Meisterdiebin
Roman
Stehlen und Stehlen lassen: Das nächste große Ding der Meisterklasse
Seit zwei Monaten ist Katarina Bishop berühmt: als Anführerin der Diebesbande, die das sicherste Museum der Welt beraubt hat. Sehr zum Missfallen der Verwandtschaft will sie aber immer...
Seit zwei Monaten ist Katarina Bishop berühmt: als Anführerin der Diebesbande, die das sicherste Museum der Welt beraubt hat. Sehr zum Missfallen der Verwandtschaft will sie aber immer...
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Produktinformationen zu „Meisterdiebin “
Klappentext zu „Meisterdiebin “
Stehlen und Stehlen lassen: Das nächste große Ding der MeisterklasseSeit zwei Monaten ist Katarina Bishop berühmt: als Anführerin der Diebesbande, die das sicherste Museum der Welt beraubt hat. Sehr zum Missfallen der Verwandtschaft will sie aber immer noch nicht die Familientradition als gewöhnliche Kriminelle fortsetzen. Die Meisterdiebin Kat spezialisiert sich auf anderes: Sie bringt verschwundene Wertgegenstände ihren rechtmäßigen Besitzern, sie stiehlt sie zurück.
Als sie von einer alten Dame den Auftrag erhält, den Kleopatra-Smaragd wiederzubeschaffen, kann Kat der Herausforderung nicht widerstehen. Doch es gibt drei Probleme. Erstens: Der Stein wurde seit über dreißig Jahren nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Zweitens: Er bleibt nie lange bei demjenigen, der ihn gerade hat. Doch das dritte Problem bereitet Kat und ihrer Crew die meisten Sorgen: Der Kleopatra-Smaragd ist verflucht. Auf der Jagd rund um den Globus stellt Kat fest, dass die althergebrachten Tricks diesmal nichts nutzen. Also folgt sie ihren eigenen Regeln ...
Lese-Probe zu „Meisterdiebin “
Meisterdiebin von Ally Carter Moskau kann im Winter eine kalte, strenge Stadt sein. Das große alte Haus am Twerskoi-Boulevard jedoch schien speziell dagegen stets immun gewesen zu sein, ebenso wie gegen vieles andere. Während sich unter der Zarenherrschaft die Warteschlangen der Bedürftigen vor den Nahrungsmittelausgabestellen durch die Straßen zogen, gab es in dem großen Haus Kaviar. Während das übrige Russland zitternd dem sibirischen Wind ausgesetzt war, gab es in diesem Haus in jedem Zimmer Kaminfeuer und Gaslicht. Und als der Zweite Weltkrieg vorüber war und Städte wie Leningrad und Berlin nur noch aus Schutt und zerfallenden Mauern bestanden, mussten die Bewohner des großen Hauses am Twerskoi-Boulevard nur zum Hammer greifen und am oberen Treppenabsatz einen einzigen Nagel in die Wand schlagen - für ein Gemälde - , um das Ende eines langen Krieges zu markieren. Das Gemälde war klein, es maß nur etwa zwanzig mal fünfundzwanzig Zentimeter. Die Pinselstriche waren mit leichter Hand, aber akribisch ausgeführt. Und der Gegenstand, die Landschaft der Provence, war einst ein Lieblingssujet eines Künstlers namens Cézanne gewesen.
... mehr
Man sprach im Haus nicht darüber, wie das Gemälde dorthin gelangt war. Kein Angehöriger des Personals fragte jemals den Hausherrn, einen hochrangigen Sowjetfunktionär, nach dem Gemälde oder welche Leistungen im Kampf oder darüber hinaus ihm eine solch fürstliche Beute eingetragen hatten. Das Haus am Twerskoi-Boulevard war kein Ort für Geschichten, das wusste jeder. Überdies war der Krieg vorüber. Die Nazis hatten verloren. Und die Beute ging an die Sieger. Oder wie in diesem Fall das Gemälde. Irgendwann verblich die Tapete, und bald erinnerte sich kaum noch jemand an den Mann, der das Gemälde aus dem frisch befreiten Ostdeutschland mitgebracht hatte. Keiner der Nachbarn wagte, die Buchstaben K G B zu flüstern. Keiner der alten Sozialisten oder der neuen oberen Zehntausend, die zu Partys durch die offenen Türen strömten, wagte es jemals, die Russen-Mafia zu erwähnen. Doch das Gemälde hing noch immer dort, die Musik spielte weiter, und die Party selbst schien anzudauern - sie hallte bis hinaus auf die Straße, wo sie in der eisigen Nachtluft verklang.
