Blut und Silber
Roman
Deutschland 1296: König Adolf von Nassau setzt eine gewaltige Streitmacht gegen Freiberg in Bewegung, um die reiche Silberstadt in die Knie zu zwingen.
Unter den Bürgern entbrennt ein heftiger Streit: Dürfen sie sich ihrem König...
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Produktinformationen zu „Blut und Silber “
Deutschland 1296: König Adolf von Nassau setzt eine gewaltige Streitmacht gegen Freiberg in Bewegung, um die reiche Silberstadt in die Knie zu zwingen.
Unter den Bürgern entbrennt ein heftiger Streit: Dürfen sie sich ihrem König widersetzen? In den Reihen der Freiberger, die die belagerte Stadt heldenhaft verteidigen, kämpfen auch Änne, eine Nachfahrin der Hebamme Marthe, und die Gauklerin Sibylla. Entsetzt müssen sie miterleben, wie Freiberg blutig erobert wird durch Verrat!
Lese-Probe zu „Blut und Silber “
Blut und Silber von Sabine EbertPROLOG
Häuser brannten lichterloh, Menschen rannten schreiend
davon, während sich eine nicht enden wollende Schar Bewaffneter
wie ein schwarzer, todbringender Strom in die Stadt ergoss
...
Schweißgebadet schreckte Änne aus dem Schlaf und krachte
mit dem Kopf gegen den schweren Apothekertisch, unter dem
sie wie jede Nacht auf einem Strohsack schlief. Doch den
Schmerz nahm das Mädchen kaum wahr. Zu verstörend war
das Traumbild gewesen - und zu wirklich.
Es geschah oft, dass sie nachts schlecht träumte: von dem unbarmherzigen
Vormund, bei dem sie lebte, seit ihre Eltern tot
waren, von seiner keifenden Frau, der sie es nie recht machen
konnte, und seinem bösartigem Neffen. Aber dieser Traum
war unglaublich schlimmer gewesen.
Hastig schlug Änne ein Kreuz. Ihr Herz klopfte wild, als wollte
es aus der Brust springen. Fröstelnd zog sie sich die zerschlissene
Decke enger um die Schultern. Es hatte schon lange
mehr keinen so strengen Winter gegeben. An den Wänden der
Kammer glitzerten Eiskristalle, auch wenn sie das in der Dunkelheit
kaum erkennen konnte.
Angestrengt lauschte sie, ob irgendjemand ihren Schreckensschrei
gehört hatte und aufgewacht war. Wenn sie das Haus
aus dem Schlaf weckte, würde der Vormund sie gnadenlos verprügeln.
Und er war stark, der Meister Jenzin. Von seinen
Schlägen würde ihr Gesicht wieder eine ganze Woche geschwollen
und verfärbt sein.
Aber es blieb still im Haus des Apothekers. Also war es wohl
am klügsten, sich wieder unter der Decke zu verkriechen und
zu beten, dass sie sich irrte.
Wenn ihr der Alptraum in dieser Klarheit schon zum dritten
Mal erschienen war, konnte das nur eines bedeuten: Es stimmte,
was der Oheim ihr Tag für Tag vorhielt.
... mehr
Sie stammte tatsächlich aus einem verfluchten Geschlecht.
Verflucht, weil sich die Männer durch ihren Mut immer wieder
zu viele gefährliche Feinde machten und die Frauen mit
der Gabe des zweiten Gesichts gezeichnet waren - was den
einen wie den anderen den vorzeitigen Tod einbrachte.
Doch wenn das stimmte, bedeutete dies auch, dass sich die
Schreckensbilder aus ihrem Traum erfüllen würden!
Jene, die sie gerade noch vor Augen hatte, und auch die anderen:
drei Köpfe vor den Toren der Stadt aufgespießt ... und der
Obere Markt voller Blut, das den frisch gefallenen Schnee rot
färbte, umsäumt von Verwundeten und Gefangenen, die fassungslos
auf die enthaupteten Leichname ihrer Gefährten
starrten ...
Würde tatsächlich noch diesen Winter ein sengendes, mordendes
Heer in Freiberg wüten? Vielleicht sogar schon morgen
oder übermorgen?
Je länger Änne zitternd dalag und in die Finsternis starrte, viel
zu aufgewühlt und verängstigt, um wieder einschlafen zu können,
umso stärker wuchs in ihr die Gewissheit. Noch ehe der
Schnee schmolz, würde eine grausame Macht die Stadt erobern
und Ströme von Blut vergießen. Blut von Menschen, die sie
kannte. Und niemand konnte das Verhängnis abwenden.
