Russland im Zangengriff
In gewohnt souveräner Manier schildert Peter Scholl-Latour seine Eindrücke von den russischen Grenzgebieten.
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In gewohnt souveräner Manier schildert Peter Scholl-Latour seine Eindrücke von den russischen Grenzgebieten.
Mit seinem Gespür für kommende Krisenherde hat Peter Scholl-Latour die unruhigen Grenzregionen Russlands bereist: von Weißrussland über die zentralasiatischen GUS-Staaten bis zum chinesisch-russischen Grenzgebiet. Und er kommt zu erschreckenden Schlussfolgerungen: Zwischen Smolensk und Wladiwostock steuert alles auf eine weltpolitische Krise zu.
"Er hat mal wieder Recht behalten."
Der Spiegel
"Auf ganz unpolitologische Weise kommen scharfe politische Analysen zustande, die sich so spannend und anregend wie ein Abenteuerbericht lesen."
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Rußland Im Zangengriff von Peter Scholl-Latour
LESEPROBE
Was habenAfghanistan und die Präsenz deutscher Truppen am Hindukuschmit der Einkreisung Rußlands zu tun, der dieses Buchgewidmet ist? Meine Erkundungsreisen zwischen Minsk und Peking habe ich in denMonaten Juli und August 2006 durch Expeditionen in die heißumkämpfteStadt Kirkuk im Irak, einen Aufenthalt in derIslamischen Republik Iran und in Israel sowie durch diese Bestandsaufnahme inAfghanistan ergänzt. Dort überschneiden sich ja die Kraftlinien. In Kabul stehtdie ratlose Atlantische Allianz vor einem gordischen Knoten, und es ist kein Alexanderin Sicht, der ihn mit seinem Schwert durchschlüge. Das der Bundeswehrzugewiesene Territorium erstreckt sich von dem schmalen Grenzstreifen mit derVolksrepublik China im östlichen Wakhan-Zipfel biszur Provinz Herat, wo die Italiener Wache halten. Herat gilt kulturell als persisches Einflußgebiet.
Im Nordenzieht der Amu Daria, der in seinem Oberlauf Pjantschheißt, die Trennungslinie zwischen dem NATO-Territorium Afghanistans und denzentralasiatischen Republiken Usbekistan und Tadschikistan. Auf das Wohlwollenbeider Regierungen ist die Präsenz der Bundeswehr angewiesen. Der Flugplatz Termes, unmittelbar nördlich des Stroms gelegen, ist die unentbehrlicheRelais-Station für alle deutschen Transporte und Verstärkungen. Da sich dieBeziehungen zwischen dem usbekischen Staatschef Karimow und den USA dramatischverschlechtert haben, mußten behutsame Verhandlungenzwischen Taschkent und Berlin geführt, mußte diePachtgebühr vermutlich wesentlich erhöht werden, um den Verbleib der Luftwaffein Termes zu gewährleisten.
Andersverhält es sich mit Kundus, das durch einevorzügliche Asphaltstraße - von Chinesen gebaut - mit dem Ufer des Pjantsch verbunden ist. Jenseits davon stehen dieGrünmützen der tadschikischen Grenzwächter. Im extremen Ernstfall wäre diedeutsche Garnison von Kundus vermutlich auf dieUnterstützung der 201. russischen Infanteriedivision angewiesen, die weiterhinin der Hauptstadt Duschanbe dafür sorgt, daßTadschikistan nicht in den grauenhaften Bürgerkrieg zurückfällt, an dem dasLand in den neunziger Jahren zu zerbrechen drohte. Zu den Russen müßten sich die Deutschen dann allerdings durchschlagen.
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Der graueHimmel lastet schwer über dem platten Land von Belarus. Die leeren Sowchosen-Felder sind mit einer dünnen, weißen Schichtüberzogen. Vor Baranovicy setzt Schneetreiben ein.Der Nordwind malt Schlieren und Schlangen auf den vereisten schwarzen Asphalt.Die Wälder, die sich an die »Rollbahn« nach Moskau herandrängen - Birken undFichten - gehören bereits jenem endlosen Taiga-Gürtel an, der sich bis zurPazifikküste bei Wladiwostok hinzieht.
