Stich ins Herz / Eve Dallas Bd.21
Roman
Von der Suche nach menschlicher Perfektion und den Grenzen der Wissenschaft - ein brisanter Fall für Eve Dallas
Sie sind allseits geschätzt und folgen unbeirrt nur einer Mission: anderen Menschen zu helfen. Perfekte Gesichter,...
Sie sind allseits geschätzt und folgen unbeirrt nur einer Mission: anderen Menschen zu helfen. Perfekte Gesichter,...
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Produktinformationen zu „Stich ins Herz / Eve Dallas Bd.21 “
Von der Suche nach menschlicher Perfektion und den Grenzen der Wissenschaft - ein brisanter Fall für Eve Dallas
Sie sind allseits geschätzt und folgen unbeirrt nur einer Mission: anderen Menschen zu helfen. Perfekte Gesichter, makellose Körper, die vollendete Schönheit - das ist ihre Berufung. Doch dann werden die beiden berühmten Schönheitschirurgen mit einem gezielten Stich ins Herz getötet. Die Waffe: ein Skalpell. Die Hauptverdächtige: ihre letzte Patientin. Doch die junge Frau ist spurlos verschwunden. Eve Dallas hat alle Hände voll zu tun, ein dunkles, schreckliches Geheimnis hinter der schillernden Fassade der Schönheitsklinik aufzudecken.
Sie sind allseits geschätzt und folgen unbeirrt nur einer Mission: anderen Menschen zu helfen. Perfekte Gesichter, makellose Körper, die vollendete Schönheit - das ist ihre Berufung. Doch dann werden die beiden berühmten Schönheitschirurgen mit einem gezielten Stich ins Herz getötet. Die Waffe: ein Skalpell. Die Hauptverdächtige: ihre letzte Patientin. Doch die junge Frau ist spurlos verschwunden. Eve Dallas hat alle Hände voll zu tun, ein dunkles, schreckliches Geheimnis hinter der schillernden Fassade der Schönheitsklinik aufzudecken.
Lese-Probe zu „Stich ins Herz / Eve Dallas Bd.21 “
Stich ins Herz von J. D. RobbProlog
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Der Tod lächelte sie an und küsste sie zärtlich auf die Wange. Er hatte schöne Augen. Blau, auch wenn es ein anderes Blau als das Blau in ihrem Wachsmalkasten war. Sie durfte täglich eine Stunde malen. Malen war das Schönste, was es für sie gab.
Sie sprach drei Sprachen fließend, aber Chinesisch fiel ihr schwer. Zwar liebte sie das Zeichnen der Linien und Figuren, aus denen die Schriftzeichen bestanden, doch sie hatte Probleme, sie als Worte anzusehen.
Sie konnte in keiner der vier Sprachen richtig lesen, und sie wusste, dass der Mann, den sie und ihre Schwestern Vater nannten, deshalb in Sorge war.
Manchmal vergaß sie Dinge, an die sie sich erinnern sollte, doch er bestrafte sie nie - anders hielten das die anderen, wenn er nicht in der Nähe war. Die anderen waren die, die ihrem Vater dabei halfen, sie zu unterrichten und zu versorgen. Aber wenn er nicht dabei war und sie einen Fehler machte, taten sie etwas mit ihr, was wehtat und was sie zusammenzucken ließ.
Sie hatten ihr verboten, es dem Vater zu erzählen.
Er war immer nett, genau wie jetzt, als er an ihrer Seite saß und eine ihrer Hände hielt.
Es war Zeit für einen neuerlichen Test. Sie und ihre Schwestern absolvierten jede Menge Tests und manchmal, wenn sie einen Fehler machte, runzelte der Mann, den sie Vater nannte, sorgenvoll die Stirn oder sah sie traurig an. Bei einigen der Tests musste er sie mit einer Nadel pieksen oder ihren Kopf an ein Gerät anschließen. Diese Tests mochte sie nicht, aber sie tat einfach so, als würde sie mit ihren bunten Stiften malen, bis es vorüber war.
Sie war glücklich, manchmal wünschte sie allerdings, sie könnten einmal aus dem Haus gehen, statt immer nur so zu tun als ob. Die Hologramm-Programme waren lustig, das Picknick mit dem kleinen Hündchen machte ihr am meisten Spaß. Aber immer, wenn sie fragte, ob sie einen echten Welpen haben dürfte, verzog der Mann, den sie Vater nannte, seinen Mund zu einem Lächeln und sagte »Später. Wenn du älter bist«.
Sie musste sehr viel lernen. Es war wichtig, alles zu lernen, was sie lernen konnte, richtig zu sprechen, sich ordentlich zu kleiden, ein Instrument zu spielen und über alles diskutieren zu können, was sie hörte, las oder während des Unterrichts auf Video sah.
Ihr war klar, dass ihre Schwestern schneller und intelligenter als sie waren, aber sie zogen sie nie mit ihren Schwächen auf. Sie durften jeden Tag morgens und am Abend vor dem Schlafengehen eine Stunde miteinander spielen.
Was für sie noch schöner als das Picknick mit dem kleinen Hündchen war.
Sie wusste nicht, was Einsamkeit bedeutete, und hatte keine Ahnung, dass sie einsam war.
Als der Tod sie an die Hand nahm, lag sie - bereit, ihr Bestes zu geben - reglos auf dem Bett.
»Das hier wird dich ein bisschen schläfrig machen«, erklärte er in seinem ruhigen, sanften Ton.
Heute hatte er den Jungen mitgebracht. Sie freute sich, wenn sie den Jungen sah, auch wenn sie ihm gegenüber immer furchtbar schüchtern war. Er war älter als sie, hatte genauso blaue Augen wie der Mann, den sie Vater nannte, und sie hatte jedes Mal die Hoffnung, dass er mit ihr spielen würde, auch wenn er das niemals tat.
»Ist es so bequem, mein Schatz? «
»Ja, Vater. « Sie sah den Jungen, der an ihrem Bett stand, mit einem scheuen Lächeln an. Manchmal tat sie so, als ob der kleine Raum, in dem sie schlief, eine Kemenate in einer der alten Burgen wäre, von denen sie gelesen hatte und die sie manchmal in einem Video sah. Als ob sie die verzauberte Prinzessin wäre und der Junge der Prinz, der gekommen war, um sie zu retten.
Auch wenn sie nicht sicher hätte sagen können, aus welcher Gefahr.
