Der große Gatsby
Roman. Nachw. v. Paul Ingendaay
Die roaring-twenties: Wilde Parties finden auf dem Anwesen von Jay Gatsby statt. Der Gastgeber selbst aber bleibt im Hintergrund. Die lärmig-fröhliche Fassade verbirgt ein tiefes Unglück.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Der große Gatsby “
Die roaring-twenties: Wilde Parties finden auf dem Anwesen von Jay Gatsby statt. Der Gastgeber selbst aber bleibt im Hintergrund. Die lärmig-fröhliche Fassade verbirgt ein tiefes Unglück.
Klappentext zu „Der große Gatsby “
New York 1922. Auf seinem Anwesen in Long Island gibt Jay Gatsby sagenhafte Feste. Er hofft, mit seinem neuerworbenen Reichtum, mit Swing und Champagner seine verlorene Liebe zurückzugewinnen. Zu spät merkt er, dass er sich von einer romantischen Illusion hat verführen lassen.
Lese-Probe zu „Der große Gatsby “
Der große Gatsby von F. Scott Fitzgerald3
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Die Sommernächte hindurch drang Musik aus dem Haus meines Nachbarn. In seinen blauen Gärten schwirrten Männer und junge Mädchen wie Falter zwischen dem Geflüster und dem Champagner und den Sternen umher. Am Nachmittag, bei Flut, sah ich zu, wie seine Gäste vom Sprungturm seines Floßes sprangen oder Sonnenbäder auf dem heißen Sand seines Strands nahmen, während seine beiden Motorboote das Wasser des Sunds aufschlitzten und Monoskifahrer durch die Gischtkaskaden zogen. An den Wochenenden verwandelte sich sein Rolls-Royce in einen Omnibus, der von neun Uhr morgens bis lange nach Mitternacht Leute aus der Stadt abholte und wieder zurückbeförderte, während sein Kombiwagen wie ein flinker gelber Käfer hin und her eilte, um alle Züge zu erreichen. Und montags machten sich acht Angestellte einschließlich eines Extragärtners den ganzen Tag mit Mops, Schrubbern, Hämmern und Gartenscheren zu schaffen, um die Spuren der nächtlichen Verwüstung zu beseitigen.
Jeden Freitag trafen fünf Kisten Orangen und Zitronen von einem Obsthändler in New York ein - jeden Montag wanderten dieselben Orangen und Zitronen in einer Pyramide aus fruchtfleischlosen Hälften zur Hintertür wieder hinaus. In der Küche stand ein Gerät, das binnen einer halben Stunde zweihundert Orangen auspressen konnte, sofern der Daumen eines Butlers zweihundert Mal einen kleinen Knopf drückte.
Alle zwei Wochen mindestens rückte eine Mannschaft Lieferanten an und brachte etliche Bahnen Segeltuch und genügend bunte Lichter, um Gatsbys riesigen Garten in einen Weihnachtsbaum zu verwandeln. Glitzernde Horsd'oeuvres zierten die Buffettische, auf denen sich Gewürzschinken an bunt komponierte Salate und Schweine im Blätterteig und dunkelgold gezauberte Puten drängten. In der Empfangshalle wurde eine Bar mit echtem Messinggeländer aufgebaut. Hier gab es verschiedene Gins und Weinbrände und so lange nicht mehr gesehene Liköre, dass die meisten weiblichen Gäste zu jung waren, um einen vom anderen zu unterscheiden.
Spätestens um sieben trifft das Orchester ein - keine mickrige Fünfer-Truppe, sondern ein ganzer Graben voller Oboen, Posaunen, Saxophone, Violen, Kornetts, Pikkoloflöten, heller und dunkler Trommeln. Inzwischen sind auch die letzten Schwimmer vom Strand zurück und machen sich im oberen Stockwerk zurecht; die Wagen aus New York parken in Fünferreihen vor dem Haus, und schon leuchten die Säle und Salons und Veranden vor satten Farben und seltsamen neuen Haarschnitten und Schals, von denen man in Kastilien nur träumt. An der Bar herrscht Hochbetrieb, und draußen schwärmen Cocktailrunden in jeden Winkel des Gartens aus, bis von all dem Geplauder und Gelächter, den kleinen Anzüglichkeiten, gleich wieder vergessenen Namen und enthusiastischen Begegnungen junger Damen, die nie wussten, wie die andere heißt, die Luft vibriert.
Die Lichter werden heller, je weiter die Erde von der Sonne forttaumelt. Das Orchester spielt goldgelbe Cocktailmusik, und die Stimmenoper rutscht eine Tonlage höher. Das Gelächter perlt von Minute zu Minute leichter; schon ein launiges Wort genügt, und es fließt in verschwenderischen Strömen. Die Gruppen verändern sich rascher, schwellen kurz an, zerstreuen sich und bilden sich im selben Atemzug neu - und schon gehen manche auf Wanderschaft., selbstsichere Mädchen, die sich mal hier, mal dort zwischen die steteren und standfesteren weben, einen intensiven, beglückenden Augenblick lang der Mittelpunkt einer Gruppe sind und dann, von ihrem Triumph beflügelt, im ständig wechselnden Licht durch das changierende Meer aus Gesichtern und Stimmen und Farben davongleiten.