Die Party am ersten Freitag im Februar war eine Wohltätigkeitsveranstaltung - für welchen Zweck oder welche Stiftung allerdings, wusste eigentlich niemand. Es spielte keine Rolle. Die üblichen Gäste waren geladen. Der übliche Koch bereitete die üblichen Speisen zu. Die Männer standen da und rauchten die üblichen Zigarren und tranken den üblichen Wodka. Und selbstverständlich hing dasselbe Gemälde wie üblich am oberen Treppenabsatz und blickte auf die Partygäste hinab. Doch eine der Anwesenden gehörte in Wirklichkeit nicht zu den üblichen Gästen. Als sie dem Mann an der Tür einen Namen von der Liste nannte, wies ihr Russisch einen leichten Akzent auf. Als sie dem Dienstmädchen ihren Mantel reichte, schien niemandem aufzufallen, dass er viel zu leicht war für jemanden, der schon lange in Moskau lebte. Sie war zu klein; das schwarze Haar rahmte ein Gesicht ein, das in jeder Hinsicht viel zu jung war. Die Frauen musterten sie, wenn sie vorüberging, taxierten die Konkurrenz. Die Männer nahmen kaum Notiz von ihr. Sie knabberte am Essen, trank hin und wieder einen kleinen Schluck und wartete ab, bis es spät wurde und die übrigen Gäste angeheitert waren. Als es endlich so weit war, achtete keine Menschenseele auf das Mädchen mit der glatten, blassen Haut, das die Treppe hinaufging und das kleine Gemälde vom Nagel abhängte. Das Mädchen ging zum Fenster. Und sprang. Und weder das Haus am Twerskoi-Boulevard noch seine Bewohner sahen das Mädchen oder das Gemälde jemals wieder.
Niemand besucht Moskau im Februar einfach nur zum Vergnügen. Vielleicht lag es also daran, dass die Zollbeamtin die unterdurchschnittlich große Jugendliche in der Schlange mit den Geschäftsleuten und Exilrussen, welche an diesem Tag auf der Flucht vor dem russischen Winter in New York eintrafen, so neugierig musterte. »Wie lange waren Sie in Russland?«, fragte die Beamtin. »Drei Tage«, erwiderte das Mädchen. »Haben Sie etwas zu verzollen?« Die Zollbeamtin senkte den Kopf und musterte das Mädchen über den Rand ihrer Halbbrille hinweg. »Haben Sie irgendetwas mitgebracht, Schätzchen?« Das Mädchen schien darüber nachzudenken, dann schüttelte es den Kopf. »Nein.« »Reisen Sie allein?«, fragte die Frau und klang dabei weniger wie eine Staatsbedienstete in Erfüllung ihrer Pflichten, sondern eher wie eine Mutter, die beunruhigt war bei der Vorstellung, dass ein so junges Mädchen womöglich allein durch die Welt reiste. Doch das Mädchen lächelte allem Anschein nach völlig unbekümmert und antwortete: »Ja.«
»Und sind Sie aus geschäftlichen Gründen oder zum Vergnügen gereist?«, fragte die Frau und blickte vom blassblauen Zollformular hoch in die strahlend blauen Augen des Mädchens. »Zum Vergnügen«, erwiderte das junge Mädchen und nahm den Pass wieder an sich. »Ich musste zu einer Party.«
Zwar war Katarina Bishop gerade erst wieder in New York gelandet, doch als sie an diesem Samstagnachmittag durch den Flughafen ging, schweiften ihre Gedanken unwillkürlich zu all den Orten, die sie noch aufsuchen musste. Da waren ein Klimt in Kairo, ein sehr hübscher Rembrandt, der angeblich in einer Höhle in den Schweizer Alpen versteckt war, und eine Statue von Bartolini, die zuletzt in den Außenbezirken von Buenos Aires gesichtet worden war. Insgesamt waren es mindestens ein halbes Dutzend Jobs, die als Nächstes auf sie zukommen konnten, und Kats Gedanken wanderten wie durch ein Labyrinth von einem zum anderen. Doch was am schwersten auf ihr lastete, waren die Jobs, von denen sie noch nichts wusste - die geplünderten Schätze, die bisher niemand gefunden hatte. Die Nazis hatten eine Armee benötigt, um sie alle zu stehlen, sagte sie sich. Sie selbst war jedoch nur ein einziges Mädchen - eine einzige Diebin. Sie rief sich in Erinnerung, dass es ein Leben lang dauern konnte, sie alle zurückzustehlen, und fühlte sich urplötzlich erschöpft.
