Craig einen Menschen getötet hatte. Früher war er der
Typ gewesen, der immer alles
sofort haben musste. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Wenn die Jahre in der Hölle der Einsamkeit im Hochsicherheitsgefängnis von Florence, Colorado, für etwas gut gewesen waren, dann dafür, dass sie ihn das Warten gelehrt hatten.
Geduldig saß er im Flur der Wohnung seines Opfers, die Waffe im Schoß, den Blick hinaus auf die Lichter des Hafens von Miami gerichtet, und wartete. Er hatte es nicht besonders eilig, genoss die Aussicht, fing womöglich sogar endlich an, das Leben zu genießen. Auf jeden Fall machte er eine ausgesprochen lässige Figur - ausgewaschene Jeans, Sandalen, ein T-Shirt mit der Aufschrift BETRACHTEN SIE DAS ALS LETZTE WARNUNG.
Um 2.12 Uhr wurde ein Schlüssel ins Türschloss gesteckt. Kyle stand sofort auf und drückte sich mit dem Rücken an die Wand, stand stumm und regungslos da wie eine Statue.
Der Mann, um den es ging, Max Siegel, betrat pfeifend die Wohnung. Kyle erkannte sogar die Melodie, ein altes Liedchen aus seiner Kindheit ... aus Peter und der Wolf. Die Stelle mit den Streichern - Peters Jagdmotiv. Pikant, pikant.
Er wartete, bis Mr. Siegel die Tür zugezogen und die ersten Schritte in die immer noch dunkle Wohnung gemacht hatte. Dann richtete Kyle den roten Laserpunkt auf den Rücken des Mannes und drückte ab. »Guten Abend, Mr. Siegel «, sagte er. »Schön, Sie kennenzulernen.«
Die Salzlösung, die in gleichmäßigem Strom in Siegels Körper eindrang, transportierte eine Spannung von fünfzigtausend Volt. Siegel stöhnte auf und biss dann die Zähne zusammen. Erst verkrampften sich seine Schultern, dann wurde sein gesamter Körper steif, und er stürzte wie ein gefällter Baum zu Boden. Kyle zögerte keine Sekunde. Rasch wickelte er Siegel eine Nylonschnur um den Hals und schleifte ihn immer im Kreis über den Boden, bis die Salzlösung aufgewischt war. Anschließend schleppte er ihn hinter sich her bis ins Badezimmer am anderen Ende der Wohnung. Siegel war zu schwach, um Widerstand zu leisten. Alle Kraft, die ihm geblieben war, brauchte er für die Schnur. Schließlich wollte er nicht erdrosselt werden.
»Wehren Sie sich nicht«, sagte Kyle irgendwann. »Es hat überhaupt keinen Zweck.«
Im Badezimmer hob Kyle ihn in die übergroße Wanne und knotete beide Enden der Schnur an den verchromten Armaturen fest. Das war zwar nicht unbedingt nötig, aber so behielt Siegel den Kopf oben, und Kyle konnte ihm ins Gesicht sehen.
»So ein Ding haben Sie wahrscheinlich noch nie gesehen, stimmt's?«, sagte er und deutete auf die merkwürdige Waffe, die er mitgebracht hatte. »Ich weiß, dass Sie schon eine ganze Weile untergetaucht sind, aber eines können Sie mir glauben: Die Dinger, die werden noch von sich reden machen.«
Das Gerät sah aus wie eine riesige Wasserpistole, und im Grunde genommen war es das ja auch. Normale Elektroschocker hielten dreißig Sekunden lang durch, maximal.
Aber dieses Schätzchen ließ einfach nicht nach, dank des Zehn-Liter-Tankrucksacks, den er sich auf den Rücken geschnallt hatte.
»Was ... was wollen Sie?«, presste Siegel schließlich als Reaktion auf diesen ganzen Wahnsinn hervor.