Sie spürte kaum, als er sie mit der Nadel stach. Er war unendlich sanft.
Über ihrem Bett war ein Bildschirm in die Decke eingelassen, heute bildete der Mann, den sie Vater nannte, berühmte Gemälde darauf ab. Sie nannte die Namen der Gemälde und der Maler und hoffte, dass er mit ihr zufrieden war.
»Garten in Giverny 1902, Claude Monet. Fleurs et Mains, Pablo Picasso. Junges Mädchen, am Fenster stehend, Salvador Da... Salvador ...«
»Dali«, half er ihr.
»Dali Olivenbäume, Victor van Gogh.«
»Vincent«, korrigierte er.
»Es tut mir leid.« Ihre Stimme wurde schleppend. »Vincent van Gogh. Meine Augen tun mir weh, Vater. Mein Kopf ist furchtbar schwer.«
»Schon gut, Schatz. Mach einfach die Augen zu, ruh dich aus.«
Als sie einschlief, nahm er ihre Hand. Und hielt sie, bis sie starb.
Sie schied aus dem Leben fünf Jahre, drei Monate, zwölf Tage und sechs Stunden, nachdem sie auf die Welt gekommen war.
I
Wenn eins der weltweit berühmtesten Gesichter zu blutigem Brei geschlagen wurde, war das eine Nachricht wert. Sogar in New York. Und da die Besitzerin dieses Gesichts mehrere lebenswichtige Organe des Mannes, der es zertrümmert hatte, mit einem Filetiermesser durchlöchert hatte, rief das nicht nur die Journalisten, sondern auch die polizeilichen Ermittler auf den Plan.
Einen Gesprächstermin mit der Frau zu bekommen, deren Gesicht eine Unzahl von Kosmetika und anderen Produkten beworben hatte, war jedoch ein gottverdammter Kampf.
Lieutenant Eve Dallas stapfte wütend durch den schwülstig feudalen Warteraum des Wilfred B. Icove Zentrums für plastische und wiederaufbauende Chirurgie. Sie war bereit zu kämpfen, denn inzwischen hatte sie die Nase voll.
»Falls sie sich einbilden, sie könnten mich ein drittes Mal wegschicken, wissen sie nicht, wie es ist, wenn mein geballter Zorn sie trifft.«
»Beim ersten Mal war sie bewusstlos.« Detective Delia Peabody lümmelte in einem der luxuriösen, übertrieben weichen Sessel, schlug die Beine übereinander und nippte vorsichtig an ihrem heißen Tee. »Und auf dem Weg in den OP.«
»Beim zweiten Mal war sie eindeutig wach. «
»Aber sie lag noch im Aufwachraum. « Wieder nippte Peabody an ihrem Tee und träumte von den Dingen, die sie machen ließe, wäre sie zur Gesichts- oder zur Körnerformung hier.
Vielleicht ließe sie sich zuerst das Haar verlängern. Damit wäre schon einmal etwas gewonnen, und es täte ganz bestimmt nicht weh, überlegte sie, während sie mit ihren Fingern durch ihre kurzen, dunklen Haare fuhr.
»Die ganze Sache ist noch keine achtundvierzig Stunden her, und es scheint eindeutig Notwehr gewesen zu sein.«
»Sie hat acht Mal auf ihn eingestochen.«
»Okay, vielleicht hat sie ein bisschen übertrieben, aber wir beide wissen, dass ihr Anwalt trotzdem auf Notwehr plädieren wird. Er wird erzählen, dass sie völlig panisch und deswegen wie von Sinnen war, und das kaufen die Geschworenen ihm auch ganz sicher ab.« Vielleicht ließe sie sich blonde Strähnen machen, überlegte sie. »Schließlich ist Lee-Lee Ten eine Ikone. Sie verkörpert die weibliche Schönheit in ihrer ganzen Perfektion, und der Typ hat richtiggehend Hackfleisch aus ihrem Gesicht gemacht.«
Eine gebrochene Nase, ein zertrümmerter Wangenknochen, ein gebrochener Kiefer und eine gerissene Netzhaut, ging Eve die Liste der Blessuren in Gedanken durch. Verdammt, sie hatte sicher nicht die Absicht, der Frau einen Mord oder auch nur einen Totschlag anzuhängen. Schließlich hatte sie schon mit dem Arzt gesprochen, der die Erstversorgung vorgenommen hatte, und sich auch den Tatort angesehen.
Aber wenn sie die Ermittlungen in diesem Fall nicht ungehend zum Abschluss brächte, fiele garantiert erneut die Meute der Journalisten über sie her.
Wenn es dazu käme, wäre sie versucht, Ten selbst auch noch einmal die Visage zu polieren, und damit wäre sicher niemandem gedient.
»Entweder sie spricht mit uns und wir können die Akte schließen, oder ich zerre sie und ihre Anwälte wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen persönlich vor Gericht.«
»Wann kommt Roarke eigentlich zurück? «
Eve hielt lange genug im Stapfen inne, um ihre Partnerin stirnrunzelnd anzusehen. »Warum? «
»Sie sind heute ungewöhnlich reizbar, das heißt, noch reizbarer als sonst, ich denke, Sie leiden einfach unter Roarke-Entzug.« Peabody stieß einen wehmütigen Seufzer aus. »Aber wer könnte Ihnen das verdenken?«
»Ich leide weder unter Roarke- noch unter irgendeinem anderen Entzug.« Eve stapfte weiter in dem Wartezimmer auf und ab. Sie hatte endlos lange Beine, machte deshalb immer große Schritte und fühlte sich in dem übermäßig dekorierten Zimmer etwas eingeengt. Ihr seidiges, rehbraunes Haar, das sie noch kürzer trug als ihre Partnerin, fiel in wild zerzausten Strähnen in die großen braunen Augen in ihrem schmalen, scharfkantigen Gesicht. Doch körperliche Schönheit war ihr anders als den Kundinnen und den Patientinnen des Zentrums vollkommen egal.
Sie war nicht ihres Aussehens, sondern eines Todesfalles wegen hier.
Vielleicht fehlte Roarke ihr wirklich, gestand sie sich widerstrebend ein. Aber das war schließlich kein Verbrechen, sondern höchstwahrscheinlich ganz normal. Nur waren ihr die Regeln einer Ehe auch nach über einem Jahr noch nicht vertraut.