ERSTER TEIL
Die belagerte Stadt
Altenburg, Dezember 1295
Ich habe ein ganz dummes Gefühl.«
Das hätte Ritter Ulrich von Maltitz nicht erst aussprechen
müssen. Seine misstrauische Miene und die Unruhe, mit der er
immer wieder zur Tür blickte, die schief in den Angeln hing
und bei jeder Bewegung laut knarrte, sagten genug.
Er hatte noch nicht einmal den schneebedeckten Umhang abgelegt.
Die schmelzenden Flocken ließen sein schulterlanges
Haar schwarz wirken.
»Meint Ihr das Essen, das uns dieser schmierige Wirt bringt,
sofern er es je fertigbekommt?«, antwortete der Markgraf von
Meißen mit verhaltenem Spott, während er es sich auf einer
Bank bequem machte und die langen Beine ausstreckte, die
vom anstrengenden Ritt durch die strenge Kälte des Winters
steif geworden waren.
Der König hatte Friedrich von Wettin hierher in die Reichsstadt
Altenburg beordert, und wenn es nach ihm ginge, dürfte
dieser den Markgrafentitel gar nicht mehr führen. Denn Adolf
von Nassau, vor dreieinhalb Jahren zum Regenten gewählter
Niemand unter den Reichsfürsten, erhob Anspruch auf die
Mark Meißen. Obwohl das Fürstengericht noch nicht die Acht
über den Meißner gesprochen hatte, galt Friedrich schon so
gut wie geächtet, als Rebell, der sich dem König mit dem
Schwert entgegenstellte, um seinen Besitz zu wahren. Oder
das, was davon übrig war, nachdem sein verschwenderischer
Vater auf leichtsinnige Weise den größten Teil seiner Ländereien
verschleudert hatte. Dabei war es keine zehn Jahre her, dass
dessen Vater über fünf Fürstentümer herrschte!
»Ihr wisst genau, was ich meine«, antwortete Ulrich von Maltitz
ungestüm und vergaß dabei für einen Augenblick den respektvollen
Ton, den er seinem Lehnsherrn schuldete. »Wenn
Ihr auf meinen Rat hörtet, wären wir nie hierhergekommen.
Das riecht nach einem Hinterhalt, nach Verrat!«
Der dunkelhaarige Ritter Anfang dreißig legte den Umhang
ab und ließ ihn achtlos auf die Bank sinken, ohne die Tür aus
den Augen zu lassen. Dann trat er sogar einen Schritt in den
Gang hinaus, um hinunter in die Schankstube des Wirtshauses
zu spähen, in dem sie Quartier genommen hatten. Rauchschwaden
vom Herdfeuer und der Lärm der Zecher drangen
in die größte der oberen Kammern, wo ein paar Schankmägde
die Tafel für die hohen Gäste aufgestellt hatten. Doch niemand
schien sich die altersschwache Holztreppe hinaufzuwagen.
Krachend ließ Ulrich die Tür wieder hinter sich zufallen und
blieb stehen, die Hand am Schwert.
»Wollt Ihr etwa dem König so viel Unehrenhaftigkeit unterstellen?
«, ermahnte ihn der Markgraf mit hochgezogenen
Augenbrauen, immer noch eher spöttisch als streng.
Friedrich war achtunddreißig Jahre alt und weder der dichtende
Schöngeist wie sein Großvater, den man »den Erlauchten«
nannte, noch der verlebte Verschwender wie sein Vater. Er war
nüchtern, zupackend und entschlossen. Und er teilte das Misstrauen
des Maltitzers, eines seiner engsten Vertrauten, was die
Möglichkeit betraf, der König habe sie nur hierherbeordert,
um den Gegner beiseiteschaffen zu lassen, auch wenn er es
sich nicht anmerken ließ. Es gab keinen Verhandlungsstoff.
Adolf von Nassau wollte die Mark Meißen, und Friedrich war
nicht bereit, sie herzugeben. So war der Stand der Dinge.
Doch der König hatte sein Heer gen Meißen in Bewegung
gesetzt und auf dem Weg dorthin bereits zum zweiten Mal
binnen kurzem Thüringen verwüsten lassen. Friedrich wollte
nicht, dass die Angst und Schrecken verbreitende Streitmacht
des Nassauers nun auch noch Meißen und Freiberg, seine reiche
Silberstadt, in Schutt und Asche legte. Deshalb war er nach
Altenburg geritten, so groß die Gefahr eines Hinterhaltes auch
sein mochte. Er durfte nichts unversucht lassen, um seinem
Land den Krieg zu ersparen.