Kyle holte eine kleine Digitalkamera aus der Tasche und fing an, Fotos zu machen. Frontalansicht, linkes Profil, rechtes Profil. »Ich weiß, wer Sie sind, Agent Siegel. Nehmen wir das einfach als Ausgangspunkt, okay?«
Verwirrung zeigte sich auf dem Gesicht des Mannes. Dann Angst. »O Gott, das muss alles ein furchtbarer Irrtum sein. Ich heiße Ivan Schimmel!«
»Nein«, sagte Kyle und fotografierte munter drauf los - Augenbrauen, Nase, Kinn. »Sie sind Max Siegel, und Sie arbeiten für das FBI. Seit sechsundzwanzig Monaten sind Sie im verdeckten Einsatz. Sie haben sich in das Buenez-Kartell eingeschlichen und sich langsam emporgearbeitet, bis man Ihnen die Abwicklung von Lieferungen anvertraut hat.
Und jetzt, während alle Welt nach Kolumbien schaut, schmuggeln Sie Heroin von Phuket und Bangkok nach Miami. «
Er ließ die Kamera sinken und blickte Siegel in die Augen. »Die Relativierung jeglicher Moral will ich in diesem Zusammenhang einmal außer Acht lassen. Das große Ziel ist ja letztendlich die spektakuläre Verhaftung am Schluss. Hab ich nicht recht, Agent Siegel?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden!«, schrie der Angesprochene. »Hier, bitte! Sehen Sie in meiner Brieftasche nach!« Er hatte angefangen, sich zu wehren, aber ein weiterer Hochspannungsstoß machte dem ein schnelles Ende. Der Strom legte vor allem die motorischen und die Sinnesnerven lahm. Da spielte es auch keine Rolle, wie viel Schmerz Siegel ertragen konnte. Und die Munition, wenn man es so nennen wollte, lief durch den Abfluss direkt in die Biscayne Bay.
»Ich denke, ich kann darüber hinwegsehen, dass Sie mich nicht erkannt haben«, fuhr Kyle fort. »Haben Sie den Namen ›Kyle Craig‹ vielleicht schon einmal gehört? Oder auch das Superhirn? So hat man mich früher genannt, im großen Puzzle-Palast in Washington. Um genau zu sein, da habe ich sogar einmal gearbeitet. Vor langer Zeit.«
Eine Erkenntnis blitzte in Siegels Blick auf und verschwand sofort wieder - nicht, dass Kyle irgendeine Bestätigung gebraucht hätte. Seine Fähigkeiten als Kundschafter waren nach wie vor ohne Fehl und Tadel. Aber dieser Max Siegel war auch ein Profi, genau wie er. Er würde sein Spiel jetzt nicht aufgeben, gerade jetzt nicht. »Bitte«, blubberte er, nachdem er die Stimme wiedergefunden hatte. »Was soll das denn? Wer sind Sie? Ich weiß nicht, was Sie von mir wollen.«
»Einfach alles, Max. Jede noch so kleine Einzelheit.«
Kyle machte noch ein halbes Dutzend Fotos und steckte die Kamera dann wieder ein. »Sie sind, ehrlich gesagt, ein Opfer Ihrer eigenen, ausgezeichneten Arbeit geworden, falls Ihnen das ein Trost sein kann. Niemand weiß, dass Sie hier unten sind, nicht einmal die FBI-Niederlassung vor Ort. Darum habe ich Sie ausgesucht, unter all den Agenten in den gesamten Vereinigten Staaten. Sie, Max. Können Sie sich vorstellen, warum?«
Während dieser Sätze hatte seine Stimme eine andere Färbung bekommen. Die Aussprache klang jetzt nasaler und enthielt die gleiche Andeutung eines Brooklyn-Akzents wie die des echten Max Siegel. »Das schaffen Sie niemals! Sie sind doch wahnsinnig!«, brüllte Siegel ihn an. »Sie sind total durchgeknallt!«
»In gewisser Hinsicht mag das sogar zutreffen«, erwiderte Kyle. »Aber darüber hinaus bin ich auch der brillanteste Hurensohn, dessen Bekanntschaft Sie jemals gemacht haben dürften.« Dann drückte er noch ein letztes Mal auf den Abzug und nahm den Finger einfach nicht mehr weg.
Siegel wälzte sich in stummer Qual in der Badewanne hin und her. Irgendwann erstickte er schließlich an seiner eigenen Zunge. Kyle sah zu, beobachtete aufmerksam jedes Detail bis ganz zum Schluss, betrachtete sein Studienobjekt, bis es nichts mehr zu lernen gab.
