Juliet, Naked
Roman
Tucker Crow, ein alter, gescheiterter Rockstar, liest im Internet, was seine Fans dort so alles über ihn schreiben. So stößt er auf eine Kritik zu seinem neuen Album: von Annie, deren Freund ein glühender Verehrer Crows ist. Und zum ersten Mal fühlt sich Crow verstanden.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Juliet, Naked “
Tucker Crow, ein alter, gescheiterter Rockstar, liest im Internet, was seine Fans dort so alles über ihn schreiben. So stößt er auf eine Kritik zu seinem neuen Album: von Annie, deren Freund ein glühender Verehrer Crows ist. Und zum ersten Mal fühlt sich Crow verstanden.
Klappentext zu „Juliet, Naked “
»Juliet, Naked' ist so gut, so lustig und so schräg wie seine Vorgänger 'High Fidelity' oder 'About a Boy'.« BrigitteNick Hornby tut das, was er am besten kann: Er schreibt über Musik und die Liebe und die Überraschungen, die das Leben für alle bereithält.
Tucker Crowe, ehemaliger Rockstar und Ikone einer kleinen Schar glühender Anhänger, lebt zurückgezogen in einer amerikanischen Kleinstadt. Seinetwegen stellt Annie im weit entfernten England ihre Beziehung zu Duncan in Frage ...
Tucker Crowe, der 1986 kurz vor einem Gig spurlos verschwand, kann kaum glauben, was er im Internet alles über sich lesen muss. Dort tauschen seine glühendsten Fans Informationen aus, nachdem sie alle Stätten seines Schaffens besucht haben, sie lesen seine Songtexte rückwärts und tun noch manch andere merkwürdige Dinge, um Hinweise auf seine Person und seinen Aufenthaltsort zu erhalten. Zu dieser leicht verblendeten Community gehört auch Duncan, der mit seiner Freundin Annie an der englischen Ostküste lebt. Annie hat sich nach 15 Jahren einigermaßen an seinen Spleen gewöhnt und lässt ihn gewähren, doch als dann plötzlich, welch eine Sensation!, ein neues Album von Crowe auf den Markt kommt, stellt sie eigenständig eine Kritik des neuen Albums ins Netz. Duncan ist entsetzt. Für ihn ist das der Beweis, wie ignorant Annie ist. Tucker Crowe himself wiederum fühlt sich zum ersten Mal verstanden, und er nimmt Kontakt zu Annie auf ...
Von der englischen Ostküste nach Amerika und wieder zurück führt diese Geschichte, in der zwei einsame Menschen ihr altes Leben satthaben und vor einem Neuanfang stehen.
"'Juliet, Naked' ist so gut, so lustig und so schräg wie seine Vorgänger 'High Fidelity' oder 'About a Boy'." -- Brigitte.
Nick Hornby tut das, was er am besten kann: Er schreibt über Musik und die Liebe und die Überraschungen, die das Leben für alle bereithält.
Tucker Crowe, ehemaliger Rockstar und Ikone einer kleinen Schar glühender Anhänger, lebt zurückgezogen in einer amerikanischen Kleinstadt. Seinetwegen stellt Annie im weit entfernten England ihre Beziehung zu Duncan in Frage ...
Tucker Crowe, der 1986 kurz vor einem Gig spurlos verschwand, kann kaum glauben, was er im Internet alles über sich lesen muss. Dort tauschen seine glühendsten Fans Informationen aus, nachdem sie alle Stätten seines Schaffens besucht haben, sie lesen seine Songtexte rückwärts und tun noch manch andere merkwürdige Dinge, um Hinweise auf seine Person und seinen Aufenthaltsort zu erhalten. Zu dieser leicht verblendeten Community gehört auch Duncan, der mit seiner Freundin Annie an der englischen Ostküste lebt. Annie hat sich nach 15 Jahren einigermaßen an seinen Spleen gewöhnt und lässt ihn gewähren, doch als dann plötzlich, welch eine Sensation!, ein neues Album von Crowe auf den Markt kommt, stellt sie eigenständig eine Kritik des neuen Albums ins Netz. Duncan ist entsetzt. Für ihn ist das der Beweis, wie ignorant Annie ist. Tucker Crowe himself wiederum fühlt sich zum ersten Mal verstanden, und er nimmt Kontakt zu Annie auf ...