Als sie die lange Rolltreppe abwärts betrat, ahnte Kat nichts von dem hochgewachsenen Jungen mit den breiten Schultern hinter ihr, bis sie spürte, wie die schwere Tasche ihr sanft von der Schulter gehoben wurde. Sie wandte sich um und sah hoch, doch sie lächelte nicht. »Versuch lieber nicht, die zu stehlen«, sagte sie. Der Junge zuckte die Achseln und griff nach dem kleinen Rollkoffer zu ihren Füßen. »Das würde ich nicht wagen.« »Ich bin nämlich ein hervorragender Schreihals.« »Das bezweifle ich nicht.« »Und eine hervorragende Kämpferin. Meine Cousine hat mir diese Nagelfeile geschenkt - das Ding ist wie ein Schnappmesser.« Der Junge nickte bedächtig. »Das werde ich mir merken. « Als sie das untere Ende der Rolltreppe erreichten und Kat die Füße auf den glatten Boden setzte, ging ihr auf, wie verrückt - und unglaublich nachlässig - es von ihr gewesen war, den Jungen nicht zu bemerken, den alle anderen Frauen im Terminal offen anstarrten. Das lag nicht daran, dass er gut aussah (obwohl er das tat); es lag nicht daran, dass er reich war (obwohl auch das unbestreitbar war); W. W. Hale der Fünfte hatte einfach etwas Besonderes an sich - ein Selbstvertrauen, von dem Kat wusste, dass man es nicht kaufen konnte (und ziemlich sicher auch niemals stehlen). Also ließ sie ihn ihr Gepäck tragen. Er ging so dicht neben ihr, dass ihre Schulter den Ärmel seines schweren Wollmantels streifte, doch sie protestierte nicht. Darüber hinaus berührten sie sich allerdings nicht. Er sah sie nicht einmal an, als er sagte: »Ich hätte den Jet geschickt.« »Ach« - sie sah zu ihm hoch - , »ich will Meilen sammeln. « »Oh, na dann, wenn das so ist ...« Einen Sekundenbruchteil später tauchte Kats Pass wie durch Zauberei in Hales Hand auf. »Also, wie war es in Moskau, Ms ... McMurray? « Er musterte sie. »Du siehst nicht wie eine Sue aus.« »In Moskau war es kalt«, erwiderte Kat. Er blätterte eine Seite im Pass um und betrachtete die Stempel. »Und in Rio?« »Heiß.« »Und - « »Ich dachte, mein Vater und Onkel Eddie hätten dich nach Uruguay zitiert?« Unvermittelt blieb sie stehen. »Paraguay«, berichtigte er sie. »Und es war eher eine Einladung. Ich habe mit Bedauern abgelehnt. Außerdem hätte ich eigentlich gerne bei einer aufregenden Nacht- und Nebelaktion ein Gemälde aus einem herrschaftlichen Haus voller Ex-KGBs geraubt.« Er seufzte tief auf. »Zu schade, dass ich dazu keine Einladung erhalten habe.« Kat sah ihn an. »Es war eher eine langweilige Herumstehen- und Warten-Aktion.« »Zu schade.« Hale lächelte, doch Kat fand wenig Wärme in seinem Blick. »Man hat mir nämlich gesagt, dass ich Smokings wirklich gut tragen kann.«
Das wusste Kat. Sie war sogar dabei gewesen, als ihre Cousine Gabrielle es ihm gesagt hatte. Doch eigentlich ging es hier gar nicht um Smokings, wie Kat sehr wohl wusste. »Es war ein leichter Job, Hale.« Kat erinnerte sich an den kalten Wind in ihren Haaren, als sie am offenen Fenster gestanden hatte. Sie dachte an den verwaisten Nagel, der vermutlich erst heute Morgen aufgefallen war, und musste lachen. »Total leicht. Du hättest dich gelangweilt.« »Klar«, erwiderte er. »Weil leicht und langweilig ja auch das ist, was einem gemeinhin zum KGB einfällt.« »Es gab keine Probleme, Hale.« Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Ich meine es ernst. Das war ein Job für eine Person. Wenn deine Hilfe nötig gewesen wäre, hätte ich dich angerufen, aber - « »Dann hast du meine Hilfe wohl einfach nicht gebraucht. « »Die Familie ist in Uruguay.« »Paraguay«, berichtigte er sie. »Die Familie ist in Paraguay«, sagte Kat lauter, doch dann wurde sie unwillkürlich wieder leise. »Ich dachte, du bist bei der Familie.« Er trat auf sie zu, streckte die Hand aus und ließ den Pass in ihre Jackentasche gleiten, unmittelbar über ihrem Herzen. »Nicht dass du den noch verlierst.« Als er auf den Ausgang zuging, beobachtete Kat, wie die großen gläsernen Schiebetüren sich öffneten. Sie wappnete sich gegen den eisigen Wind, doch Hale schien immun gegen die Kälte zu sein. Er drehte sich um und rief: »Also, ein Cézanne, ja?« Sie hielt zwei Finger wenige Zentimeter auseinander. »Nur ein kleiner ... Weatherby?«, riet sie, doch Hale lachte bloß, während ein langes schwarzes Auto am Bordstein hielt. »Wendell?«, riet Kat erneut und eilte zum Auto. Sie glitt zwischen den Jungen und das Auto, und als sie so dort stand, das Gesicht dicht an seinem, da schien es völlig unwichtig zu sein, wofür die Ws in seinem Namen standen. Die Gründe, deretwegen sie den ganzen Winter gearbeitet hatte, trug der Wind davon. Hale ist hier. Doch dann rückte er näher an sie heran - an sie und eine Linie, hinter die man nicht mehr zurückkonnte, wenn sie erst einmal überschritten war - , und Kat spürte, wie ihr Herz schneller schlug. »Verzeihung«, sagte eine tiefe Stimme. »Verzeihung, Miss.« Kat benötigte einen Augenblick, bis diese Worte zu ihr durchdrangen und sie so weit zurücktrat, dass der Mann nach der Autotür greifen konnte. Er hatte graues Haar, graue Augen und trug einen grauen Wollmantel, und Kat fand, das hatte den Effekt, dass er teils Butler, teils Fahrer und teils ganz buchstäblich der Mann aus Stahl zu sein schien. »Sie haben mich vermisst, nicht wahr, Marcus?«, fragte sie, als er ihr Gepäck nahm und mit anmutiger Selbstverständlichkeit zum offenen Kofferraum trug. »In der Tat«, erwiderte er mit deutlichem britischen Akzent, dessen Herkunft festzustellen Kat schon längst aufgegeben hatte. Dann legte er den Finger an die Mütze und ergänzte: »Willkommen zu Hause, Miss.« »Ja, Kat«, sagte Hale gedehnt. »Willkommen zu Hause.« Im Wagen war es zweifellos warm. Die Straßen zu Onkel Eddies Brownstone-Haus oder zu Hales Landsitz waren alle frei von Eis und Schnee, und Kat und Hale hätten innerhalb einer Stunde an einem trockenen, sicheren Ort sein können. Doch Marcus' Hand lag eine Sekunde zu lang auf dem Türgriff. Fünfzehn Jahre als Onkel Eddies Großnichte und Bobby Bishops Tochter hatten Kats Sinne ein wenig zu sehr geschärft. Und der Wind wehte genau in die richtige Richtung, perfekt darauf abgestimmt, die Stimme zu ihr zu tragen, die nur ein Wort rief: »Katarina!«
In Kats gesamtem Leben riefen nur drei Menschen sie routinemäßig bei ihrem vollen Vornamen. Einer hatte eine tiefe, barsche Stimme und gab zurzeit in Paraguay Anweisungen. Oder auch in Uruguay. Einer hatte eine sanfte, freundliche Stimme und befand sich in Warschau, wo er einen lange verlorenen Cézanne untersuchte und Pläne schmiedete, ihn nach Hause zurückzubringen. Doch es war die letzte Stimme, die Kat fürchtete, als sie herumfuhr, denn der Mann, dem sie gehörte, wollte sie höchstwahrscheinlich töten. Kats Blick wanderte über die lange Schlange von Taxis, die Fahrgäste aufnahmen, über die Reisenden, die jemanden begrüßten oder zum Abschied umarmten. Sie wartete. Sie beobachtete. Doch von den drei besagten Menschen war niemand zu sehen. »Katarina?