Plötzlich greift eine dieser Zigeunerinnen in irisierendem Opal einen Cocktail aus der Luft, stürzt ihn hinunter, um sich Mut anzutrinken, und tanzt, die Hände wie Joe Frisco bewegend, allein auf die mit Segeltuch bespannte Bühne. Kurze Stille; der Orchesterleiter ändert höflich seinen Rhythmus für sie, und Geschnatter bricht aus, während die irrtümliche Nachricht umgeht, sie sei Gilda Grays zweite Besetzung in den Follies. Die Party hat begonnen.
Ich glaube, ich gehörte an meinem ersten Abend bei Gatsby zu den wenigen Gästen, die tatsächlich eingeladen waren. Die Leute wurden nicht eingeladen - sie gingen hin. Sie stiegen in Autos, die sie nach Long Island beförderten, und landeten irgendwie vor Gatsbys Tür. Einmal dort, wurden sie ihm von jemandem, der ihn kannte, vorgestellt und befolgten von da an die Verhaltensregeln, die im Allgemeinen für Vergnügungsparks gelten. Manch einer kam und ging, ohne Gatsby überhaupt kennengelernt zu haben, kam mit einer Einfalt des Herzens, die eine eigene Eintrittskarte war.
Ich war tatsächlich eingeladen worden. An jenem Samstag war ein Chauffeur in taubeneiblauer Livree frühmorgens über meinen Rasen geschritten und hatte mir eine überraschend förmliche Nachricht seines Herrn überreicht - es wäre Gatsby eine außerordentliche Ehre, stand dort, wenn ich am Abend zu seiner »kleinen Party« erscheinen würde; er habe mich schon einige Male gesehen und mir längst seine Aufwartung machen wollen, doch ein Zusammentreffen seltsamer Umstände habe ihn daran gehindert - gezeichnet, mit schwungvoller Handschrift., Jay Gatsby.
In weiße Flanellhosen gekleidet, ging ich kurz nach sieben Uhr in seinen Garten hinüber und wanderte ein wenig befangen zwischen den Wirbeln und Strudeln mir unbekannter Leute umher - auch wenn ich hier und da ein Gesicht entdeckte, das ich im Vorortszug schon einmal gesehen hatte. Mir fielen sofort die vielen jungen Engländer auf, die die Menge sprenkelten; alle gut gekleidet, alle ein wenig hungrig aussehend, redeten sie allesamt mit leiser, ernster Stimme auf solide und wohlhabende Amerikaner ein. Ich war sicher, dass jeder von ihnen etwas zu verkaufen hatte: Aktien oder Versicherungen oder Autos. Zumindest waren sie sich des leichtverdienten Geldes in ihrer Nähe schmerzlich bewusst und davon überzeugt, nur ein paar Worte im richtigen Tonfall würden reichen, und es wäre ihres.
Gleich nach meiner Ankunft machte ich mich auf die Suche nach dem Gastgeber, doch die zwei oder drei Gäste, die ich nach ihm fragte, starrten mich nur entgeistert an und leugneten so vehement, die geringste Vorstellung von seinem Verbleib zu haben, dass ich mich schleunigst an die Cocktailbar verzog - den einzigen Ort im Garten, wo ein Mann längere Zeit herumstehen konnte, ohne beschäftigungslos und allein zu wirken.
Ich war im Begriff, mich aus schierer Verlegenheit sternhagelvoll laufen zu lassen, als Jordan Baker aus dem Haus trat, sich oben an die Marmortreppe stellte und mit leicht zurückgeneigtem Oberkörper spöttisch, aber interessiert in den Garten herunterblickte.
Ob es ihr recht war oder nicht - ich musste mich jemandem anschließen, ehe ich anfing, an jeden Vorbeikommenden warme Worte zu richten.
»Hallo!«, brüllte ich und ging auf sie zu. Meine Stimme schallte unnatürlich laut durch den Garten.
»Ich dachte mir schon, dass Sie vielleicht hier wären«, antwortete sie zerstreut, während ich die Treppe hinaufstieg. »Sie hatten ja gesagt, Sie wohnten gleich neben -Ì
Sie behielt unbeteiligt meine Hand in der ihren, als Versprechen, dass sie sich mir in einer Minute widmen werde, und wandte sich zwei Mädchen in identischen gelben Kleidern zu, die am Fuß der Treppe stehen blieben.
»Hallo!«, riefen sie im Chor. »Schade, dass Sie nicht gewonnen haben.«
Das galt dem Golfturnier. Sie hatte in der Woche zuvor die Endrunde verloren.
»Sie wissen sicher nicht, wer wir sind«, sagte eins der Mädchen in Gelb, »aber wir haben uns vor ungefähr einem Monat schon einmal hier getroffen.«
»Sie haben sich in der Zwischenzeit die Haare gefärbt«, bemerkte Jordan, und ich zuckte zusammen, doch die Mädchen waren schon weitergezogen, und die Bemerkung ging an den Mond, der, wie die Speisen zweifellos aus einem der Lieferantenkörbe zutage gefördert, früher als sonst am Himmel stand. Jordan schob ihren schlanken goldenen Arm unter meinen, und wir stiegen gemeinsam die Treppe hinab und schlenderten durch den Garten. Ein Tablett mit Cocktails schwebte im Dämmerlicht auf uns zu, und wir setzten uns zu den beiden Mädchen in Gelb und drei Herren, die uns einer nach dem anderen als Mr. Murmelmurmel vorgestellt wurden, an einen Tisch.