Von der englischen Ostküste nach Amerika und wieder zurück führt diese Geschichte, in der zwei einsame Menschen ihr altes Leben satthaben und vor einem Neuanfang stehen.
Nick Hornby tut das, was er am besten kann: Er schreibt über Musik und die Liebe und die Überraschungen, die das Leben für alle bereithält.
Tucker Crowe, ehemaliger Rockstar und Ikone einer kleinen Schar glühender Anhänger, lebt zurückgezogen in einer amerikanischen Kleinstadt. Seinetwegen stellt Annie im weit entfernten England ihre Beziehung zu Duncan in Frage ...
Tucker Crowe, der 1986 kurz vor einem Gig spurlos verschwand, kann kaum glauben, was er im Internet alles über sich lesen muss. Dort tauschen seine glühendsten Fans Informationen aus, nachdem sie alle Stätten seines Schaffens besucht haben, sie lesen seine Songtexte rückwärts und tun noch manch andere merkwürdige Dinge, um Hinweise auf seine Person und seinen Aufenthaltsort zu erhalten. Zu dieser leicht verblendeten Community gehört auch Duncan, der mit seiner Freundin Annie an der englischen Ostküste lebt. Annie hat sich nach 15 Jahren einigermaßen an seinen Spleen gewöhnt und lässt ihn gewähren, doch als dann plötzlich, welch eine Sensation!, ein neues Album von Crowe auf den Markt kommt, stellt sie eigenständig eine Kritik des neuen Albums ins Netz. Duncan ist entsetzt. Für ihn ist das der Beweis, wie ignorant Annie ist. Tucker Crowe himself wiederum fühlt sich zum ersten Mal verstanden, und er nimmt Kontakt zu Annie auf ...
Von der englischen Ostküste nach Amerika und wieder zurück führt diese Geschichte, in der zwei einsame Menschen ihr altes Leben satthaben und vor einem Neuanfang stehen.
Lese-Probe zu „Juliet, Naked “
Juliet, Naked von Nick HornbyKapitel 1
Sie waren von England nach Minneapolis geflogen, um sich ein Klo anzuschauen. Diese schlichte Wahrheit dämmerte Annie erst, als sie tatsächlich davorstanden: Abgesehen von den Graffitis an den Wänden, von denen sich einige auf die Bedeutung dieses Klos für die Musikgeschichte bezogen, war es feucht, dunkel, verpestet und absolut durchschnittlich.
Amerikaner waren wirklich Meister darin, das Beste aus ihrem schmalen historischen Erbe herauszuholen, aber hier stießen selbst sie an ihre Grenzen.
»Hast du die Kamera, Annie?«, fragte Duncan.
»Ja. Aber was soll ich denn hier fotografieren?«
»Tja, du weißt schon …«
»Weiß ich nicht.«
»Na ja, das Klo.«
»Wie, die … wie nennt man die Dinger?«
»Urinale. Ja.«
»Willst du mit drauf?«
»Soll ich so tun, als würde ich pinkeln?«
»Wenn du meinst.« Also pflanzte sich Duncan vor dem mittleren der drei Urinale auf, hielt die Hände überzeugend vor seinen Schritt und grinste Annie über die Schulter hinweg an.
»Hast du’s?«
»Ich bin nicht sicher, ob der Blitz funktioniert hat.«
»Mach noch eins. Wäre ja blöd, wenn kein vernünftiges Foto rauskommt, nachdem wir so weit gefahren sind.«
Diesmal stellte sich Duncan bei geöffneter Tür in eine der Kabinen. Aus irgendeinem Grund war das Licht dort besser. Annie machte aus dem Motiv Mann und Klo das Bestmögliche. Als Duncan rauskam, konnte sie sehen, dass die Kloschüssel genauso verstopft war, wie alle anderen, die sie bislang in Rockclubs gesehen hatte.
»Na los«, sagte Annie. »Der wollte mich ja erst gar nicht hier reinlassen.«
Das stimmte. Der Mann hinter der Theke hatte zuerst angenommen, sie
... mehr
wollten sich bloß irgendwo einen Schuss setzen oder Sex haben.
Empörenderweise war er dann irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass ihnen beides nicht zuzutrauen war. Duncan sah sich ein letztes Mal um und schüttelte den Kopf.