Roarke war inzwischen nur noch selten länger als ein, zwei Tage geschäftlich unterwegs, dieses Mal war er jedoch schon beinahe eine ganze Woche fort.
Aber schließlich hatte sie ihn selbst dazu gedrängt, erinnerte sie sich. Denn sie war sich bewusst, dass er seine Arbeit in den letzten Monaten sehr häufig hatte liegen lassen, um ihr bei ihren Ermittlungen zu helfen oder um ganz einfach für sie da zu sein.
Als Eigentümer oder Anteilseigner an den meisten Unternehmen, Kunstbetrieben, Entertainment-Industrien, Grundstücken und Immobilien des bekannten Universums hatte er ständig einige Eisen im Feuer.
Sie kam damit zurecht, wenn sie eine Woche keins dieser Eisen war. Schließlich war sie nicht blöd.
Trotzdem schlief sie in den letzten Nächten nicht besonders gut.
Sie trat vor einen Sessel, doch er war so riesig und so pink, dass sie das Gefühl hatte, als würde jeder, der sich darauf setzte, von einem riesengroßen, dick bemalten Mund verschluckt.
»Was hat Lee-Lee Ten um zwei Uhr in der Frühe in der Küche ihres dreigeschossigen Penthauses gemacht?«
»Vielleicht hatte sie einfach Appetit auf einen späten Snack?«
»Sämtliche Räume ihrer Wohnung sind mit AutoChefs bestückt. «
Eve trat vor eins der großen Fenster, denn sie blickte lieber in den trüben regnerischen Tag als auf das grelle Pink des Warteraums. Bisher war der Herbst des Jahres 2.059 stürmisch, kalt und ekelhaft.
»Alle, mit denen wir bisher gesprochen haben, haben ausgesagt, dass Ten Bryhern Speegal den Laufpass gegeben hatte.«
»Dabei waren die beiden das Paar dieses Sommers«, warf Peabody ein. »Es gab keinen Society-Bericht im Fernsehen und kein Hochglanzmagazin, in dem die beiden nicht vorgekommen wären ... nicht, dass ich meine ganze Freizeit damit zubringe, mir solche Sachen anzusehen. «
»Richtig. Informierten Kreisen zufolge hat sie sich letzte Woche von dem Kerl getrennt. Trotzdem hält sie sich um zwei Uhr morgens mit ihm in ihrer Küche auf. Beide haben Morgenmäntel an, und im Schlafzimmer gibt es Beweise dafür, dass es zu Intimitäten kam.«
»Vielleicht wollte sie sich ja mit ihm versöhnen, aber das hat nicht funktioniert? «
»Dem Portier, den Überwachungsdisketten und ihrem Haushaltsdroiden zufolge ist Speegal um dreiundzwanzig Uhr vierzehn bei ihr aufgetaucht. Der Droide hat ihn eingelassen und wurde danach auf Stand-by gestellt.«
Weingläser im Wohnzimmer, ging es ihr durch den Kopf. Ein Paar Männer-, ein Paar Frauenschuhe und ihr Hemd. Seins hatte achtlos auf der geschwungenen Treppe gelegen, über die man in die obere Etage kam. Ihren Büstenhalter hatte Lee-Lee am oberen Ende des Geländers aufgehängt.
Auch ohne Bluthund konnte Eve die Spur der beiden bis zum Schlafzimmer verfolgen und dort riechen, was zwischen ihnen vorgefallen war.
»Er kommt rüber, er kommt rein, sie setzen sich ins Wohnzimmer, genehmigen sich ein paar Drinks, dann kommt Sex ins Spiel. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er nicht einvernehmlich war. Kein Zeichen eines Kampfes, wenn er sie vergewaltigt hätte, hätte er sie sicher nicht extra die Treppe rauf- und ihr dabei die Kleider vom Leib gezerrt.«
Sie vergaß ihre Aversion gegen den pinkfarbenen Sessels und nahm nachdenklich darauf Platz. »Sie sind also raufgegangen und haben auf der Matratze rumgeturnt. Dann aber sind sie plötzlich wieder unten in der Küche, und es kommt zu einem Kampf. Der Droide hört verdächtige Geräusche, kommt aus seiner Kammer, findet ihn tot und sie bewusstlos auf dem Küchenboden vor und ruft nach einem Krankenwagen und der Polizei.«
Die Küche hatte wie ein Schlachtfeld ausgesehen. Speegal, der verführerischste Mann des Jahres, hatte mit dem Gesicht in Richtung Boden regelrecht in seinem eigenen Blut gebadet, an fast allen Oberflächen in dem riesengroßen, ganz in Silber und in Weiß gehaltenen Raum hatte etwas von der dunkelroten Flüssigkeit geklebt.
Vielleicht hatte der grauenhafte Anblick sie daran erinnert, wie ihr Vater ausgesehen hatte, gestand sie sich widerstrebend ein. Natürlich war der Raum in Dallas nicht so groß und elegant gewesen, doch das Blut war genauso dick und nass geflossen, nachdem das kleine Messer, das sie in der Hand gehalten hatte, ein ums andere Mal in seinen Körper eingedrungen war.
»Manchmal hat man keine andere Möglichkeit«, erklärte Peabody ihr ruhig. »Manchmal hat man keine andere Möglichkeit zu überleben.«
»Nein.« Reizbar überlegte Eve, wenn ihre Partnerin so leicht ihre Gedanken lesen konnte, verlor sie vielleicht allmählich den Verstand. »Manchmal hat man keine andere Möglichkeit.«
Erleichtert stand sie auf, als der Arzt endlich den Raum betrat.
Sie hatte sich bereits gründlich mit dem Mann befasst. Wilfred B. Icove junior war durchaus erfolgreich in die Fußstapfen des Seniors getreten, er herrschte inzwischen autonom über die zahlreichen Stationen der Klinik seines Vaters und war als der sogenannte Bildhauer der Stars bekannt.
Er stand in dem Ruf, verschwiegen wie ein Priester, geschickter als ein Magier und fast so reich wie Roarke zu sein. Mit seinen vierundvierzig Jahren sah er wie ein Filmstar aus. Er hatte leuchtend blaue Augen, hohe, fein geschwungene Wangenknochen, einen straffen Kiefer, eine schmale Nase, einen hübsch geschwungenen Mund und in dichten Wellen aus der Stirn gekämmtes, volles, goldenes Haar.