Wir fahrenin südwestlicher Richtung von Minsk, der Hauptstadt der Republik Belarus, zurpolnischen Grenze. Unser Ziel dort ist die Festung Brest, die man noch unlängstBrest-Litowsk, »Litauisch-Brest« nannte. »Das ist dasrichtige Wetter, um in Rußland Eroberungskriege zuführen«, doziert Igor, ein junger Historiker der Universität Minsk, der mir alsReisebegleiter empfohlen wurde. »Die Tataren, deren Joch Rußlandfast drei Jahrhunderte erleiden mußte, wußten aus ihren asiatischen Weiten, daßin den frühen Winterwochen, wenn der Boden schon gefroren, die Wasserläufe undSümpfe in Eis erstarrt sind, die optimalen Bedingungen für schnelles Vorrückenherrschen. Iwan IV., der bei uns der Strenge und bei euch der Schreckliche heißt,hat seinen entscheidenden Feldzug zur Rückeroberung des Tataren-Bollwerks Kazan an der mittleren Wolga bei klirrendem Frostunternommen. Die Potentaten der Neuzeit hingegen, sei es nun Bonaparte oderHitler, scheuten vor Winterkampagnen zurück, und das polare Klima wurde ihnenzum Verhängnis.« Mir fällt ein Vers von Victor Hugoüber den Rückzug der »Grande armée « Napoleons ein,die bei ihrer verzweifelten Überquerung der Beresinadem Schneesturm schutzlos ausgeliefert war: »Zwei Feinde gab es, den Zaren undden Nordwind. Der Nordwind war schlimmer. - Deux ennemis,le Tsar, le Nord - le Nord estpire.«
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»Der RotePlatz war leer - la Place Rouge étaitvide«, so beginnt ein sentimentaler Schlager vonGilbert Bécaud. In dieser kalten Vorfrühlingsnachtist die riesige Pflasterfläche vor dem Moskauer Kreml zwar nicht von Menschenverlassen, aber irgendwie erscheint sie mir verödeter als in früheren Jahren.Es dauert eine Weile, bis ich merke, woran das liegt. Die Wachablösung am Marmor-Mausoleumfindet nicht mehr statt. Es sammeln sich keine Gruppen von Neugierigen, um dasmartialische Ballett der wie Roboter exerzierenden Rotarmisten zu bestaunen,die vor der Gruft des Vaters der Oktoberrevolution nach Erreichen ihrerPosition zu Stein erstarrten.
Stattdessenhalten sich dort ein paar Milizionäre auf und plaudern zwanglos. Die wenigenNachtschwärmer, die dem kalten Wind trotzen, streben dem riesigen Kaufhaus GUMzu, wo seit Ende der Sowjetzeit ein bemerkenswerter Wandel stattfand. Die leerenRajons und die spießige Dekoration der kargensozialistischen Jahrzehnte sind exklusiven Boutiquen ausländischer Luxusfirmen gewichen.Die breiten Wandelgänge dieses Riesenbaus, dessen Innengestaltung das Flaireines orientalischen Basars nicht ganz verleugnen kann, werden von elegantenSnack-Bars im Designer- Stil gesäumt, wo die »jeunessedorée« der postkommunistischen Gesellschaft denUntergang des »Paradieses der Werktätigen « nicht mit ordinärem Wodka, sondernmit französischem Champagner begießt. Die jungen, provozierend aufgeputzten Russinnensind oft von betörender Schönheit. Die Fassade des GUM ist durch dieLichterketten zu einem überdimensionalen Knusperhäuschen verunstaltet. Andieser Stelle muß dem Bürgermeister Juri Luschkow, der das Gesamtbild der nächtlichen Metropole mitHilfe von Scheinwerfern und Bestrahlungseffekten künstlerisch verzaubert, dergute Geschmack abhanden gekommen sein.
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Das Eis istnoch kompakt an den Ufern der Wolga. In der Mitte des Stroms ist eine breiteFahrrinne schmutzig-grauen Wassers aufgebrochen. Von Frühling ist wenig zuspüren in der mit Schneefetzen übersäten Ebene. Der schweflig-gelbe Nebel will nichtweichen. Im Westen speien die veralteten Stahlgerüste der petrochemischenIndustrie rostbraunen Qualm aus. Hier und dort fauchen die Flammen derAbfackelungsanlagen wie lodernde Notsignale vor der monotonen Kulissezehnstöckiger Wohnblocks, die wie eine Festungsanlage den Horizont versperren.Die Menschen, die dazu verurteilt sind, in diesen Betonburgen des gescheitertenSozialismus zu leben, müssen sich wie Termiten vorkommen.
Eine ganzandere Perspektive eröffnet sich im Osten, wo die Kazankain die Wolga einmündet. Auf einem Hügel thront das alte, das historische Kazan. Seit meinem letzten Aufenthalt im Juli 1991 hat sichhier ein phänomenaler, bedeutungsvoller Wandel vollzogen. Der Kreml von Kazan war einst ein Bollwerk jener islamischen Tataren-Herrschaftgewesen, die fast dreihundert Jahre lang das Heilige Rußlandunter das Joch der turko-mongolischen Steppenvölkerzwang. Als Iwan der Schreckliche nach mehrfachem, vergeblichem Ansturm dieMauern dieser Zwingburg mit einer für die damalige Zeit ungeheuerlichenPulvermasse sprengte und die Stadt im Jahre 1552 eroberte, ließ er die Moscheenverwüsten und alle Spuren islamischen Lebens auslöschen. Stattdessen recktensich über der nunmehr russischen Festung Kazan bald diegoldenen Zwiebeltürme der christlichen Orthodoxie. Auf deren Spitze - wie überdem Moskauer Kreml und so vielen russischen Pilgerstätten - durchbohrte dassiegreiche Kreuz den islamischen Halbmond, symbolisierte somit den Triumph der Christenheitüber die verhaßte »Irrlehre« des Propheten Mohammed. Sogarder Spasskiturm, der Erlöserturm des Moskauer Vorbildes,wurde in Kazan nachgeahmt.