»Wenn Klos reden könnten, was?« Annie war froh, dass zumindest dieses es nicht konnte. Duncan hätte sonst die ganze Nacht mit ihm quatschen wollen. Die meisten Menschen kennen Tucker Crowes Songs nicht und wissen erst recht nichts über die dunklen Momente seiner Karriere.
Deshalb ist die Geschichte, was ihm auf dem Klo des Pits Club passiert oder nicht passiert sein könnte, es sicher wert, hier noch einmal rekapituliert zu werden. Crowe war anlässlich eines Auftritts in Minneapolis im Pits Club aufgetaucht, um sich dort eine Band mit dem Namen Napoleon Solos anzusehen, die ihm empfohlen worden war. (Einige Crowe- Komplettisten wie Duncan besitzen sogar die einzige LP dieser Band, The Napoleon Solos Sing Their Songs and Play Their Guitars.)
In der Mitte des Sets ging Tucker zur Toilette. Niemand weiß, was ihm dort widerfahren ist, doch als er wieder herauskam, fuhr er schnurstracks zurück ins Hotel und rief seinen Manager an, der den Rest der Tour absagen musste. Am nächsten Morgen begann das, was man heute wohl als seinen Ruhestand betrachten muss. Das war im Juni 1986. Seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört – keine neuen Aufnahmen, keine Auftritte, keine Interviews. Wenn man Tucker Crowe so verehrte wie Duncan und ein paar Tausend andere Leute auf der Welt, dann war dieses Klo nicht so unschuldig wie es aussah.
Und da es, wie Duncan richtig bemerkt hatte, nicht reden konnte, mussten die Crowe-Fans das an seiner Stelle tun. Einige vertraten die Ansicht, Tucker sei darin Gott oder einem seiner Sendboten begegnet; andere behaupteten, er hätte nach einer Überdosis eine Nahtoderfahrung gehabt. Eine weitere Sektierergruppe war der Ansicht, er hätte seine Freundin beim Sex mit seinem Bassisten erwischt, eine Theorie, die Annie weit hergeholt fand.
Konnte der Anblick einer Frau, die in einer Toilette mit einem Musiker fickt, ein zweiundzwanzig Jahre langes Schweigen bedingen? Vielleicht kam es Annie auch nur so vor, weil ihr derart heftige Leidenschaften fremd waren. Egal. Wie auch immer. Eigentlich musste man nur wissen, dass im kleinsten Raum eines kleinen Clubs etwas so Bedeutsames passiert war, dass es ein ganzes Leben verändert hatte.
Annie und Duncan befanden sich gerade mitten in einer Tucker-Crowe-Pilgertour. Sie waren schon durch New York gezogen und hatten sich diverse Clubs und Bars angesehen, die einen Bezug zu Crowe hatten, auch wenn die meisten dieser historischen Stätten heute Läden für Designermoden oder McDonald’s-Filialen beherbergten.
Sie hatten sein Elternhaus in Bozeman, Montana, besichtigt, wo – wie aufregend! – eine alte Dame aus ihrem Haus gekommen war und ihnen erzählte, dass Tucker als Kind immer den alten Buick ihres Mannes gewaschen hatte. Das Haus der Crowes war klein und hübsch und gehörte heute dem Besitzer einer kleinen Druckerei, der überrascht war, dass sie extra aus dem fernen England angereist waren, um sich sein Haus von außen anzugucken; hereinbitten wollte er sie dann aber doch nicht. Von Montana aus waren sie nach Memphis geflogen, wo sie das Gelände des alten American Sound Studios besichtigten (das Gebäude selbst war 1990 abgerissen worden), in dem Tucker betrunken und krank vor Liebeskummer Juliet aufgenommen hatte, sein legendäres Break-up-Album, das Annie von allen seinen Platten am besten gefiel.
Vor ihnen lag noch Berkeley, Kalifornien, wo Juliet – im wirklichen Leben ein Exmodel und It-Girl namens Julie Beatty – immer noch lebte. Dort würden sie sich vor ihr Haus stellen, so wie sie sich vor das Haus des Druckereimenschen gestellt hatten, bis Duncan kein Grund mehr einfiel, das Haus noch länger anzustarren, oder Julie die Polizei rief – ein Los, das schon einige Crowe-Fans ereilt hatte, wie Duncan von den Messageboards wusste.