Er war vielleicht drei Zentimeter größer als die einen Meter fünfundsiebzig große Eve, und selbst in seinem eleganten schiefergrauen Anzug mit den schimmernden kalkweißen Streifen wirkte er durchtrainiert und fit. Er trug ein Hemd in der Farbe der Streifen und an einer haarfeinen Kette hing ein Silbermedaillon um seinen Hals.
Er reichte Eve die Hand und bedachte sie mit einem entschuldigenden Lächeln, durch das sein strahlendes Gebiss vorteilhaft zur Geltung kam. »Es tut mir furchtbar leid. Ich weiß, Sie warten bereits eine halbe Ewigkeit. Ich bin Dr. Icove. Ich bin Lee-Lees - Ms Tens «, verbesserte er sich, »behandelnder Arzt.«
»Lieutenant Dallas von der New Yorker Polizei. Detective Peabody. Wir müssen mit ihr sprechen.«
»Ja, ich weiß. Ich weiß, Sie haben schon versucht, mit ihr zu sprechen, und ich bitte Sie nochmals um Verzeihung wegen der Verzögerung.« Auch seine Stimme klang sehr kultiviert. »Inzwischen ist ihr Anwalt da. Sie ist bei Bewusstsein, und ihr Zustand ist stabil. Sie ist eine starke Frau, Lieutenant, die jedoch sowohl körperlich als auch emotional ein schweres Trauma erlitten hat. Deshalb hoffe ich, dass Ihre Unterhaltung nicht zu lange dauern wird. «
»Das wäre für uns alle schön, nicht wahr ? «
Abermals sah er sie lächelnd an und winkte dann in Richtung Tür. »Sie steht unter Medikamenten«, erklärte er, während er vor den beiden Frauen einen mit Gemälden und Skulpturen makelloser Frauen geschmückten breiten Flur hinunterging. »Aber sie ist völlig klar, und sie möchte dieses Gespräch genauso sehr wie Sie führen. Ich hätte es vorgezogen, mindestens noch einen Tag damit zu warten, und ihr Anwalt ... aber, wie gesagt, sie ist eine starke Frau.«
Icove ignorierte den uniformierten Beamten, der vor der Tür des Krankenzimmers wachte, als wäre er unsichtbar. »Ich wäre gern dabei, um sie während des Gesprächs zu überwachen. «
»Kein Problem.« Eve nickte dem Beamten zu und betrat den Raum.
Er war so luxuriös wie eine Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel, und die unzähligen Blumen hätten für die Bepflanzung eines beachtlichen Bereichs des Central Parks gereicht.
Die silbrig schimmernden, blass pinkfarbenen Wände waren mit Gemälden weiblicher Gottheiten verziert. Breite Sessel und glänzende Tische luden die Besucher zum Plaudern oder zum Fernsehen ein.
Der Sichtschutz vor der breiten Fensterfront hinderte Journalisten und vorbeifliegende Pendler daran, in den Raum zu sehen, gab jedoch den Ausblick auf den wunderbaren Park hinter der Klinik frei.
Unter der zart pinkfarbenen Decke mit den weißen Spitzen auf dem breiten Bett lugte ein Gesicht hervor, das den Eindruck machte, als hätte es einen Zusammenstoß mit einem Rammbock hinter sich.
Schwarze Haut, weiße Bandagen, das linke Auge hinter einem Heftpflaster versteckt. Die vollen Lippen, die zum Absatz von Millionen Lippenstiften, Lipgloss und Lippenkühlern beigetragen hatten, waren bis zur Unkenntlichkeit geschwollen und dick mit einer grünen Creme bedeckt. Das volle Haar, das den Verkauf von ungezählten Flaschen Shampoo, Conditioner und Färbemittel gefördert hatte, war zu einem matten roten Mopp aus dem Gesicht gekämmt.
Mit ihrem nicht verklebten Auge blickte die Gestalt auf Eve. Das leuchtende Smaragdgrün ihrer Iris hob sich nur unmerklich von den schillernden Regenbogenfarben, die ihr Auge rahmten, ab.
»Meine Mandantin hat starke Schmerzen«, fing der Anwalt an. »Sie steht unter dem Einfluss von Medikamenten und vor allem unter Stress. Ich ...«
»Halten Sie die Klappe, Charlie.« Die Stimme aus dem Bett klang erschreckend rau und seltsam zischend, der Anwalt presste die Lippen aufeinander und hielt folgsam seinen Mund.
»Sehen Sie mich an«, wandte sich die Frau an Eve. »Sehen Sie sich an, wie dieser Hurensohn mich zugerichtet hat. Vor allem mein Gesicht!«
»Ms Ten ...«
»Ich kenne Sie. Irgendwo habe ich Sie schon mal gesehen.« Lee-Lee sprach deshalb so zischend, weil sie eine Klammer um die Zähne trug, bemerkte Eve jetzt. Ihr Kiefer war gebrochen, das tat sicher höllisch weh. »Ich verdiene mit Gesichtern meinen Lebensunterhalt, und Sie ... Roarke. Sie sind Roarkes Cop. Das ist ja wohl der Hit.«
»Ich bin Lieutenant Eve Dallas. Und das ist Detective Peabody, meine Partnerin.«
»Vor vier oder fünf Jahren habe ich mal ein verregnetes Wochenende in Rom mit ihm im Bett verbracht. Mein Gott, der Mann hat wirklich Stehvermögen, wenn ich das so sagen darf.« Ihre grünen Augen blitzten humorvoll auf. »Stört Sie das?«
»Haben Sie später auch noch Zeit mit ihm im Bett verbracht?«
»Bedauerlicherweise nicht. Nur dieses eine erinnerungswürdige Wochenende in Rom.«
»Dann stört es mich nicht. Aber sprechen wir lieber über das, was vorletzte Nacht zwischen Ihnen und Bryhern Speegal vorgefallen ist.«
»Dieser schwanzlutschende Bastard.«
»Lee-Lee«, tadelte ihr Doktor sanft.
»Tut mir leid. Will hat nichts für Kraftausdrücke übrig. Er hat mir wehgetan. « Sie klappte die Augen zu und atmete langsam ein und aus. »Gott, er hat mir wirklich wehgetan. Kann ich etwas Wasser haben?«
Ihr Anwalt griff nach einem Silberbecher mit einem Silberstrohhalm und hielt ihn ihr an den Mund.