»Sind Sie häufig auf diesen Partys?«, fragte Jordan das Mädchen neben ihr.
»Zuletzt war ich hier, als ich Sie getroffen habe«, antwortete das Mädchen mit wacher, selbstbewusster Stimme. Sie wandte sich an ihre Freundin: »Du nicht auch, Lucille?«
Lucille auch.
»Ich komme gerne her«, sagte Lucille. »Mich kümmert's nicht groß, wo ich hingehe, deshalb amüsiere ich mich auch immer gut. Letztes Mal habe ich mir mein Kleid an einem Stuhl eingerissen - er hat mich sofort nach meinem Namen und meiner Adresse gefragt, und binnen einer Woche bekam ich ein Paket von Croirier's mit einem neuen Abendkleid darin.«
»Haben Sie's behalten?«, fragte Jordan.
»Natürlich. Ich wollte es heute Abend anziehen, aber es ist oben herum zu weit und muss noch geändert werden. Es ist gasblau, mit lavendelfarbenen Perlen darauf. Zweihundertfünfundsechzig Dollar.«
»Ist doch irgendwie merkwürdig, wenn einer so was macht«, sagte das andere Mädchen eifrig. »Er scheint mit niemandem den geringsten Ärger haben zu wollen.«
»Wer?«, fragte ich.
»Gatsby. Ich habe gehört . . . «
Die beiden Mädchen und Jordan beugten sich geheimnistuerisch vor.
»Ich habe gehört, Gatsby soll mal jemanden umgebracht haben. «
Uns überlief allesamt ein Schauer. Die Herren Murmelmurmel lehnten sich vor und lauschten eifrig.
»Das glaube ich nicht«, wandte Lucille skeptisch ein. »Ich glaube eher, dass er im Krieg ein deutscher Spion war.«
Einer der Männer nickte bestätigend.
»Das hat mir ein Mann erzählt, der alles über ihn wusste; der mit ihm zusammen in Deutschland aufgewachsen ist«, versicherte er uns nachdrücklich.
»O nein«, sagte das erste Mädchen, »das kann nicht stimmen. Während des Krieges war er beim amerikanischen Militär.« Als sie merkte, dass wir eher wieder ihrer Version der Dinge zuneigten, beugte sie sich aufgeregt vor. »Beobachtet ihn mal, wenn er sich unbeobachtet wähnt. Ich wette, er hat jemanden umgebracht.«
Sie kniff die Augen zusammen und zitterte. Lucille zitterte. Wir drehten uns alle um und hielten nach Gatsby Ausschau. Es bewies, wie viel romantisches Rätselraten er auslöste, dass auch solche Menschen über ihn tuschelten, die sonst auf dieser Welt wenig gefunden hatten, über das zu tuscheln ihnen notwendig erschien.
Jetzt wurde das erste Abendessen serviert - nach Mitternacht würde es noch ein zweites geben -, und Jordan lud mich ein, mich zu ihr und ihren Freunden zu gesellen, die um einen Tisch am anderen Ende des Gartens gruppiert saßen. Es waren drei Ehepaare sowie Jordans Begleiter, ein hartnäckiger junger Student, der zu heftiger Anzüglichkeit neigte und unter dem Eindruck zu stehen schien, Jordan würde sich ihm früher oder später in dem einen oder anderen Maße hingeben. Anstatt umherzustreunen, hatte diese Gesellschaft eine würdevolle Geschlossenheit gewahrt und sich selber die Rolle des gediegenen Landadels zugewiesen- East Egg beehrte West Egg mit seiner Anwesenheit, sorgsam auf der Hut vor dessen spektroskopischer Fröhlichkeit.
»Kommen Sie«, flüsterte Jordan mir nach einer irgendwie vergeudeten und unerquicklichen halben Stunde zu. »Hier geht es mir viel zu gesittet zu.«
Wir standen auf, und sie erklärte, wir wollten uns auf die Suche nach dem Gastgebermachen-ich hätte ihn noch gar nicht kennen gelernt, sagte sie, und das sei mir unangenehm. Der junge Student nickte auf zynische, schwermütige Weise.
An der Bar, wo wir zuerst nachschauten, herrschte Gedränge, doch Gatsby war nicht dort. Vom oberen Treppenabsatz aus konnte sie ihn nirgends entdecken, und auch auf der Veranda war er nicht. Auf gut Glück öffneten wir eine gewichtig aussehende Tür und betraten eine hohe gotische Bibliothek, die mit geschnitztem englischem Eichenholz getäfelt und vermutlich vollständig aus irgendeiner Ruine jenseits des Atlantiks hierher transportiert worden war.
Ein kräftiger Mann mittleren Alters mit einer riesigen Eulenaugen-Brille auf der Nase saß mehr oder minder betrunken auf der Kante eines großen Tisches und starrte mit unbeständiger Konzentration auf die Bücherregale. Als wir näher traten, schwang er erregt herum und musterte Jordan von Kopf bis Fuß.
»Was meinen Sie?«, fragte er ungestüm.
»Wozu?«
Er deutete mit wedelnder Hand auf die Bücherregale.
»Dazu. Sie brauchen's nicht nachzuprüfen. Das hab ich schon erledigt. Sie sind echt.«
»Die Bücher?«
Er nickte.