Annie bereute diese Reise nicht. Sie war schon öfter in den USA gewesen, in San Francisco und New York, aber es gefiel ihr, dass Tucker sie an Orte führte, die sie sonst nie besucht hätte. Bozeman zum Beispiel hatte sich als reizendes kleines Städtchen in den Bergen entpuppt, das von exotisch klingenden Gipfelketten umgeben war, von denen sie noch nie gehört hatte: Big Belt, Tobacco Root und die Spanish Peaks. Nachdem sie das kleine und unspektakuläre Haus angestarrt hatten, waren sie durch den Ort geschlendert und hatten vor einem Bio9 Café in der Sonne Eistee genippt, während im Hintergrund einer der spanischen Gipfel, vielleicht auch die Spitze eines Tobacco Roots den klaren, blauen Himmel zu durchstoßen drohte. Sie hatte schon schlimmere Vormittage auf Urlaubsreisen verbracht, von denen sie sich wesentlich mehr versprochen hatte. Was sie anbelangte, war es wie eine Fahrt ins Blaue durch die USA.
Natürlich ging es ihr irgendwann auf die Nerven, andauernd mit Informationen über Tucker gefüttert zu werden, über ihn zu reden, seine Musik zu hören und die Gründe hinter jeder noch so kleinen kreativen und persönlichen Entscheidung verstehen zu müssen. Aber zu Hause ging ihr Tucker Crowe genauso auf die Nerven, da zog sie es doch vor, dass er ihr in Montana oder Tennessee zum Hals raushing, anstatt in Gooleness, dem kleinen Küstenort in England, wo sie mit Duncan wohnte. Ein Ort lag nicht auf ihrer Reiseroute, und das war Tyrone in Pennsylvania, wo Tucker heute angeblich lebte, auch wenn es wie bei allen Orthodoxien auch hier Häretiker gab: Ein oder zwei aus der Crowe-Gemeinde vertraten die Theorie – interessant aber absurd, wie Duncan fand –, dass er seit den frühen Neunzigern in Neuseeland lebe. Tyrone war als mögliches Ziel bei der Planung ihrer Reise nicht einmal genannt worden, und Annie glaubte zu verstehen, warum. Vor einigen Jahren war einer der Fans nach Tyrone gereist, hatte sich dort eine Weile herumgetrieben und schließlich das entdeckt, was er für Tucker Crowes Farm hielt; er war mit der Fotografie eines erschreckend ergrauten Mannes zurückgekehrt, der mit einer Schrotflinte auf ihn zielte. Annie hatte das Bild viele Male gesehen und fand es fürchterlich.
Das Gesicht des Mannes war zu einer Grimasse von Wut und Panik entstellt, so als drohe alles, wofür er je gearbeitet und woran er geglaubt hatte, von einer Canon Sureshot vernichtet zu werden. Mit der Vergewaltigung von Tuckers Privatsphäre hatte Duncan dabei gar nicht mal ein Problem: Der andere Fan, Neil Ritchie, hatte es im Kreis der Anhänger fast zum Ruf eines Abraham Zapruder gebracht, worum ihn Duncan, wie Annie mutmaßte, heimlich beneidete. Was ihn viel mehr ängstigte, war der Umstand, dass Tucker Crowe Neil Ritchie ein »dreckiges Arschloch« genannt hatte.
Übersetzung: Clara Drechsler und Harald Hellmann
© 2009 by Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln
Empörenderweise war er dann irgendwann zu dem Schluss gekommen, dass ihnen beides nicht zuzutrauen war. Duncan sah sich ein letztes Mal um und schüttelte den Kopf.
»Wenn Klos reden könnten, was?« Annie war froh, dass zumindest dieses es nicht konnte. Duncan hätte sonst die ganze Nacht mit ihm quatschen wollen. Die meisten Menschen kennen Tucker Crowes Songs nicht und wissen erst recht nichts über die dunklen Momente seiner Karriere.
Deshalb ist die Geschichte, was ihm auf dem Klo des Pits Club passiert oder nicht passiert sein könnte, es sicher wert, hier noch einmal rekapituliert zu werden. Crowe war anlässlich eines Auftritts in Minneapolis im Pits Club aufgetaucht, um sich dort eine Band mit dem Namen Napoleon Solos anzusehen, die ihm empfohlen worden war. (Einige Crowe- Komplettisten wie Duncan besitzen sogar die einzige LP dieser Band, The Napoleon Solos Sing Their Songs and Play Their Guitars.)