« Eine Frau kam auf sie zu. Sie hatte weißes Haar und gütige Augen und trug einen langen Tweedmantel sowie um den Hals einen handgestrickten Schal. Der junge Mann an ihrer Seite hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt. Die beiden bewegten sich langsam auf sie zu - als wäre Kat aus Rauch gemacht und könnte jeden Augenblick vom Wind verweht werden. »Sind Sie die Katarina Bishop?«, fragte die Frau mit aufgerissenen Augen. »Sind Sie das Mädchen, das das Henley ausgeraubt hat?«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Man sprach im Haus nicht darüber, wie das Gemälde dorthin gelangt war. Kein Angehöriger des Personals fragte jemals den Hausherrn, einen hochrangigen Sowjetfunktionär, nach dem Gemälde oder welche Leistungen im Kampf oder darüber hinaus ihm eine solch fürstliche Beute eingetragen hatten. Das Haus am Twerskoi-Boulevard war kein Ort für Geschichten, das wusste jeder. Überdies war der Krieg vorüber. Die Nazis hatten verloren. Und die Beute ging an die Sieger. Oder wie in diesem Fall das Gemälde. Irgendwann verblich die Tapete, und bald erinnerte sich kaum noch jemand an den Mann, der das Gemälde aus dem frisch befreiten Ostdeutschland mitgebracht hatte. Keiner der Nachbarn wagte, die Buchstaben K G B zu flüstern. Keiner der alten Sozialisten oder der neuen oberen Zehntausend, die zu Partys durch die offenen Türen strömten, wagte es jemals, die Russen-Mafia zu erwähnen. Doch das Gemälde hing noch immer dort, die Musik spielte weiter, und die Party selbst schien anzudauern - sie hallte bis hinaus auf die Straße, wo sie in der eisigen Nachtluft verklang.
Die Party am ersten Freitag im Februar war eine Wohltätigkeitsveranstaltung - für welchen Zweck oder welche Stiftung allerdings, wusste eigentlich niemand. Es spielte keine Rolle. Die üblichen Gäste waren geladen. Der übliche Koch bereitete die üblichen Speisen zu. Die Männer standen da und rauchten die üblichen Zigarren und tranken den üblichen Wodka. Und selbstverständlich hing dasselbe Gemälde wie üblich am oberen Treppenabsatz und blickte auf die Partygäste hinab. Doch eine der Anwesenden gehörte in Wirklichkeit nicht zu den üblichen Gästen. Als sie dem Mann an der Tür einen Namen von der Liste nannte, wies ihr Russisch einen leichten Akzent auf. Als sie dem Dienstmädchen ihren Mantel reichte, schien niemandem aufzufallen, dass er viel zu leicht war für jemanden, der schon lange in Moskau lebte. Sie war zu klein; das schwarze Haar rahmte ein Gesicht ein, das in jeder Hinsicht viel zu jung war. Die Frauen musterten sie, wenn sie vorüberging, taxierten die Konkurrenz. Die Männer nahmen kaum Notiz von ihr. Sie knabberte am Essen, trank hin und wieder einen kleinen Schluck und wartete ab, bis es spät wurde und die übrigen Gäste angeheitert waren. Als es endlich so weit war, achtete keine Menschenseele auf das Mädchen mit der glatten, blassen Haut, das die Treppe hinaufging und das kleine Gemälde vom Nagel abhängte. Das Mädchen ging zum Fenster. Und sprang. Und weder das Haus am Twerskoi-Boulevard noch seine Bewohner sahen das Mädchen oder das Gemälde jemals wieder.