»Vollkommen echt, mit Seiten und allem. Ich dachte, es wär schöne, haltbare Pappe. Dabei sind sie vollkommen echt. Mit Seiten und . . . Hier! Ich zeig's Ihnen.«
Er schien überzeugt, dass wir es nicht glauben würden, denn er eilte ans Regal und kam mit Band eins der Stoddard Lectures zurück.
»Sehen Sie!«, rief er triumphierend. »Ein waschechtes Druckerzeugnis. Ich bin drauf reingefallen. Der Kerl ist ein richtiger Belasco. Einfach großartig. Diese Gründlichkeit! Dieser Realismus! Wusste genau, wie weit er gehen durfte - hat die Seiten noch nicht aufgeschnitten! Aber was wollen Sie? Was erwarten Sie?«
Er riss mir das Buch aus den Händen und stellte es hastig wieder ins Regal; wenn man einen Stein herausnehme, hörten wir ihn brummeln, drohe womöglich die ganze Bibliothek in sich zusammenzufallen.
»Wer hat Sie mitgebracht?«, fragte er. »Oder sind Sie einfach so hergekommen? Ich wurde mitgebracht. Wie die meisten hier.«
Jordan schaute ihn aufmerksam und munter an, ohne zu antworten.
»Mich hat eine Frau namens Roosevelt mitgebracht«, fuhr er fort. »Mrs. Claude Roosevelt. Kennen Sie sie? Ich hab sie gestern Abend irgendwo kennengelernt. Ich bin jetzt seit einer Woche betrunken und dachte mir, in einer Bibliothek zu sitzen würde mich vielleicht ausnüchtern.«
»Und hat es das?«
»Ein bisschen, glaube ich. Ich kann's noch nicht sagen. Bin erst seit einer Stunde hier. Hab ich Ihnen schon von den Büchern erzählt? Sie sind echt. Sie sind -«
»Ja, haben Sie.« Wir schüttelten ihm feierlich die Hand und gingen wieder nach draußen.
Auf der Bühne im Garten wurde jetzt getanzt, alte Männer, die junge Mädchen endlos und ungraziös im Kreise rückwärts schoben, vornehme Paare, die einander kunstvoll verschraubt umfasst hielten und in den Ecken blieben - und eine große Anzahl einzelner junger Frauen, die nach ihrem eigenen Stil tanzten oder das Orchester für einen Moment von der Last des Banjos oder der Trommeln befreiten. Bis Mitternacht wurde die Stimmung immer ausgelassener. Ein gefeierter Tenor sang italienisch, eine weltbekannte Altistin sang Jazz, und zwischen den Nummern vollführten die Leute überall im Garten »Kunststückchen«, während fröhliches hohles Gelächter zum Sommerhimmel emporstieg. Als Babys verkleidete »Zwillinge« - die sich als die beiden Mädchen in Gelb entpuppten - brachten einen Sketch auf die Bühne, und in Gläsern, die größer als Fingerschalen waren, wurde Champagner serviert. Der Mond war höher geklettert, und auf dem Sund trieb ein Dreieck aus silbernen Schuppen und zitterte leise zu dem steifen, blechernen Getröpfel der Banjos auf dem Rasen.
Ich war immer noch an Jordans Seite. Wir saßen mit einem Mann meines Alters und einem kleinen Wildfang von einem Mädchen zusammen, das bei der geringsten Veranlassung völlig unbeherrscht draufloslachte. Mittlerweile amüsierte ich mich gut. Ich hatte zwei Schalen Champagner getrunken, und alles wollte mir nun bedeutsam, elementar und tiefgründig erscheinen.
Während einer Flaute im Unterhaltungsprogramm schaute der Mann mich an und lächelte.
»Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte er höflich. »Waren Sie nicht im Krieg in der Dritten Division?«
»Ganz recht! Ich war im Neunten Maschinengewehrbataillon. Ì
»Und ich war bis Juni 1918 im Siebten Infanterieregiment. Wusste ich's doch, dass ich Sie irgendwo schon mal gesehen hatte. «
Wir unterhielten uns eine Weile über das eine oder andere feuchte, graue Dorf in Frankreich. Offenbar wohnte er hier in der Gegend, denn er erzählte mir, er habe sich gerade ein Wasserflugzeug gekauft und wolle es am nächsten Morgen ausprobieren.
»Kommen Sie mit, alter Knabe? Nur über den Sund, an der Küste entlang. «
»Um wie viel Uhr? «
»Wann immer es Ihnen passt.«
Ich wollte ihn eben nach seinem Namen fragen, als Jordan sich umdrehte und lächelte.
»Amüsieren Sie sich jetzt besser?«, fragte sie mich.
»Viel besser.« Ich wandte mich wieder meinem neuen Freund zu. »Eine sonderbare Party, finde ich. Ich habe bisher noch nicht mal den Gastgeber gesehen. Ich wohne da drüben - meine Hand wies in die Richtung der unsichtbaren Hecke -, »und dieser Gatsby hat seinen Chauffeur mit einer Einladung zu mir herübergeschickt.«
Einen Moment lang sah er mich an, als verstünde er nicht ganz.
»Ich bin Gatsby«, sagte er plötzlich.