In der Mitte des Sets ging Tucker zur Toilette. Niemand weiß, was ihm dort widerfahren ist, doch als er wieder herauskam, fuhr er schnurstracks zurück ins Hotel und rief seinen Manager an, der den Rest der Tour absagen musste. Am nächsten Morgen begann das, was man heute wohl als seinen Ruhestand betrachten muss. Das war im Juni 1986. Seitdem hatte man nichts mehr von ihm gehört – keine neuen Aufnahmen, keine Auftritte, keine Interviews. Wenn man Tucker Crowe so verehrte wie Duncan und ein paar Tausend andere Leute auf der Welt, dann war dieses Klo nicht so unschuldig wie es aussah.
Und da es, wie Duncan richtig bemerkt hatte, nicht reden konnte, mussten die Crowe-Fans das an seiner Stelle tun. Einige vertraten die Ansicht, Tucker sei darin Gott oder einem seiner Sendboten begegnet; andere behaupteten, er hätte nach einer Überdosis eine Nahtoderfahrung gehabt. Eine weitere Sektierergruppe war der Ansicht, er hätte seine Freundin beim Sex mit seinem Bassisten erwischt, eine Theorie, die Annie weit hergeholt fand.
Konnte der Anblick einer Frau, die in einer Toilette mit einem Musiker fickt, ein zweiundzwanzig Jahre langes Schweigen bedingen? Vielleicht kam es Annie auch nur so vor, weil ihr derart heftige Leidenschaften fremd waren. Egal. Wie auch immer. Eigentlich musste man nur wissen, dass im kleinsten Raum eines kleinen Clubs etwas so Bedeutsames passiert war, dass es ein ganzes Leben verändert hatte.
Annie und Duncan befanden sich gerade mitten in einer Tucker-Crowe-Pilgertour. Sie waren schon durch New York gezogen und hatten sich diverse Clubs und Bars angesehen, die einen Bezug zu Crowe hatten, auch wenn die meisten dieser historischen Stätten heute Läden für Designermoden oder McDonald’s-Filialen beherbergten.
Sie hatten sein Elternhaus in Bozeman, Montana, besichtigt, wo – wie aufregend! – eine alte Dame aus ihrem Haus gekommen war und ihnen erzählte, dass Tucker als Kind immer den alten Buick ihres Mannes gewaschen hatte. Das Haus der Crowes war klein und hübsch und gehörte heute dem Besitzer einer kleinen Druckerei, der überrascht war, dass sie extra aus dem fernen England angereist waren, um sich sein Haus von außen anzugucken; hereinbitten wollte er sie dann aber doch nicht. Von Montana aus waren sie nach Memphis geflogen, wo sie das Gelände des alten American Sound Studios besichtigten (das Gebäude selbst war 1990 abgerissen worden), in dem Tucker betrunken und krank vor Liebeskummer Juliet aufgenommen hatte, sein legendäres Break-up-Album, das Annie von allen seinen Platten am besten gefiel.
Vor ihnen lag noch Berkeley, Kalifornien, wo Juliet – im wirklichen Leben ein Exmodel und It-Girl namens Julie Beatty – immer noch lebte. Dort würden sie sich vor ihr Haus stellen, so wie sie sich vor das Haus des Druckereimenschen gestellt hatten, bis Duncan kein Grund mehr einfiel, das Haus noch länger anzustarren, oder Julie die Polizei rief – ein Los, das schon einige Crowe-Fans ereilt hatte, wie Duncan von den Messageboards wusste.
Annie bereute diese Reise nicht. Sie war schon öfter in den USA gewesen, in San Francisco und New York, aber es gefiel ihr, dass Tucker sie an Orte führte, die sie sonst nie besucht hätte. Bozeman zum Beispiel hatte sich als reizendes kleines Städtchen in den Bergen entpuppt, das von exotisch klingenden Gipfelketten umgeben war, von denen sie noch nie gehört hatte: Big Belt, Tobacco Root und die Spanish Peaks. Nachdem sie das kleine und unspektakuläre Haus angestarrt hatten, waren sie durch den Ort geschlendert und hatten vor einem Bio9 Café in der Sonne Eistee genippt, während im Hintergrund einer der spanischen Gipfel, vielleicht auch die Spitze eines Tobacco Roots den klaren, blauen Himmel zu durchstoßen drohte. Sie hatte schon schlimmere Vormittage auf Urlaubsreisen verbracht, von denen sie sich wesentlich mehr versprochen hatte. Was sie anbelangte, war es wie eine Fahrt ins Blaue durch die USA.