Sie saugte, holte hörbar Luft, saugte noch einmal und tätschelte dem Mann die Hand. »Tut mir leid, Charlie. Tut mir leid, dass ich gesagt habe, dass Sie die Klappe halten sollen. Ich bin einfach nicht in Form.«
»Sie brauchen jetzt nicht mit der Polizei zu sprechen, Lee-Lee. «
»Sie haben meinen Fernseher ausgeschaltet, damit ich nicht höre, was sie über mich erzählen. Aber ich brauche die Glotze gar nicht anzuschalten, um zu wissen, was die Affen und Hyänen von den Medien aus der Geschichte machen. Ich will die Sache klarstellen. Verdammt noch mal, ich will, dass endlich irgendwer erfährt, was wirklich vorgefallen ist.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie blinzelte sie wütend fort, und dafür zollte Eve ihr einigen Respekt.
Übersetzung: Uta Hege
Copyright © 2008 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag
Der Tod lächelte sie an und küsste sie zärtlich auf die Wange. Er hatte schöne Augen. Blau, auch wenn es ein anderes Blau als das Blau in ihrem Wachsmalkasten war. Sie durfte täglich eine Stunde malen. Malen war das Schönste, was es für sie gab.
Sie sprach drei Sprachen fließend, aber Chinesisch fiel ihr schwer. Zwar liebte sie das Zeichnen der Linien und Figuren, aus denen die Schriftzeichen bestanden, doch sie hatte Probleme, sie als Worte anzusehen.
Sie konnte in keiner der vier Sprachen richtig lesen, und sie wusste, dass der Mann, den sie und ihre Schwestern Vater nannten, deshalb in Sorge war.
Manchmal vergaß sie Dinge, an die sie sich erinnern sollte, doch er bestrafte sie nie - anders hielten das die anderen, wenn er nicht in der Nähe war. Die anderen waren die, die ihrem Vater dabei halfen, sie zu unterrichten und zu versorgen. Aber wenn er nicht dabei war und sie einen Fehler machte, taten sie etwas mit ihr, was wehtat und was sie zusammenzucken ließ.
Sie hatten ihr verboten, es dem Vater zu erzählen.
Er war immer nett, genau wie jetzt, als er an ihrer Seite saß und eine ihrer Hände hielt.
Es war Zeit für einen neuerlichen Test. Sie und ihre Schwestern absolvierten jede Menge Tests und manchmal, wenn sie einen Fehler machte, runzelte der Mann, den sie Vater nannte, sorgenvoll die Stirn oder sah sie traurig an. Bei einigen der Tests musste er sie mit einer Nadel pieksen oder ihren Kopf an ein Gerät anschließen. Diese Tests mochte sie nicht, aber sie tat einfach so, als würde sie mit ihren bunten Stiften malen, bis es vorüber war.
Sie war glücklich, manchmal wünschte sie allerdings, sie könnten einmal aus dem Haus gehen, statt immer nur so zu tun als ob. Die Hologramm-Programme waren lustig, das Picknick mit dem kleinen Hündchen machte ihr am meisten Spaß. Aber immer, wenn sie fragte, ob sie einen echten Welpen haben dürfte, verzog der Mann, den sie Vater nannte, seinen Mund zu einem Lächeln und sagte »Später. Wenn du älter bist«.
Sie musste sehr viel lernen. Es war wichtig, alles zu lernen, was sie lernen konnte, richtig zu sprechen, sich ordentlich zu kleiden, ein Instrument zu spielen und über alles diskutieren zu können, was sie hörte, las oder während des Unterrichts auf Video sah.
Ihr war klar, dass ihre Schwestern schneller und intelligenter als sie waren, aber sie zogen sie nie mit ihren Schwächen auf. Sie durften jeden Tag morgens und am Abend vor dem Schlafengehen eine Stunde miteinander spielen.
Was für sie noch schöner als das Picknick mit dem kleinen Hündchen war.
Sie wusste nicht, was Einsamkeit bedeutete, und hatte keine Ahnung, dass sie einsam war.
Als der Tod sie an die Hand nahm, lag sie - bereit, ihr Bestes zu geben - reglos auf dem Bett.
»Das hier wird dich ein bisschen schläfrig machen«, erklärte er in seinem ruhigen, sanften Ton.
Heute hatte er den Jungen mitgebracht. Sie freute sich, wenn sie den Jungen sah, auch wenn sie ihm gegenüber immer furchtbar schüchtern war. Er war älter als sie, hatte genauso blaue Augen wie der Mann, den sie Vater nannte, und sie hatte jedes Mal die Hoffnung, dass er mit ihr spielen würde, auch wenn er das niemals tat.
»Ist es so bequem, mein Schatz? «
»Ja, Vater. « Sie sah den Jungen, der an ihrem Bett stand, mit einem scheuen Lächeln an. Manchmal tat sie so, als ob der kleine Raum, in dem sie schlief, eine Kemenate in einer der alten Burgen wäre, von denen sie gelesen hatte und die sie manchmal in einem Video sah. Als ob sie die verzauberte Prinzessin wäre und der Junge der Prinz, der gekommen war, um sie zu retten.
Auch wenn sie nicht sicher hätte sagen können, aus welcher Gefahr.
Sie spürte kaum, als er sie mit der Nadel stach. Er war unendlich sanft.
Über ihrem Bett war ein Bildschirm in die Decke eingelassen, heute bildete der Mann, den sie Vater nannte, berühmte Gemälde darauf ab. Sie nannte die Namen der Gemälde und der Maler und hoffte, dass er mit ihr zufrieden war.
»Garten in Giverny 1902, Claude Monet. Fleurs et Mains, Pablo Picasso. Junges Mädchen, am Fenster stehend, Salvador Da... Salvador ...«
»Dali«, half er ihr.
»Dali Olivenbäume, Victor van Gogh.«
»Vincent«, korrigierte er.
»Es tut mir leid.« Ihre Stimme wurde schleppend. »Vincent van Gogh. Meine Augen tun mir weh, Vater. Mein Kopf ist furchtbar schwer.«
»Schon gut, Schatz. Mach einfach die Augen zu, ruh dich aus.«
Als sie einschlief, nahm er ihre Hand. Und hielt sie, bis sie starb.
Sie schied aus dem Leben fünf Jahre, drei Monate, zwölf Tage und sechs Stunden, nachdem sie auf die Welt gekommen war.