»Hoffen wir mal, dass es funktioniert«, sagte er dann. »Wäre doch schade, wenn Sie ganz umsonst gestorben wären, Mr. Siegel.«
2
Zweiundzwanzig Tage später bezahlte ein Mann, der eine verblüffende Ähnlichkeit mit
Max Siegel besaß, seine Rech
nung im Hotel Meliá Habana, gelegen im vornehmen Stadtteil Miramar von Havanna auf Kuba. Hier gab es genauso viele Medizintouristen wie Taschendiebe, daher zog der breitschultrige Mann im Leinenanzug auf dem Weg durch das Foyer keinerlei neugierige Blicke auf sich, trotz seiner blau unterlaufenen Augen und den Verbänden über Nase und Ohren.
Er unterzeichnete die Rechnung mit einer perfekt gefälschten Unterschrift und veranlasste so, dass Max Siegels nagelneue American-Express-Karte mit dem Betrag belastet wurde. Die Operationen waren bereits bezahlt worden, in bar.
Vom Hotel nahm er sich ein Taxi quer durch die Stadt in Dr. Cruz' Praxis, die hübsch versteckt in einer der endlosen, neoklassizistischen Arkaden der Stadt lag. Dort befand sich eine komplett ausgestattete, moderne Klinik, die jeden teuren Schönheitschirurgen in Miami oder Palm Beach stolz gemacht hätte.
»Ich muss schon sagen, Señor Siegel, ich bin sehr zufrieden. « Die Stimme des Doktors klang sanft, während er die letzten Verbände abnahm. »Das ist eine der besten Arbeiten, die ich jemals abgeliefert habe, wenn ich das sagen darf.« Er wirkte sehr gewissenhaft, aber gleichzeitig auch knapp und effizient - professionell eben. Kein Mensch konnte ahnen, dass er ethische und moralische Grenzen genauso wenig als Hindernis betrachtete wie die Haut und die Knochen seiner Patienten.
Dr. Cruz hatte in kurzen Abständen mehrere Operationen durchgeführt. Die ganze Prozedur hätte anderswo vermutlich Monate oder gar Jahre in Anspruch genommen. Blepharoplastiken zur Straffung der Augenlider, eine Nasenkorrektur genau nach Vorlage, Haut- und Gewebestraffungen rund um das Nasenbein, Implantate in Wangenknochen und am Kinn, eine zusätzliche Vergrößerung des Kinns durch eine hufeisenförmige Knochentransplantation, kleine Silikonkissen zur Betonung der Augenbrauen und, zum Abschluss, ein hübsches kleines Grübchen im Kinn, genau wie bei Max Siegel.
Auf Bitten des Patienten waren keinerlei digitale Aufnahmen gemacht worden, weder vor noch nach dem Eingriff. Gegen ein angemessenes Entgelt hatte Dr. Cruz mehr als bereitwillig seiner Bitte entsprochen, sich ausschließlich an einigen stark vergrößerten Fotografien zu orientieren, keine weiteren Fragen zu stellen, kein Interesse an biophysischen Einzelheiten zu zeigen.
Jetzt nahm er den großen Handspiegel und hob ihn hoch, damit Kyle sich darin betrachten konnte. Der Effekt war umwerfend. Vor allem die Implantate hatten ein wahres Wunder der Verwandlung vollbracht.
Das war Max - nicht Kyle -, der ihn da aus dem Spiegel heraus anlächelte. Er spürte ein leichtes Stechen in den Mundwinkeln, die sich irgendwie anders bewegten als zuvor. Um ehrlich zu sein, er erkannte sich überhaupt nicht wieder. Es war frappierend. Er hatte sich schon in der Vergangenheit immer wieder verkleidet, war einmal mithilfe außerordentlich kostspieliger Gesichtsprothesen aus dem Gefängnis entkommen. Aber im Vergleich zu dem hier war alles andere Kleinkram gewesen.