Natürlich ging es ihr irgendwann auf die Nerven, andauernd mit Informationen über Tucker gefüttert zu werden, über ihn zu reden, seine Musik zu hören und die Gründe hinter jeder noch so kleinen kreativen und persönlichen Entscheidung verstehen zu müssen. Aber zu Hause ging ihr Tucker Crowe genauso auf die Nerven, da zog sie es doch vor, dass er ihr in Montana oder Tennessee zum Hals raushing, anstatt in Gooleness, dem kleinen Küstenort in England, wo sie mit Duncan wohnte. Ein Ort lag nicht auf ihrer Reiseroute, und das war Tyrone in Pennsylvania, wo Tucker heute angeblich lebte, auch wenn es wie bei allen Orthodoxien auch hier Häretiker gab: Ein oder zwei aus der Crowe-Gemeinde vertraten die Theorie – interessant aber absurd, wie Duncan fand –, dass er seit den frühen Neunzigern in Neuseeland lebe. Tyrone war als mögliches Ziel bei der Planung ihrer Reise nicht einmal genannt worden, und Annie glaubte zu verstehen, warum. Vor einigen Jahren war einer der Fans nach Tyrone gereist, hatte sich dort eine Weile herumgetrieben und schließlich das entdeckt, was er für Tucker Crowes Farm hielt; er war mit der Fotografie eines erschreckend ergrauten Mannes zurückgekehrt, der mit einer Schrotflinte auf ihn zielte. Annie hatte das Bild viele Male gesehen und fand es fürchterlich.
Das Gesicht des Mannes war zu einer Grimasse von Wut und Panik entstellt, so als drohe alles, wofür er je gearbeitet und woran er geglaubt hatte, von einer Canon Sureshot vernichtet zu werden. Mit der Vergewaltigung von Tuckers Privatsphäre hatte Duncan dabei gar nicht mal ein Problem: Der andere Fan, Neil Ritchie, hatte es im Kreis der Anhänger fast zum Ruf eines Abraham Zapruder gebracht, worum ihn Duncan, wie Annie mutmaßte, heimlich beneidete. Was ihn viel mehr ängstigte, war der Umstand, dass Tucker Crowe Neil Ritchie ein »dreckiges Arschloch« genannt hatte.
Übersetzung: Clara Drechsler und Harald Hellmann
© 2009 by Verlag Kiepenheuer & Witsch GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Nick Hornby
Nick Hornby, 1957 geboren, studierte in Cambridge und arbeitete zunächst als Lehrer. Er ist Autor zahlreicher Bestseller: »High Fidelity«, verfilmt mit John Cusack und Iben Hjejle, »About a Boy«, verfilmt mit Hugh Grant, »A Long Way Down«, verfilmt mit Pierce Brosnan, »How to Be Good«, »Slam« und »Juliet, Naked«, sowie weiterer Bücher über Literatur und Musik. Nick Hornby lebt in London. Clara Drechsler, geboren 1961, und Harald Hellmann, geboren 1958, übersetzen gemeinsam aus dem Englischen, u.a. Werke von Bret Easton Ellis, Nick Hornby, Adam Thirlwell und Irvine Welsh. Harald Hellmann, geboren 1958, und Clara Drechsler, geboren 1961, übersetzen gemeinsam aus dem Englischen, u. a. Werke von Bret Easton Ellis, Helen Walsh und Irvine Welsh.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nick Hornby
- 2010, 3. Aufl., 368 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Drechsler, Clara; Hellmann, Harald
- Übersetzer: Clara Drechsler, Harald Hellmann
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462042459
- ISBN-13: 9783462042450
- Erscheinungsdatum: 19.08.2010
Rezension zu „Juliet, Naked “
»In Hornbys neuem Roman Juliet, Naked fühlt man sich wohlig aufgehoben. Hornby versteht einen. Hornby weiß, wie das Leben läuft.« stern
Pressezitat
»In Hornbys neuem Roman Juliet, Naked fühlt man sich wohlig aufgehoben. Hornby versteht einen. Hornby weiß, wie das Leben läuft.« stern
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