Ulrich schnaubte verächtlich. »Der König! Was für ein König
ist das schon? Ein Schwächling, einer, der sich die Stimmen
der Fürsten bei der Wahl gegen den Habsburger mit leeren
Versprechungen erkauft hat, weil er weder Land noch Geld
besitzt. Und deshalb stiehlt er es - von Euch und Euerm
Bruder!«
Friedrich hätte König sein sollen, dachte Ulrich wütend. Sein
Großvater gleichen Namens war der letzte große Stauferkaiser,
und schon als Zwölfjährigem hatte man ihm die Kaiserwürde
angetragen, ohne dass er sie je erringen konnte. Friedrich
III., König von Jerusalem und Sizilien, Herzog von
Schwaben, Landgraf zu Thüringen und Pfalzgraf zu Sachsen -
das sollten seine Titel sein, von der Herrschaft über die Mark
Meißen ganz zu schweigen! Und die wollte ihm Adolf von
Nassau nun auch noch nehmen.
Der Markgraf beugte sich leicht vor, nun mit strengem Gesichtsausdruck.
»Es grenzt an Hochverrat, was Ihr da von
Euch gebt!«, ermahnte er seinen Ritter mit gesenkter, gefährlich
anmutender Stimme. »Hütet Eure Zunge! Und zur Übung
beginnt Ihr damit besser sofort, noch bevor wir morgen auf
die Männer des Königs treffen!«
Die Gesichtszüge des Maltitzers verschlossen sich, er sank auf
ein Knie. »Vergebt mir, mein Fürst«, murmelte er und verbiss
sich die Bemerkung, sie könnten sich glücklich preisen, wenn
sie erst am nächsten Tag und nicht schon heute Nacht auf die
Männer des Königs treffen würden.
»Nun steht schon auf und setzt Euch zu uns«, lenkte der
Markgraf ein. Mit knapper Geste wies er auf den Platz zwischen
sich und den anderen Rittern, die sich bereits an die
Tafel gesetzt hatten und ebenfalls zur Tür blickten - allerdings
eher in Erwartung des Wirtes mit Braten und Wein statt eines
Kommandos gedungener Meuchelmörder.
Ulrich von Maltitz zögerte. Der lange Ritt bei scheußlichem
Schneegestöber hatte auch ihm die letzten Kräfte abverlangt,
seine Beinmuskeln zitterten immer noch vor Anspannung,
und die Aussicht, sich setzen zu können, war mehr als verlockend,
zumal einer der Knechte ein Kohlebecken aufgestellt
hatte, das wenigstens im Umkreis von zwei, drei Schritten
wohlige Wärme verbreitete. Doch er konnte sich nicht setzen,
ohne das lange Schwert abzulegen, und ebenso wenig wollte
er - eingeklemmt zwischen den Kampfgefährten - mit dem
Rücken zur Tür hocken.
»Wenn Ihr erlaubt, bleibe ich stehen und behalte den Gang im
Auge.«
Friedrich seufzte schicksalsergeben. »Ihr seid übervorsichtig.
Aber tut, was Ihr nicht lassen könnt!«
Der kurze Blick, den er mit Ulrich wechselte, sagte allerdings
etwas anderes: Wie erleichtert der Markgraf über die Vorsicht
seines Vertrauten war, zu der es hinreichend Anlass gab.
Es klopfte, erst zaghaft, dann stärker. Ulrich riss die Tür auf.
Erschrocken fuhr die mit zwei schweren Krügen beladene
Schankmagd zurück, als sie sich plötzlich dem blanken Schwert
eines Ritters gegenübersah. Von Maltitz fragte sich, wie sie
wohl angeklopft hatte - mit dem Ellbogen oder mit der Fußspitze?
Etwas von dem Wein war durch ihre hastige Bewegung auf ihr
grobgewebtes Kleid geschwappt, doch das schien sie gar nicht
wahrzunehmen. Ihre schreckensweiten Augen waren von der
scharfen Waffe wie gebannt. Ulrich ließ das Schwert sinken
und trat einen Schritt zurück.
Die Frau, deren Gesicht vor Hitze gerötet war und kleine
Schweißperlen auf der Stirn und über den zusammengekniffenen
Lippen aufwies, knickste rasch erst vor ihm, dann tief vor
dem Markgrafen. »Ich bringe Wein. Wenn es den edlen Herren
beliebt?«
Auf Friedrichs Zeichen hin goss sie erst ihm den Becher voll,
dann seinen Rittern: nach Ulrich von Maltitz auch Reinhard
von Hersfeld, den Brüdern Tylich und Theodor von Honsberg,
Rudolf von Falkenstein, Reinhard von Seweschin und
dem Jüngsten, Hertwig von Hörselgau. Die anderen Männer
hatte Ulrich bei den Pferden und um das Wirtshaus herum
postiert. Friedrichs Gefolge war klein, aber sorgfältig ausgewählt
unter den besten seiner kampferprobten Ritter.