I
Wenn eins der weltweit berühmtesten Gesichter zu blutigem Brei geschlagen wurde, war das eine Nachricht wert. Sogar in New York. Und da die Besitzerin dieses Gesichts mehrere lebenswichtige Organe des Mannes, der es zertrümmert hatte, mit einem Filetiermesser durchlöchert hatte, rief das nicht nur die Journalisten, sondern auch die polizeilichen Ermittler auf den Plan.
Einen Gesprächstermin mit der Frau zu bekommen, deren Gesicht eine Unzahl von Kosmetika und anderen Produkten beworben hatte, war jedoch ein gottverdammter Kampf.
Lieutenant Eve Dallas stapfte wütend durch den schwülstig feudalen Warteraum des Wilfred B. Icove Zentrums für plastische und wiederaufbauende Chirurgie. Sie war bereit zu kämpfen, denn inzwischen hatte sie die Nase voll.
»Falls sie sich einbilden, sie könnten mich ein drittes Mal wegschicken, wissen sie nicht, wie es ist, wenn mein geballter Zorn sie trifft.«
»Beim ersten Mal war sie bewusstlos.« Detective Delia Peabody lümmelte in einem der luxuriösen, übertrieben weichen Sessel, schlug die Beine übereinander und nippte vorsichtig an ihrem heißen Tee. »Und auf dem Weg in den OP.«
»Beim zweiten Mal war sie eindeutig wach. «
»Aber sie lag noch im Aufwachraum. « Wieder nippte Peabody an ihrem Tee und träumte von den Dingen, die sie machen ließe, wäre sie zur Gesichts- oder zur Körnerformung hier.
Vielleicht ließe sie sich zuerst das Haar verlängern. Damit wäre schon einmal etwas gewonnen, und es täte ganz bestimmt nicht weh, überlegte sie, während sie mit ihren Fingern durch ihre kurzen, dunklen Haare fuhr.
»Die ganze Sache ist noch keine achtundvierzig Stunden her, und es scheint eindeutig Notwehr gewesen zu sein.«
»Sie hat acht Mal auf ihn eingestochen.«
»Okay, vielleicht hat sie ein bisschen übertrieben, aber wir beide wissen, dass ihr Anwalt trotzdem auf Notwehr plädieren wird. Er wird erzählen, dass sie völlig panisch und deswegen wie von Sinnen war, und das kaufen die Geschworenen ihm auch ganz sicher ab.« Vielleicht ließe sie sich blonde Strähnen machen, überlegte sie. »Schließlich ist Lee-Lee Ten eine Ikone. Sie verkörpert die weibliche Schönheit in ihrer ganzen Perfektion, und der Typ hat richtiggehend Hackfleisch aus ihrem Gesicht gemacht.«
Eine gebrochene Nase, ein zertrümmerter Wangenknochen, ein gebrochener Kiefer und eine gerissene Netzhaut, ging Eve die Liste der Blessuren in Gedanken durch. Verdammt, sie hatte sicher nicht die Absicht, der Frau einen Mord oder auch nur einen Totschlag anzuhängen. Schließlich hatte sie schon mit dem Arzt gesprochen, der die Erstversorgung vorgenommen hatte, und sich auch den Tatort angesehen.
Aber wenn sie die Ermittlungen in diesem Fall nicht ungehend zum Abschluss brächte, fiele garantiert erneut die Meute der Journalisten über sie her.
Wenn es dazu käme, wäre sie versucht, Ten selbst auch noch einmal die Visage zu polieren, und damit wäre sicher niemandem gedient.
»Entweder sie spricht mit uns und wir können die Akte schließen, oder ich zerre sie und ihre Anwälte wegen Behinderung polizeilicher Ermittlungen persönlich vor Gericht.«
»Wann kommt Roarke eigentlich zurück? «
Eve hielt lange genug im Stapfen inne, um ihre Partnerin stirnrunzelnd anzusehen. »Warum? «
»Sie sind heute ungewöhnlich reizbar, das heißt, noch reizbarer als sonst, ich denke, Sie leiden einfach unter Roarke-Entzug.« Peabody stieß einen wehmütigen Seufzer aus. »Aber wer könnte Ihnen das verdenken?«
»Ich leide weder unter Roarke- noch unter irgendeinem anderen Entzug.« Eve stapfte weiter in dem Wartezimmer auf und ab. Sie hatte endlos lange Beine, machte deshalb immer große Schritte und fühlte sich in dem übermäßig dekorierten Zimmer etwas eingeengt. Ihr seidiges, rehbraunes Haar, das sie noch kürzer trug als ihre Partnerin, fiel in wild zerzausten Strähnen in die großen braunen Augen in ihrem schmalen, scharfkantigen Gesicht. Doch körperliche Schönheit war ihr anders als den Kundinnen und den Patientinnen des Zentrums vollkommen egal.
Sie war nicht ihres Aussehens, sondern eines Todesfalles wegen hier.
Vielleicht fehlte Roarke ihr wirklich, gestand sie sich widerstrebend ein. Aber das war schließlich kein Verbrechen, sondern höchstwahrscheinlich ganz normal. Nur waren ihr die Regeln einer Ehe auch nach über einem Jahr noch nicht vertraut.
Roarke war inzwischen nur noch selten länger als ein, zwei Tage geschäftlich unterwegs, dieses Mal war er jedoch schon beinahe eine ganze Woche fort.
Aber schließlich hatte sie ihn selbst dazu gedrängt, erinnerte sie sich. Denn sie war sich bewusst, dass er seine Arbeit in den letzten Monaten sehr häufig hatte liegen lassen, um ihr bei ihren Ermittlungen zu helfen oder um ganz einfach für sie da zu sein.
Als Eigentümer oder Anteilseigner an den meisten Unternehmen, Kunstbetrieben, Entertainment-Industrien, Grundstücken und Immobilien des bekannten Universums hatte er ständig einige Eisen im Feuer.
Sie kam damit zurecht, wenn sie eine Woche keins dieser Eisen war. Schließlich war sie nicht blöd.
Trotzdem schlief sie in den letzten Nächten nicht besonders gut.
Sie trat vor einen Sessel, doch er war so riesig und so pink, dass sie das Gefühl hatte, als würde jeder, der sich darauf setzte, von einem riesengroßen, dick bemalten Mund verschluckt.