Niemand besucht Moskau im Februar einfach nur zum Vergnügen. Vielleicht lag es also daran, dass die Zollbeamtin die unterdurchschnittlich große Jugendliche in der Schlange mit den Geschäftsleuten und Exilrussen, welche an diesem Tag auf der Flucht vor dem russischen Winter in New York eintrafen, so neugierig musterte. »Wie lange waren Sie in Russland?«, fragte die Beamtin. »Drei Tage«, erwiderte das Mädchen. »Haben Sie etwas zu verzollen?« Die Zollbeamtin senkte den Kopf und musterte das Mädchen über den Rand ihrer Halbbrille hinweg. »Haben Sie irgendetwas mitgebracht, Schätzchen?« Das Mädchen schien darüber nachzudenken, dann schüttelte es den Kopf. »Nein.« »Reisen Sie allein?«, fragte die Frau und klang dabei weniger wie eine Staatsbedienstete in Erfüllung ihrer Pflichten, sondern eher wie eine Mutter, die beunruhigt war bei der Vorstellung, dass ein so junges Mädchen womöglich allein durch die Welt reiste. Doch das Mädchen lächelte allem Anschein nach völlig unbekümmert und antwortete: »Ja.«
»Und sind Sie aus geschäftlichen Gründen oder zum Vergnügen gereist?«, fragte die Frau und blickte vom blassblauen Zollformular hoch in die strahlend blauen Augen des Mädchens. »Zum Vergnügen«, erwiderte das junge Mädchen und nahm den Pass wieder an sich. »Ich musste zu einer Party.«
Zwar war Katarina Bishop gerade erst wieder in New York gelandet, doch als sie an diesem Samstagnachmittag durch den Flughafen ging, schweiften ihre Gedanken unwillkürlich zu all den Orten, die sie noch aufsuchen musste. Da waren ein Klimt in Kairo, ein sehr hübscher Rembrandt, der angeblich in einer Höhle in den Schweizer Alpen versteckt war, und eine Statue von Bartolini, die zuletzt in den Außenbezirken von Buenos Aires gesichtet worden war. Insgesamt waren es mindestens ein halbes Dutzend Jobs, die als Nächstes auf sie zukommen konnten, und Kats Gedanken wanderten wie durch ein Labyrinth von einem zum anderen. Doch was am schwersten auf ihr lastete, waren die Jobs, von denen sie noch nichts wusste - die geplünderten Schätze, die bisher niemand gefunden hatte. Die Nazis hatten eine Armee benötigt, um sie alle zu stehlen, sagte sie sich. Sie selbst war jedoch nur ein einziges Mädchen - eine einzige Diebin. Sie rief sich in Erinnerung, dass es ein Leben lang dauern konnte, sie alle zurückzustehlen, und fühlte sich urplötzlich erschöpft.
Als sie die lange Rolltreppe abwärts betrat, ahnte Kat nichts von dem hochgewachsenen Jungen mit den breiten Schultern hinter ihr, bis sie spürte, wie die schwere Tasche ihr sanft von der Schulter gehoben wurde. Sie wandte sich um und sah hoch, doch sie lächelte nicht. »Versuch lieber nicht, die zu stehlen«, sagte sie. Der Junge zuckte die Achseln und griff nach dem kleinen Rollkoffer zu ihren Füßen. »Das würde ich nicht wagen.« »Ich bin nämlich ein hervorragender Schreihals.« »Das bezweifle ich nicht.« »Und eine hervorragende Kämpferin. Meine Cousine hat mir diese Nagelfeile geschenkt - das Ding ist wie ein Schnappmesser.« Der Junge nickte bedächtig. »Das werde ich mir merken. « Als sie das untere Ende der Rolltreppe erreichten und Kat die Füße auf den glatten Boden setzte, ging ihr auf, wie verrückt - und unglaublich nachlässig - es von ihr gewesen war, den Jungen nicht zu bemerken, den alle anderen Frauen im Terminal offen anstarrten. Das lag nicht daran, dass er gut aussah (obwohl er das tat); es lag nicht daran, dass er reich war (obwohl auch das unbestreitbar war); W. W. Hale der Fünfte hatte einfach etwas Besonderes an sich - ein Selbstvertrauen, von dem Kat wusste, dass man es nicht kaufen konnte (und ziemlich sicher auch niemals stehlen). Also ließ sie ihn ihr Gepäck tragen. Er ging so dicht neben ihr, dass ihre Schulter den Ärmel seines schweren Wollmantels streifte, doch sie protestierte nicht. Darüber hinaus berührten sie sich allerdings nicht. Er sah sie nicht einmal an, als er sagte: »Ich hätte den Jet geschickt.