Übersetzung: Bettina Abarbanell
© Diogenes Verlag AG www.diogenes.ch
Die Sommernächte hindurch drang Musik aus dem Haus meines Nachbarn. In seinen blauen Gärten schwirrten Männer und junge Mädchen wie Falter zwischen dem Geflüster und dem Champagner und den Sternen umher. Am Nachmittag, bei Flut, sah ich zu, wie seine Gäste vom Sprungturm seines Floßes sprangen oder Sonnenbäder auf dem heißen Sand seines Strands nahmen, während seine beiden Motorboote das Wasser des Sunds aufschlitzten und Monoskifahrer durch die Gischtkaskaden zogen. An den Wochenenden verwandelte sich sein Rolls-Royce in einen Omnibus, der von neun Uhr morgens bis lange nach Mitternacht Leute aus der Stadt abholte und wieder zurückbeförderte, während sein Kombiwagen wie ein flinker gelber Käfer hin und her eilte, um alle Züge zu erreichen. Und montags machten sich acht Angestellte einschließlich eines Extragärtners den ganzen Tag mit Mops, Schrubbern, Hämmern und Gartenscheren zu schaffen, um die Spuren der nächtlichen Verwüstung zu beseitigen.
Jeden Freitag trafen fünf Kisten Orangen und Zitronen von einem Obsthändler in New York ein - jeden Montag wanderten dieselben Orangen und Zitronen in einer Pyramide aus fruchtfleischlosen Hälften zur Hintertür wieder hinaus. In der Küche stand ein Gerät, das binnen einer halben Stunde zweihundert Orangen auspressen konnte, sofern der Daumen eines Butlers zweihundert Mal einen kleinen Knopf drückte.
Alle zwei Wochen mindestens rückte eine Mannschaft Lieferanten an und brachte etliche Bahnen Segeltuch und genügend bunte Lichter, um Gatsbys riesigen Garten in einen Weihnachtsbaum zu verwandeln. Glitzernde Horsd'oeuvres zierten die Buffettische, auf denen sich Gewürzschinken an bunt komponierte Salate und Schweine im Blätterteig und dunkelgold gezauberte Puten drängten. In der Empfangshalle wurde eine Bar mit echtem Messinggeländer aufgebaut. Hier gab es verschiedene Gins und Weinbrände und so lange nicht mehr gesehene Liköre, dass die meisten weiblichen Gäste zu jung waren, um einen vom anderen zu unterscheiden.
Spätestens um sieben trifft das Orchester ein - keine mickrige Fünfer-Truppe, sondern ein ganzer Graben voller Oboen, Posaunen, Saxophone, Violen, Kornetts, Pikkoloflöten, heller und dunkler Trommeln. Inzwischen sind auch die letzten Schwimmer vom Strand zurück und machen sich im oberen Stockwerk zurecht; die Wagen aus New York parken in Fünferreihen vor dem Haus, und schon leuchten die Säle und Salons und Veranden vor satten Farben und seltsamen neuen Haarschnitten und Schals, von denen man in Kastilien nur träumt. An der Bar herrscht Hochbetrieb, und draußen schwärmen Cocktailrunden in jeden Winkel des Gartens aus, bis von all dem Geplauder und Gelächter, den kleinen Anzüglichkeiten, gleich wieder vergessenen Namen und enthusiastischen Begegnungen junger Damen, die nie wussten, wie die andere heißt, die Luft vibriert.
Die Lichter werden heller, je weiter die Erde von der Sonne forttaumelt. Das Orchester spielt goldgelbe Cocktailmusik, und die Stimmenoper rutscht eine Tonlage höher. Das Gelächter perlt von Minute zu Minute leichter; schon ein launiges Wort genügt, und es fließt in verschwenderischen Strömen. Die Gruppen verändern sich rascher, schwellen kurz an, zerstreuen sich und bilden sich im selben Atemzug neu - und schon gehen manche auf Wanderschaft., selbstsichere Mädchen, die sich mal hier, mal dort zwischen die steteren und standfesteren weben, einen intensiven, beglückenden Augenblick lang der Mittelpunkt einer Gruppe sind und dann, von ihrem Triumph beflügelt, im ständig wechselnden Licht durch das changierende Meer aus Gesichtern und Stimmen und Farben davongleiten.
Plötzlich greift eine dieser Zigeunerinnen in irisierendem Opal einen Cocktail aus der Luft, stürzt ihn hinunter, um sich Mut anzutrinken, und tanzt, die Hände wie Joe Frisco bewegend, allein auf die mit Segeltuch bespannte Bühne. Kurze Stille; der Orchesterleiter ändert höflich seinen Rhythmus für sie, und Geschnatter bricht aus, während die irrtümliche Nachricht umgeht, sie sei Gilda Grays zweite Besetzung in den Follies. Die Party hat begonnen.
Ich glaube, ich gehörte an meinem ersten Abend bei Gatsby zu den wenigen Gästen, die tatsächlich eingeladen waren. Die Leute wurden nicht eingeladen - sie gingen hin. Sie stiegen in Autos, die sie nach Long Island beförderten, und landeten irgendwie vor Gatsbys Tür. Einmal dort, wurden sie ihm von jemandem, der ihn kannte, vorgestellt und befolgten von da an die Verhaltensregeln, die im Allgemeinen für Vergnügungsparks gelten. Manch einer kam und ging, ohne Gatsby überhaupt kennengelernt zu haben, kam mit einer Einfalt des Herzens, die eine eigene Eintrittskarte war.