»Was hat Lee-Lee Ten um zwei Uhr in der Frühe in der Küche ihres dreigeschossigen Penthauses gemacht?«
»Vielleicht hatte sie einfach Appetit auf einen späten Snack?«
»Sämtliche Räume ihrer Wohnung sind mit AutoChefs bestückt. «
Eve trat vor eins der großen Fenster, denn sie blickte lieber in den trüben regnerischen Tag als auf das grelle Pink des Warteraums. Bisher war der Herbst des Jahres 2.059 stürmisch, kalt und ekelhaft.
»Alle, mit denen wir bisher gesprochen haben, haben ausgesagt, dass Ten Bryhern Speegal den Laufpass gegeben hatte.«
»Dabei waren die beiden das Paar dieses Sommers«, warf Peabody ein. »Es gab keinen Society-Bericht im Fernsehen und kein Hochglanzmagazin, in dem die beiden nicht vorgekommen wären ... nicht, dass ich meine ganze Freizeit damit zubringe, mir solche Sachen anzusehen. «
»Richtig. Informierten Kreisen zufolge hat sie sich letzte Woche von dem Kerl getrennt. Trotzdem hält sie sich um zwei Uhr morgens mit ihm in ihrer Küche auf. Beide haben Morgenmäntel an, und im Schlafzimmer gibt es Beweise dafür, dass es zu Intimitäten kam.«
»Vielleicht wollte sie sich ja mit ihm versöhnen, aber das hat nicht funktioniert? «
»Dem Portier, den Überwachungsdisketten und ihrem Haushaltsdroiden zufolge ist Speegal um dreiundzwanzig Uhr vierzehn bei ihr aufgetaucht. Der Droide hat ihn eingelassen und wurde danach auf Stand-by gestellt.«
Weingläser im Wohnzimmer, ging es ihr durch den Kopf. Ein Paar Männer-, ein Paar Frauenschuhe und ihr Hemd. Seins hatte achtlos auf der geschwungenen Treppe gelegen, über die man in die obere Etage kam. Ihren Büstenhalter hatte Lee-Lee am oberen Ende des Geländers aufgehängt.
Auch ohne Bluthund konnte Eve die Spur der beiden bis zum Schlafzimmer verfolgen und dort riechen, was zwischen ihnen vorgefallen war.
»Er kommt rüber, er kommt rein, sie setzen sich ins Wohnzimmer, genehmigen sich ein paar Drinks, dann kommt Sex ins Spiel. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er nicht einvernehmlich war. Kein Zeichen eines Kampfes, wenn er sie vergewaltigt hätte, hätte er sie sicher nicht extra die Treppe rauf- und ihr dabei die Kleider vom Leib gezerrt.«
Sie vergaß ihre Aversion gegen den pinkfarbenen Sessels und nahm nachdenklich darauf Platz. »Sie sind also raufgegangen und haben auf der Matratze rumgeturnt. Dann aber sind sie plötzlich wieder unten in der Küche, und es kommt zu einem Kampf. Der Droide hört verdächtige Geräusche, kommt aus seiner Kammer, findet ihn tot und sie bewusstlos auf dem Küchenboden vor und ruft nach einem Krankenwagen und der Polizei.«
Die Küche hatte wie ein Schlachtfeld ausgesehen. Speegal, der verführerischste Mann des Jahres, hatte mit dem Gesicht in Richtung Boden regelrecht in seinem eigenen Blut gebadet, an fast allen Oberflächen in dem riesengroßen, ganz in Silber und in Weiß gehaltenen Raum hatte etwas von der dunkelroten Flüssigkeit geklebt.
Vielleicht hatte der grauenhafte Anblick sie daran erinnert, wie ihr Vater ausgesehen hatte, gestand sie sich widerstrebend ein. Natürlich war der Raum in Dallas nicht so groß und elegant gewesen, doch das Blut war genauso dick und nass geflossen, nachdem das kleine Messer, das sie in der Hand gehalten hatte, ein ums andere Mal in seinen Körper eingedrungen war.
»Manchmal hat man keine andere Möglichkeit«, erklärte Peabody ihr ruhig. »Manchmal hat man keine andere Möglichkeit zu überleben.«
»Nein.« Reizbar überlegte Eve, wenn ihre Partnerin so leicht ihre Gedanken lesen konnte, verlor sie vielleicht allmählich den Verstand. »Manchmal hat man keine andere Möglichkeit.«
Erleichtert stand sie auf, als der Arzt endlich den Raum betrat.
Sie hatte sich bereits gründlich mit dem Mann befasst. Wilfred B. Icove junior war durchaus erfolgreich in die Fußstapfen des Seniors getreten, er herrschte inzwischen autonom über die zahlreichen Stationen der Klinik seines Vaters und war als der sogenannte Bildhauer der Stars bekannt.
Er stand in dem Ruf, verschwiegen wie ein Priester, geschickter als ein Magier und fast so reich wie Roarke zu sein. Mit seinen vierundvierzig Jahren sah er wie ein Filmstar aus. Er hatte leuchtend blaue Augen, hohe, fein geschwungene Wangenknochen, einen straffen Kiefer, eine schmale Nase, einen hübsch geschwungenen Mund und in dichten Wellen aus der Stirn gekämmtes, volles, goldenes Haar.
Er war vielleicht drei Zentimeter größer als die einen Meter fünfundsiebzig große Eve, und selbst in seinem eleganten schiefergrauen Anzug mit den schimmernden kalkweißen Streifen wirkte er durchtrainiert und fit. Er trug ein Hemd in der Farbe der Streifen und an einer haarfeinen Kette hing ein Silbermedaillon um seinen Hals.
Er reichte Eve die Hand und bedachte sie mit einem entschuldigenden Lächeln, durch das sein strahlendes Gebiss vorteilhaft zur Geltung kam. »Es tut mir furchtbar leid. Ich weiß, Sie warten bereits eine halbe Ewigkeit. Ich bin Dr. Icove. Ich bin Lee-Lees - Ms Tens «, verbesserte er sich, »behandelnder Arzt.«
»Lieutenant Dallas von der New Yorker Polizei. Detective Peabody. Wir müssen mit ihr sprechen.«
»Ja, ich weiß. Ich weiß, Sie haben schon versucht, mit ihr zu sprechen, und ich bitte Sie nochmals um Verzeihung wegen der Verzögerung.« Auch seine Stimme klang sehr kultiviert. »Inzwischen ist ihr Anwalt da. Sie ist bei Bewusstsein, und ihr Zustand ist stabil. Sie ist eine starke Frau, Lieutenant, die jedoch sowohl körperlich als auch emotional ein schweres Trauma erlitten hat. Deshalb hoffe ich, dass Ihre Unterhaltung nicht zu lange dauern wird. «
»Das wäre für uns alle schön, nicht wahr ? «
Abermals sah er sie lächelnd an und winkte dann in Richtung Tür. »Sie steht unter Medikamenten«, erklärte er, während er vor den beiden Frauen einen mit Gemälden und Skulpturen makelloser Frauen geschmückten breiten Flur hinunterging. »Aber sie ist völlig klar, und sie möchte dieses Gespräch genauso sehr wie Sie führen. Ich hätte es vorgezogen, mindestens noch einen Tag damit zu warten, und ihr Anwalt ... aber, wie gesagt, sie ist eine starke Frau.«
Icove ignorierte den uniformierten Beamten, der vor der Tür des Krankenzimmers wachte, als wäre er unsichtbar. »Ich wäre gern dabei, um sie während des Gesprächs zu überwachen. «
»Kein Problem.« Eve nickte dem Beamten zu und betrat den Raum.