« »Ach« - sie sah zu ihm hoch - , »ich will Meilen sammeln. « »Oh, na dann, wenn das so ist ...« Einen Sekundenbruchteil später tauchte Kats Pass wie durch Zauberei in Hales Hand auf. »Also, wie war es in Moskau, Ms ... McMurray? « Er musterte sie. »Du siehst nicht wie eine Sue aus.« »In Moskau war es kalt«, erwiderte Kat. Er blätterte eine Seite im Pass um und betrachtete die Stempel. »Und in Rio?« »Heiß.« »Und - « »Ich dachte, mein Vater und Onkel Eddie hätten dich nach Uruguay zitiert?« Unvermittelt blieb sie stehen. »Paraguay«, berichtigte er sie. »Und es war eher eine Einladung. Ich habe mit Bedauern abgelehnt. Außerdem hätte ich eigentlich gerne bei einer aufregenden Nacht- und Nebelaktion ein Gemälde aus einem herrschaftlichen Haus voller Ex-KGBs geraubt.« Er seufzte tief auf. »Zu schade, dass ich dazu keine Einladung erhalten habe.« Kat sah ihn an. »Es war eher eine langweilige Herumstehen- und Warten-Aktion.« »Zu schade.« Hale lächelte, doch Kat fand wenig Wärme in seinem Blick. »Man hat mir nämlich gesagt, dass ich Smokings wirklich gut tragen kann.«
Das wusste Kat. Sie war sogar dabei gewesen, als ihre Cousine Gabrielle es ihm gesagt hatte. Doch eigentlich ging es hier gar nicht um Smokings, wie Kat sehr wohl wusste. »Es war ein leichter Job, Hale.« Kat erinnerte sich an den kalten Wind in ihren Haaren, als sie am offenen Fenster gestanden hatte. Sie dachte an den verwaisten Nagel, der vermutlich erst heute Morgen aufgefallen war, und musste lachen. »Total leicht. Du hättest dich gelangweilt.« »Klar«, erwiderte er. »Weil leicht und langweilig ja auch das ist, was einem gemeinhin zum KGB einfällt.« »Es gab keine Probleme, Hale.« Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Ich meine es ernst. Das war ein Job für eine Person. Wenn deine Hilfe nötig gewesen wäre, hätte ich dich angerufen, aber - « »Dann hast du meine Hilfe wohl einfach nicht gebraucht. « »Die Familie ist in Uruguay.« »Paraguay«, berichtigte er sie. »Die Familie ist in Paraguay«, sagte Kat lauter, doch dann wurde sie unwillkürlich wieder leise. »Ich dachte, du bist bei der Familie.« Er trat auf sie zu, streckte die Hand aus und ließ den Pass in ihre Jackentasche gleiten, unmittelbar über ihrem Herzen. »Nicht dass du den noch verlierst.« Als er auf den Ausgang zuging, beobachtete Kat, wie die großen gläsernen Schiebetüren sich öffneten. Sie wappnete sich gegen den eisigen Wind, doch Hale schien immun gegen die Kälte zu sein. Er drehte sich um und rief: »Also, ein Cézanne, ja?« Sie hielt zwei Finger wenige Zentimeter auseinander. »Nur ein kleiner ... Weatherby?«, riet sie, doch Hale lachte bloß, während ein langes schwarzes Auto am Bordstein hielt. »Wendell?«, riet Kat erneut und eilte zum Auto. Sie glitt zwischen den Jungen und das Auto, und als sie so dort stand, das Gesicht dicht an seinem, da schien es völlig unwichtig zu sein, wofür die Ws in seinem Namen standen. Die Gründe, deretwegen sie den ganzen Winter gearbeitet hatte, trug der Wind davon. Hale ist hier. Doch dann rückte er näher an sie heran - an sie und eine Linie, hinter die man nicht mehr zurückkonnte, wenn sie erst einmal überschritten war - , und Kat spürte, wie ihr Herz schneller schlug. »Verzeihung«, sagte eine tiefe Stimme. »Verzeihung, Miss.