Ich war tatsächlich eingeladen worden. An jenem Samstag war ein Chauffeur in taubeneiblauer Livree frühmorgens über meinen Rasen geschritten und hatte mir eine überraschend förmliche Nachricht seines Herrn überreicht - es wäre Gatsby eine außerordentliche Ehre, stand dort, wenn ich am Abend zu seiner »kleinen Party« erscheinen würde; er habe mich schon einige Male gesehen und mir längst seine Aufwartung machen wollen, doch ein Zusammentreffen seltsamer Umstände habe ihn daran gehindert - gezeichnet, mit schwungvoller Handschrift., Jay Gatsby.
In weiße Flanellhosen gekleidet, ging ich kurz nach sieben Uhr in seinen Garten hinüber und wanderte ein wenig befangen zwischen den Wirbeln und Strudeln mir unbekannter Leute umher - auch wenn ich hier und da ein Gesicht entdeckte, das ich im Vorortszug schon einmal gesehen hatte. Mir fielen sofort die vielen jungen Engländer auf, die die Menge sprenkelten; alle gut gekleidet, alle ein wenig hungrig aussehend, redeten sie allesamt mit leiser, ernster Stimme auf solide und wohlhabende Amerikaner ein. Ich war sicher, dass jeder von ihnen etwas zu verkaufen hatte: Aktien oder Versicherungen oder Autos. Zumindest waren sie sich des leichtverdienten Geldes in ihrer Nähe schmerzlich bewusst und davon überzeugt, nur ein paar Worte im richtigen Tonfall würden reichen, und es wäre ihres.
Gleich nach meiner Ankunft machte ich mich auf die Suche nach dem Gastgeber, doch die zwei oder drei Gäste, die ich nach ihm fragte, starrten mich nur entgeistert an und leugneten so vehement, die geringste Vorstellung von seinem Verbleib zu haben, dass ich mich schleunigst an die Cocktailbar verzog - den einzigen Ort im Garten, wo ein Mann längere Zeit herumstehen konnte, ohne beschäftigungslos und allein zu wirken.
Ich war im Begriff, mich aus schierer Verlegenheit sternhagelvoll laufen zu lassen, als Jordan Baker aus dem Haus trat, sich oben an die Marmortreppe stellte und mit leicht zurückgeneigtem Oberkörper spöttisch, aber interessiert in den Garten herunterblickte.
Ob es ihr recht war oder nicht - ich musste mich jemandem anschließen, ehe ich anfing, an jeden Vorbeikommenden warme Worte zu richten.
»Hallo!«, brüllte ich und ging auf sie zu. Meine Stimme schallte unnatürlich laut durch den Garten.
»Ich dachte mir schon, dass Sie vielleicht hier wären«, antwortete sie zerstreut, während ich die Treppe hinaufstieg. »Sie hatten ja gesagt, Sie wohnten gleich neben -Ì
Sie behielt unbeteiligt meine Hand in der ihren, als Versprechen, dass sie sich mir in einer Minute widmen werde, und wandte sich zwei Mädchen in identischen gelben Kleidern zu, die am Fuß der Treppe stehen blieben.
»Hallo!«, riefen sie im Chor. »Schade, dass Sie nicht gewonnen haben.«
Das galt dem Golfturnier. Sie hatte in der Woche zuvor die Endrunde verloren.
»Sie wissen sicher nicht, wer wir sind«, sagte eins der Mädchen in Gelb, »aber wir haben uns vor ungefähr einem Monat schon einmal hier getroffen.«
»Sie haben sich in der Zwischenzeit die Haare gefärbt«, bemerkte Jordan, und ich zuckte zusammen, doch die Mädchen waren schon weitergezogen, und die Bemerkung ging an den Mond, der, wie die Speisen zweifellos aus einem der Lieferantenkörbe zutage gefördert, früher als sonst am Himmel stand. Jordan schob ihren schlanken goldenen Arm unter meinen, und wir stiegen gemeinsam die Treppe hinab und schlenderten durch den Garten. Ein Tablett mit Cocktails schwebte im Dämmerlicht auf uns zu, und wir setzten uns zu den beiden Mädchen in Gelb und drei Herren, die uns einer nach dem anderen als Mr. Murmelmurmel vorgestellt wurden, an einen Tisch.
»Sind Sie häufig auf diesen Partys?«, fragte Jordan das Mädchen neben ihr.
»Zuletzt war ich hier, als ich Sie getroffen habe«, antwortete das Mädchen mit wacher, selbstbewusster Stimme. Sie wandte sich an ihre Freundin: »Du nicht auch, Lucille?«
Lucille auch.
»Ich komme gerne her«, sagte Lucille. »Mich kümmert's nicht groß, wo ich hingehe, deshalb amüsiere ich mich auch immer gut. Letztes Mal habe ich mir mein Kleid an einem Stuhl eingerissen - er hat mich sofort nach meinem Namen und meiner Adresse gefragt, und binnen einer Woche bekam ich ein Paket von Croirier's mit einem neuen Abendkleid darin.«
»Haben Sie's behalten?«, fragte Jordan.
»Natürlich. Ich wollte es heute Abend anziehen, aber es ist oben herum zu weit und muss noch geändert werden. Es ist gasblau, mit lavendelfarbenen Perlen darauf. Zweihundertfünfundsechzig Dollar.«
»Ist doch irgendwie merkwürdig, wenn einer so was macht«, sagte das andere Mädchen eifrig. »Er scheint mit niemandem den geringsten Ärger haben zu wollen.«
»Wer?«, fragte ich.
»Gatsby. Ich habe gehört . . . «
Die beiden Mädchen und Jordan beugten sich geheimnistuerisch vor.