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© Propyläen Verlag
Interview mit Peter Scholl-Latour
"Der Fluch des neuenJahrtausends" enthält über 100 Kolumnen und Filmskripte aus den Jahren1997 bis 2001. Was macht die Texte heute noch aktuell?
Zunächsteinmal finde ich es erstaunlich, welch hohe Auflage dieses Buch erreicht hat.Es sind ja im Wesentlichen Artikel übernommen, die ich für die "SchweizerIllustrierte" geschrieben habe. Ich hatte meinen Lektor gebeten, er solledie Artikel zusammenstellen. Aber der Erfolg beweist ja, wie aktuell meineTexte sind und dass sich meine Prognosen fast durchgehend erfüllt haben.
Sie widmen sichKriegsschauplätzen weltweit - von Bosnien bis Kongo. Hat Sie eine der Regionen,in denen Sie gearbeitet haben, ganz besonders geprägt?
Ichfinde, im Alter von 80 Jahren und mit 60 Jahren Berufserfahrung kann man das sonicht sagen. Afrika zum Beispiel hat mich sehr geprägt. Ich halte"Afrikanische Totenklage" für eines meiner besten Bücher. DieBerichterstattung aus Indochina hat mich wohl noch stärker beeinflusst. 1951hatte ich meine erste große Orientreise unternommen. In Paris und Beirutstudierte ich Politikwissenschaft sowie Arabistik und Islamkunde. Ichberichtete aber auch über den Vietnamkrieg und war Korrespondent in Paris. Seitdem Frankreich-Exil von Ayatollah Khomeini lässt mich der Islam nicht mehr los.Den Irak kenne ich seit meiner ersten Orientreise. Ich war auch beim erstenGolfkrieg, dem bei weitem blutigsten dabei, und ich kenne beide Seiten desKonfliktes - die irakische und die iranische. Wenn man heute allerorten vonGlobalisierung spricht, ergibt sich daraus auch eines: Man muss sämtlicheWeltregionen kennen, die aufeinander einwirken.
Alsdamals mein Buch "Das Schwert des Islam", eine Wiedergabe vonFernsehskripten, erschien, sind viele Orientalisten über mich hergefallen.Heute bin ich derjenige, der zur Mäßigung rät und gegen antiislamischeTendenzen argumentiert. Wir haben es mit einer revolutionären Bewegung zu tun,die im Westen auf totales Unverständnis stößt.
Zum 11. September 2001:Hätte dieser bislang schlimmste aller Terroranschläge Ihrer Einschätzung nachverhindert werden können?
Dasist reine Spekulation. Man kann einen Terroranschlag nicht verhindern. Und wirkennen noch nicht alle Hintergründe der Anschläge. Sie sind nicht nur inAfghanistan und in Hamburg ausgeheckt worden. Es muss arabische Unterstützungin den USA gegeben haben. Die Familie bin Laden war ja zum Beispiel starkvertreten in den USA.
Wenn Sie ein Berater derBundesregierung wären - gibt es einen Rat, den Sie ihr für die künftigeAußenpolitik geben würden?
Ichwürde raten aufzurüsten. Wir brauchen eine schnelle Interventionsarmee, eineElitetruppe, die zahlenmäßig nicht groß sein muss. Und wir brauchen nukleareAbschreckung. Deutschland muss mit den starken europäischen Partnernzusammenarbeiten. Das sind Großbritannien und Frankreich. Und da London starkan Washington gebunden ist, kommt als Partner im Moment nur Frankreich inFrage. Die NATO als Gremium ist überholt. Wenn die Amerikaner Torheitenbegehen, muss Widerspruch möglich sein. Die Entscheidungsstränge müssen auch inEuropa zusammenlaufen. Zum Beispiel kann uns die Expedition nach Afghanistannoch teuer zu stehen kommen.
Die Fragenstellte Roland Große Holtforth, literaturtest.de
- Autor: Peter Scholl-Latour
- 2007, Nachauflage, 432 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Maße: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548369790
- ISBN-13: 9783548369792
- Erscheinungsdatum: 15.10.2007
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