« Kat benötigte einen Augenblick, bis diese Worte zu ihr durchdrangen und sie so weit zurücktrat, dass der Mann nach der Autotür greifen konnte. Er hatte graues Haar, graue Augen und trug einen grauen Wollmantel, und Kat fand, das hatte den Effekt, dass er teils Butler, teils Fahrer und teils ganz buchstäblich der Mann aus Stahl zu sein schien. »Sie haben mich vermisst, nicht wahr, Marcus?«, fragte sie, als er ihr Gepäck nahm und mit anmutiger Selbstverständlichkeit zum offenen Kofferraum trug. »In der Tat«, erwiderte er mit deutlichem britischen Akzent, dessen Herkunft festzustellen Kat schon längst aufgegeben hatte. Dann legte er den Finger an die Mütze und ergänzte: »Willkommen zu Hause, Miss.« »Ja, Kat«, sagte Hale gedehnt. »Willkommen zu Hause.« Im Wagen war es zweifellos warm. Die Straßen zu Onkel Eddies Brownstone-Haus oder zu Hales Landsitz waren alle frei von Eis und Schnee, und Kat und Hale hätten innerhalb einer Stunde an einem trockenen, sicheren Ort sein können. Doch Marcus' Hand lag eine Sekunde zu lang auf dem Türgriff. Fünfzehn Jahre als Onkel Eddies Großnichte und Bobby Bishops Tochter hatten Kats Sinne ein wenig zu sehr geschärft. Und der Wind wehte genau in die richtige Richtung, perfekt darauf abgestimmt, die Stimme zu ihr zu tragen, die nur ein Wort rief: »Katarina!«
In Kats gesamtem Leben riefen nur drei Menschen sie routinemäßig bei ihrem vollen Vornamen. Einer hatte eine tiefe, barsche Stimme und gab zurzeit in Paraguay Anweisungen. Oder auch in Uruguay. Einer hatte eine sanfte, freundliche Stimme und befand sich in Warschau, wo er einen lange verlorenen Cézanne untersuchte und Pläne schmiedete, ihn nach Hause zurückzubringen. Doch es war die letzte Stimme, die Kat fürchtete, als sie herumfuhr, denn der Mann, dem sie gehörte, wollte sie höchstwahrscheinlich töten. Kats Blick wanderte über die lange Schlange von Taxis, die Fahrgäste aufnahmen, über die Reisenden, die jemanden begrüßten oder zum Abschied umarmten. Sie wartete. Sie beobachtete. Doch von den drei besagten Menschen war niemand zu sehen. »Katarina?« Eine Frau kam auf sie zu. Sie hatte weißes Haar und gütige Augen und trug einen langen Tweedmantel sowie um den Hals einen handgestrickten Schal. Der junge Mann an ihrer Seite hatte ihr den Arm um die Schultern gelegt. Die beiden bewegten sich langsam auf sie zu - als wäre Kat aus Rauch gemacht und könnte jeden Augenblick vom Wind verweht werden. »Sind Sie die Katarina Bishop?«, fragte die Frau mit aufgerissenen Augen. »Sind Sie das Mädchen, das das Henley ausgeraubt hat?«
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Autoren-Porträt von Ally Carter
Ally Carter ist Autorin erfolgreicher Jugendbuchserien, deren Bände regelmäßig auf den Bestsellerlisten der 'New York Times' und von 'USA Today' erscheinen.Ally Carter lebt und arbeitet in Oklahoma.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ally Carter
- 2013, 1. Auflage, 384 Seiten, Maße: 14,9 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Alice Jakubeit
- Verlag: Fischer FJB
- ISBN-10: 3841421482
- ISBN-13: 9783841421487
- Erscheinungsdatum: 18.06.2013
Rezension zu „Meisterdiebin “
Wie [der] Vorgängerband [ein] spannend erzählter, temporeicher Thriller mit Unterhaltungswert. Unbedingt empfohlen; der Band kann auch unabhängig gelesen werden. EKZ Bibliotheksservice 20130729
Pressezitat
Wie [der] Vorgängerband [ein] spannend erzählter, temporeicher Thriller mit Unterhaltungswert. Unbedingt empfohlen; der Band kann auch unabhängig gelesen werden. EKZ Bibliotheksservice 20130729
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