»Ich habe gehört, Gatsby soll mal jemanden umgebracht haben. «
Uns überlief allesamt ein Schauer. Die Herren Murmelmurmel lehnten sich vor und lauschten eifrig.
»Das glaube ich nicht«, wandte Lucille skeptisch ein. »Ich glaube eher, dass er im Krieg ein deutscher Spion war.«
Einer der Männer nickte bestätigend.
»Das hat mir ein Mann erzählt, der alles über ihn wusste; der mit ihm zusammen in Deutschland aufgewachsen ist«, versicherte er uns nachdrücklich.
»O nein«, sagte das erste Mädchen, »das kann nicht stimmen. Während des Krieges war er beim amerikanischen Militär.« Als sie merkte, dass wir eher wieder ihrer Version der Dinge zuneigten, beugte sie sich aufgeregt vor. »Beobachtet ihn mal, wenn er sich unbeobachtet wähnt. Ich wette, er hat jemanden umgebracht.«
Sie kniff die Augen zusammen und zitterte. Lucille zitterte. Wir drehten uns alle um und hielten nach Gatsby Ausschau. Es bewies, wie viel romantisches Rätselraten er auslöste, dass auch solche Menschen über ihn tuschelten, die sonst auf dieser Welt wenig gefunden hatten, über das zu tuscheln ihnen notwendig erschien.
Jetzt wurde das erste Abendessen serviert - nach Mitternacht würde es noch ein zweites geben -, und Jordan lud mich ein, mich zu ihr und ihren Freunden zu gesellen, die um einen Tisch am anderen Ende des Gartens gruppiert saßen. Es waren drei Ehepaare sowie Jordans Begleiter, ein hartnäckiger junger Student, der zu heftiger Anzüglichkeit neigte und unter dem Eindruck zu stehen schien, Jordan würde sich ihm früher oder später in dem einen oder anderen Maße hingeben. Anstatt umherzustreunen, hatte diese Gesellschaft eine würdevolle Geschlossenheit gewahrt und sich selber die Rolle des gediegenen Landadels zugewiesen- East Egg beehrte West Egg mit seiner Anwesenheit, sorgsam auf der Hut vor dessen spektroskopischer Fröhlichkeit.
»Kommen Sie«, flüsterte Jordan mir nach einer irgendwie vergeudeten und unerquicklichen halben Stunde zu. »Hier geht es mir viel zu gesittet zu.«
Wir standen auf, und sie erklärte, wir wollten uns auf die Suche nach dem Gastgebermachen-ich hätte ihn noch gar nicht kennen gelernt, sagte sie, und das sei mir unangenehm. Der junge Student nickte auf zynische, schwermütige Weise.
An der Bar, wo wir zuerst nachschauten, herrschte Gedränge, doch Gatsby war nicht dort. Vom oberen Treppenabsatz aus konnte sie ihn nirgends entdecken, und auch auf der Veranda war er nicht. Auf gut Glück öffneten wir eine gewichtig aussehende Tür und betraten eine hohe gotische Bibliothek, die mit geschnitztem englischem Eichenholz getäfelt und vermutlich vollständig aus irgendeiner Ruine jenseits des Atlantiks hierher transportiert worden war.
Ein kräftiger Mann mittleren Alters mit einer riesigen Eulenaugen-Brille auf der Nase saß mehr oder minder betrunken auf der Kante eines großen Tisches und starrte mit unbeständiger Konzentration auf die Bücherregale. Als wir näher traten, schwang er erregt herum und musterte Jordan von Kopf bis Fuß.
»Was meinen Sie?«, fragte er ungestüm.
»Wozu?«
Er deutete mit wedelnder Hand auf die Bücherregale.
»Dazu. Sie brauchen's nicht nachzuprüfen. Das hab ich schon erledigt. Sie sind echt.«
»Die Bücher?«
Er nickte.
»Vollkommen echt, mit Seiten und allem. Ich dachte, es wär schöne, haltbare Pappe. Dabei sind sie vollkommen echt. Mit Seiten und . . . Hier! Ich zeig's Ihnen.«
Er schien überzeugt, dass wir es nicht glauben würden, denn er eilte ans Regal und kam mit Band eins der Stoddard Lectures zurück.
»Sehen Sie!«, rief er triumphierend. »Ein waschechtes Druckerzeugnis. Ich bin drauf reingefallen. Der Kerl ist ein richtiger Belasco. Einfach großartig. Diese Gründlichkeit! Dieser Realismus! Wusste genau, wie weit er gehen durfte - hat die Seiten noch nicht aufgeschnitten! Aber was wollen Sie? Was erwarten Sie?«
Er riss mir das Buch aus den Händen und stellte es hastig wieder ins Regal; wenn man einen Stein herausnehme, hörten wir ihn brummeln, drohe womöglich die ganze Bibliothek in sich zusammenzufallen.
»Wer hat Sie mitgebracht?«, fragte er. »Oder sind Sie einfach so hergekommen? Ich wurde mitgebracht. Wie die meisten hier.«
Jordan schaute ihn aufmerksam und munter an, ohne zu antworten.