»Wie lange wird man die blauen Flecken noch sehen können? «, wollte er wissen. »Und die Schwellungen rund um die Augen?«
Cruz reichte ihm eine Mappe, in der alle Maßnahmen für die Zeit der Rekonvaleszenz aufgeführt waren. »Wenn Sie sich die nötige Ruhe gönnen, dann müssten Sie in sieben bis zehn Tagen wieder völlig normal aussehen.«
Die übrigen notwendigen Veränderungen konnte er alleine bewerkstelligen - Haare färben und militärisch kurz schneiden, dazu ein paar einfache dunkle Kontaktlinsen. Wenn die ganze Sache überhaupt einen Haken hatte, dann den, dass Kyle Craig so viel besser ausgesehen hatte als Max Siegel.
Aber scheiß drauf. Er musste das große Ganze im Auge behalten. Wenn er wollte, dann wurde er beim nächsten Mal eben Brad Pitt.
In Hochstimmung verließ er die Klinik und nahm sich ein Taxi zum Internationalen Flughafen José Martí. Dort bestieg er ein Flugzeug nach Miami und flog noch am selben Nachmittag weiter nach Washington, D. C. Zum krönenden Höhepunkt.
Seine Gedanken kreisten mittlerweile fast nur noch um ein einziges Bild: das Zusammentreffen mit seinem alten Freund und gelegentlichen Partner Alex Cross. Hatte Alex womöglich vergessen, welches Versprechen Kyle ihm im Lauf der Jahre immer wieder gegeben hatte? Das erschien ihm fast unmöglich. Aber war Cross in der Zwischenzeit vielleicht ein bisschen selbstzufrieden geworden? Schon eher. So oder so, der »große« Alex Cross würde sterben, und zwar qualvoll. Er würde Schmerzen spüren, aber darüber hinaus noch etwas anderes: tiefes Bedauern. Ohne Zweifel ein Finale, auf das sich zu warten lohnte.
Und in der Zwischenzeit würde Kyle sich ein bisschen Vergnügen gönnen. Schließlich wusste er als der neue, verbesserte Max Siegel besser als jeder andere, dass es mehr als nur einen Weg gab, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen.
Erstes Buch
SCHÜTZE BEREIT
Schon wieder war ein Gullydeckel in Georgetown aufgrund einer unterirdischen Explosion
fast fünfzehn Meter hoch in die
Luft geschleudert worden. Da war eine seltsame, kleine Epidemie im Gang, während die überalterte Infrastruktur der Stadt langsam, aber sicher die kritische Masse erreichte ... oder etwas in der Art.
Mit der Zeit waren die unterirdischen Stromleitungen mürbe geworden und hatten angefangen zu schmoren, während gleichzeitig entflammbares Gas in die Hohlräume unter den Straßen eingedrungen war. Irgendwann - und das geschah immer häufiger in diesen Tagen - entstand dann zwischen den entblößten Stromkabeln ein Lichtbogen, der einen Feuerball durch die Kanalisation trieb und die nächstgelegene gusseiserne Hundertfünfzigkiloscheibe in den Himmel jagte.
Genau solche Ereignisse, durchgeknallt und irgendwie auch beängstigend, waren der Stoff, für den Denny und Mitch lebten. Jeden Nachmittag schnappten sie sich ihre Zeitungen und schlurften rüber in die Bibliothek, um auf der Webseite des District Department of Transportation - DDOT - nachzusehen, wo der Berufsverkehr gerade am dichtesten war. Verstopfte Straßen, das war ihr Lebenselixier.
Selbst an einem normalen Tag machte die Key Bridge ihrem Spitznamen »The Car Strangled Spanner« alle Ehre, aber heute glich die auf die Brücke führende M-Street einer Mischung aus Parkplatz und Zirkus. Denny arbeitete sich auf dem Mittelstreifen entlang, und Mitch nahm die Außen- bahn.