Er war so luxuriös wie eine Suite in einem Fünf-Sterne-Hotel, und die unzähligen Blumen hätten für die Bepflanzung eines beachtlichen Bereichs des Central Parks gereicht.
Die silbrig schimmernden, blass pinkfarbenen Wände waren mit Gemälden weiblicher Gottheiten verziert. Breite Sessel und glänzende Tische luden die Besucher zum Plaudern oder zum Fernsehen ein.
Der Sichtschutz vor der breiten Fensterfront hinderte Journalisten und vorbeifliegende Pendler daran, in den Raum zu sehen, gab jedoch den Ausblick auf den wunderbaren Park hinter der Klinik frei.
Unter der zart pinkfarbenen Decke mit den weißen Spitzen auf dem breiten Bett lugte ein Gesicht hervor, das den Eindruck machte, als hätte es einen Zusammenstoß mit einem Rammbock hinter sich.
Schwarze Haut, weiße Bandagen, das linke Auge hinter einem Heftpflaster versteckt. Die vollen Lippen, die zum Absatz von Millionen Lippenstiften, Lipgloss und Lippenkühlern beigetragen hatten, waren bis zur Unkenntlichkeit geschwollen und dick mit einer grünen Creme bedeckt. Das volle Haar, das den Verkauf von ungezählten Flaschen Shampoo, Conditioner und Färbemittel gefördert hatte, war zu einem matten roten Mopp aus dem Gesicht gekämmt.
Mit ihrem nicht verklebten Auge blickte die Gestalt auf Eve. Das leuchtende Smaragdgrün ihrer Iris hob sich nur unmerklich von den schillernden Regenbogenfarben, die ihr Auge rahmten, ab.
»Meine Mandantin hat starke Schmerzen«, fing der Anwalt an. »Sie steht unter dem Einfluss von Medikamenten und vor allem unter Stress. Ich ...«
»Halten Sie die Klappe, Charlie.« Die Stimme aus dem Bett klang erschreckend rau und seltsam zischend, der Anwalt presste die Lippen aufeinander und hielt folgsam seinen Mund.
»Sehen Sie mich an«, wandte sich die Frau an Eve. »Sehen Sie sich an, wie dieser Hurensohn mich zugerichtet hat. Vor allem mein Gesicht!«
»Ms Ten ...«
»Ich kenne Sie. Irgendwo habe ich Sie schon mal gesehen.« Lee-Lee sprach deshalb so zischend, weil sie eine Klammer um die Zähne trug, bemerkte Eve jetzt. Ihr Kiefer war gebrochen, das tat sicher höllisch weh. »Ich verdiene mit Gesichtern meinen Lebensunterhalt, und Sie ... Roarke. Sie sind Roarkes Cop. Das ist ja wohl der Hit.«
»Ich bin Lieutenant Eve Dallas. Und das ist Detective Peabody, meine Partnerin.«
»Vor vier oder fünf Jahren habe ich mal ein verregnetes Wochenende in Rom mit ihm im Bett verbracht. Mein Gott, der Mann hat wirklich Stehvermögen, wenn ich das so sagen darf.« Ihre grünen Augen blitzten humorvoll auf. »Stört Sie das?«
»Haben Sie später auch noch Zeit mit ihm im Bett verbracht?«
»Bedauerlicherweise nicht. Nur dieses eine erinnerungswürdige Wochenende in Rom.«
»Dann stört es mich nicht. Aber sprechen wir lieber über das, was vorletzte Nacht zwischen Ihnen und Bryhern Speegal vorgefallen ist.«
»Dieser schwanzlutschende Bastard.«
»Lee-Lee«, tadelte ihr Doktor sanft.
»Tut mir leid. Will hat nichts für Kraftausdrücke übrig. Er hat mir wehgetan. « Sie klappte die Augen zu und atmete langsam ein und aus. »Gott, er hat mir wirklich wehgetan. Kann ich etwas Wasser haben?«
Ihr Anwalt griff nach einem Silberbecher mit einem Silberstrohhalm und hielt ihn ihr an den Mund.
Sie saugte, holte hörbar Luft, saugte noch einmal und tätschelte dem Mann die Hand. »Tut mir leid, Charlie. Tut mir leid, dass ich gesagt habe, dass Sie die Klappe halten sollen. Ich bin einfach nicht in Form.«
»Sie brauchen jetzt nicht mit der Polizei zu sprechen, Lee-Lee. «
»Sie haben meinen Fernseher ausgeschaltet, damit ich nicht höre, was sie über mich erzählen. Aber ich brauche die Glotze gar nicht anzuschalten, um zu wissen, was die Affen und Hyänen von den Medien aus der Geschichte machen. Ich will die Sache klarstellen. Verdammt noch mal, ich will, dass endlich irgendwer erfährt, was wirklich vorgefallen ist.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen, doch sie blinzelte sie wütend fort, und dafür zollte Eve ihr einigen Respekt.
Übersetzung: Uta Hege
Copyright © 2008 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag
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Autoren-Porträt von J. D. Robb
J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts. Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren und veröffentlichte 1981 ihren ersten Roman. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmäßig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.Bibliographische Angaben
- Autor: J. D. Robb
- 2012, Erstmals im TB, 511 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Uta Hege
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442370450
- ISBN-13: 9783442370450
- Erscheinungsdatum: 15.02.2012
Rezension zu „Stich ins Herz / Eve Dallas Bd.21 “
"Fesselnd."
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