»Mich hat eine Frau namens Roosevelt mitgebracht«, fuhr er fort. »Mrs. Claude Roosevelt. Kennen Sie sie? Ich hab sie gestern Abend irgendwo kennengelernt. Ich bin jetzt seit einer Woche betrunken und dachte mir, in einer Bibliothek zu sitzen würde mich vielleicht ausnüchtern.«
»Und hat es das?«
»Ein bisschen, glaube ich. Ich kann's noch nicht sagen. Bin erst seit einer Stunde hier. Hab ich Ihnen schon von den Büchern erzählt? Sie sind echt. Sie sind -«
»Ja, haben Sie.« Wir schüttelten ihm feierlich die Hand und gingen wieder nach draußen.
Auf der Bühne im Garten wurde jetzt getanzt, alte Männer, die junge Mädchen endlos und ungraziös im Kreise rückwärts schoben, vornehme Paare, die einander kunstvoll verschraubt umfasst hielten und in den Ecken blieben - und eine große Anzahl einzelner junger Frauen, die nach ihrem eigenen Stil tanzten oder das Orchester für einen Moment von der Last des Banjos oder der Trommeln befreiten. Bis Mitternacht wurde die Stimmung immer ausgelassener. Ein gefeierter Tenor sang italienisch, eine weltbekannte Altistin sang Jazz, und zwischen den Nummern vollführten die Leute überall im Garten »Kunststückchen«, während fröhliches hohles Gelächter zum Sommerhimmel emporstieg. Als Babys verkleidete »Zwillinge« - die sich als die beiden Mädchen in Gelb entpuppten - brachten einen Sketch auf die Bühne, und in Gläsern, die größer als Fingerschalen waren, wurde Champagner serviert. Der Mond war höher geklettert, und auf dem Sund trieb ein Dreieck aus silbernen Schuppen und zitterte leise zu dem steifen, blechernen Getröpfel der Banjos auf dem Rasen.
Ich war immer noch an Jordans Seite. Wir saßen mit einem Mann meines Alters und einem kleinen Wildfang von einem Mädchen zusammen, das bei der geringsten Veranlassung völlig unbeherrscht draufloslachte. Mittlerweile amüsierte ich mich gut. Ich hatte zwei Schalen Champagner getrunken, und alles wollte mir nun bedeutsam, elementar und tiefgründig erscheinen.
Während einer Flaute im Unterhaltungsprogramm schaute der Mann mich an und lächelte.
»Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor«, sagte er höflich. »Waren Sie nicht im Krieg in der Dritten Division?«
»Ganz recht! Ich war im Neunten Maschinengewehrbataillon. Ì
»Und ich war bis Juni 1918 im Siebten Infanterieregiment. Wusste ich's doch, dass ich Sie irgendwo schon mal gesehen hatte. «
Wir unterhielten uns eine Weile über das eine oder andere feuchte, graue Dorf in Frankreich. Offenbar wohnte er hier in der Gegend, denn er erzählte mir, er habe sich gerade ein Wasserflugzeug gekauft und wolle es am nächsten Morgen ausprobieren.
»Kommen Sie mit, alter Knabe? Nur über den Sund, an der Küste entlang. «
»Um wie viel Uhr? «
»Wann immer es Ihnen passt.«
Ich wollte ihn eben nach seinem Namen fragen, als Jordan sich umdrehte und lächelte.
»Amüsieren Sie sich jetzt besser?«, fragte sie mich.
»Viel besser.« Ich wandte mich wieder meinem neuen Freund zu. »Eine sonderbare Party, finde ich. Ich habe bisher noch nicht mal den Gastgeber gesehen. Ich wohne da drüben - meine Hand wies in die Richtung der unsichtbaren Hecke -, »und dieser Gatsby hat seinen Chauffeur mit einer Einladung zu mir herübergeschickt.«
Einen Moment lang sah er mich an, als verstünde er nicht ganz.
»Ich bin Gatsby«, sagte er plötzlich.
Übersetzung: Bettina Abarbanell
© Diogenes Verlag AG www.diogenes.ch
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Autoren-Porträt von F. Scott Fitzgerald
Autoren-Porträt von F.Scott Fitzgerald
Mit demgroßen Erfolg seines Romanerstlings "This Side of Paradise" und mit "The GreatGatsby" wurde F. Scott Fitzgerald (1896 - 1940)zum literarischen Wortführer jener Ära, für die er das Schlagwort "Jazz Age"prägte. Er hat das glitzernde New York der Zwischenkriegsjahre, das sich fürdie Rhythmen von Duke Ellington und Louis Armstrong begeisterte,zeitdokumentarisch eingefangen, ohne die Frage auszublenden, ob dieser Glanztrügerisch sei. Seine Helden, kaum verhüllte Porträts Fitzgeralds, strotzen vorSelbstbewußtsein und leiden zugleich an ihrem Ausbeuten der eigenen Seele.
Bibliographische Angaben
- Autor: F. Scott Fitzgerald
- 2007, 16. Aufl., 256 Seiten, Maße: 17,7 x 11 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Bettina Abarnell
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257236921
- ISBN-13: 9783257236927
Rezension zu „Der große Gatsby “
»Engel sind die eleganteren Menschen. Aber wer hoch steigt, wird tief fallen. Niemand zeigte beides so schön wie F. Scott Fitzgerald.« Peter Michalzik / Frankfurter Rundschau Frankfurter Rundschau
Pressezitat
»Engel sind die eleganteren Menschen. Aber wer hoch steigt, wird tief fallen. Niemand zeigte beides so schön wie F. Scott Fitzgerald.« Peter Michalzik / Frankfurter Rundschau Frankfurter Rundschau
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