»True Press, nur ein Dollar. Unterstützt die Obdachlosen. « »Jesus liebt dich. Hilfst du einem Obdachlosen?«
Die beiden waren ein seltsames Paar - Denny, ein weit über eins achtzig großer Weißer mit schlechten Zähnen und einem Stoppelbart, der nicht über sein fliehendes Kinn hinwegtäuschen konnte, und dazu Mitch mit seinem jungenhaften, schwarzen Gesicht, dem kräftigen, aber nicht einmal einen Meter siebzig großen Körper und den ebenfalls ziemlich kleinen Rastalöckchen auf dem Kopf. »Diese Geschichte hier, das ist doch wirklich die perfekte Metapher, findest du nicht?«, sagte Denny gerade. Sie sprachen über die Wagendächer hinweg miteinander, beziehungsweise ... Denny sprach, während Mitch der Kundschaft rechtschaffenes Bemühen vorgaukelte.
»Unter der Erde, da wo niemand hinsieht, weil's da sowieso bloß Ratten und Scheiße gibt, und wen interessiert das schon, da baut sich Druck auf, stimmt's? Und dann, eines Tages ...« Denny blies die Backen auf und machte ein Geräusch wie bei einer Atombombenexplosion. »Und jetzt muss man hinschauen, weil jetzt sind die Ratten und die Scheiße und das alles einfach überall, und alle wollen wissen, wieso eigentlich niemand was dagegen unternommen hat. Ich meine, wenn das nicht eins zu eins eine Beschreibung von Washington ist, dann weiß ich auch nicht.«
»Eins zu eins, Bruder. Eins zu eins, nich zwei zu eins«, erwiderte Mitch und lachte über seinen eigenen blöden Witz. Auf seinem verblichenen T-Shirt stand IRAK: WENN DU NICHT DA WARST, DANN HALT DIE KLAPPE! Er trug die gleiche sackartige Tarnmusterhose wie Denny, bloß dass seine auf Höhe der Waden abgeschnitten war.
Denny hatte sein T-Shirt bis über die Schultern hochgezogen und stellte seinen halbwegs anständigen Waschbrettbauch zur Schau. Es konnte nie schaden, zu zeigen, was man hatte, und sein Gesicht war nicht gerade seine stärkste Waffe. »Das ist der American Way of Life«, machte er weiter, so laut, dass alle, die das Fenster offen hatten, es hören konnten. »Immer weiter das machen, was man immer gemacht hat, damit man immer weiter das kriegt, was man immer gekriegt hat. Hab ich recht?«, wandte er sich an eine attraktive Geschäftsfrau mit Anzug in einem BMW. Sie lächelte ihn tatsächlich an und kaufte ihm eine Zeitung ab. »Gott segne Sie, Miss. Genau das hab ich gemeint, meine Damen und Herren!«
Er machte ununterbrochen weiter, laberte die Leute zu und schaffte, dass immer mehr Hände mit Kleingeld zu den Fenstern herausgestreckt wurden.
»He, Denny.« Mitch deutete mit dem Kinn auf zwei Verkehrspolizisten, die von der Vierunddreißigsten her auf sie zukamen. »Ich glaub, die beiden da ham nich allzu viel für uns übrig.«
Noch bevor die beiden Polizisten etwas sagen konnten, legte Denny los. »Betteln ist nicht verboten, meine Herren. Nur in öffentlichen Parks, und als ich das letzte Mal nachgesehen hab, da war die M-Street noch kein Park!«
Übersetzung: Leo Strohm
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Autoren-Porträt von James Patterson
James Patterson, geboren 1947, war Kreativdirektor bei einer großen amerikanischen Werbeagentur. Seine Thriller um den Kriminalpsychologen Alex Cross machten ihn zu einem der erfolgreichsten Bestsellerautoren der Welt. Auch die Romane seiner packenden Thrillerserie um Detective Lindsay Boxer und den »Women's Murder Club« erreichen durchweg die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten. Regelmäßig tut er sich für seine Bücher mit anderen namhaften Autoren oder Stars zusammen wie mit Dolly Parton für den »New York Times«-Nr.-1-Bestseller »Run, Rose, Run«. James Patterson lebt mit seiner Familie in Palm Beach und Westchester County, N.Y.
Bibliographische Angaben
- Autor: James Patterson
- 2012, Erstmals im TB, 380 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Strohm, Leo
- Übersetzer: Leo Strohm
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442378982
- ISBN-13: 9783442378982
- Erscheinungsdatum: 11.07.2012
Kommentare zu "Storm / Alex Cross Bd.16"
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