»Ihr gestattet!« Nach der wortlosen Zustimmung des Markgrafen
nahm Ulrich dessen Becher und kostete vor.
Wein, wirklich.
»Ziemlich sauer, aber nicht vergiftet, wie es scheint.«
Ulrich reichte den Becher zurück.
Die Magd warf ihm heimlich einen beleidigten Blick zu
und stellte den Wein vor dem Markgrafen ab. Dann schenkte
sie aus dem zweiten Krug Bier an die niederen Gefolgsleute
aus.
Als sie damit fertig war, knickste sie erneut und ging.
Friedrich hob seinen Becher. »Möge Gott uns morgen beistehen!
«
»Amen!« Die anderen tranken ihm stehend zu.
Und möge Gott uns auch diese Nacht beistehen, dachte Ulrich
bei sich, während er einen kräftigen Schluck nahm.
Wieder klopfte es, und eine weitere Schankmagd brachte ein
großes Brett mit Brot, Käse, Schinken und Speck. »Der Braten
ist gleich fertig, lässt der Wirt ausrichten«, erklärte sie.
Niemand antwortete ihr. Die Ritter, hungrig und durchgefroren,
brachen auf Friedrichs einladende Geste Stücke von
dem noch warmen Brotlaib, zogen ihre Essmesser und schnitten
dicke Scheiben von Käse, Schinken und Speck ab. Mit Erlaubnis
ihres Fürsten durften sie heute die Regel für höfi sche
Mahle vernachlässigen, nach der als maßlos betrachtet wurde,
wer das Brot aß, bevor die Hauptspeisen aufgetragen waren.
Die letzte Rast auf dem Weg hierher lag lange zurück.
Wenn auch die Herberge am Markt verräuchert war und Aussehen
und Kleidung des Wirtes wenig vertrauenerweckend
wirkten - das noch dampfende Brot schmeckte köstlich, der
Schinken war gut geräuchert, der Käse würzig.
Die Männer begannen, sich zu entspannen und lautstark zu
unterhalten.
Feuchte Schwaden stiegen von ihren Kleidern auf, die der
Schnee durchnässt hatte. Doch allmählich wurde es warm im
Raum, und ihre Kleider und Haare begannen zu trocknen.
»Wenn Ihr erlaubt, Hoheit!«
Johannes Lotzke, ein junger Freiberger, bot sich an, für Friedrich
und seine Ritter Wein nachzuschenken, denn die Knappen
waren zur Wache bei den Pferden eingeteilt worden.
Aufmunternd nickte Friedrich dem jungen Mann mit dem
rötlichen Haar zu, den er erst kürzlich in sein Gefolge aufgenommen
hatte und der ihm durch seinen Diensteifer und
seine Klugheit aufgefallen war. Sein Vater, ein Gewandschneider
und einer der Freiberger Ratsherren, hatte ihn geschickt,
damit er dem Markgrafen diene, höfi sches Benehmen lerne
und bis zu seiner Verheiratung etwas von der Welt sehe.
»Sag, junger Lotzke, wann soll die Hochzeit sein?«, fragte
breit grinsend Rudolf von Falkenstein, ein älterer Ritter mit
derbem Humor, der offensichtlich einen Spaß mit dem Freiberger
Burschen plante.
»Nach Pfi ngsten, Herr«, antwortete Johannes, während seine
Ohren in verräterischem Rot aufl euchteten. Er kannte die
Ritter inzwischen gut genug, um zu ahnen, dass sich der
Falkensteiner einen Scherz auf seine Kosten erlauben wollte.
»Und, ist sie hübsch, deine Braut?«
»Ich denke schon«, murmelte Johannes mit gesenktem Kopf,
scheinbar ganz darin vertieft, die Becher der Ritter nachzufüllen.
»Er denkt es!« Rudolf schlug sich auf die Schenkel und sah
grinsend zu seinen Tischnachbarn. »Aber sicher scheint er
nicht zu sein. Hast sie wohl noch nicht näher in Augenschein
genommen?«
Johannes erwiderte nichts. Wenn er die Wahrheit sagte, nämlich
dass er bis über beide Ohren in seine Zukünftige verliebt
war, die jüngere Tochter des Tuchers, es aber um nichts in der
Welt wagen würde, sich ihr vor der Brautnacht auch nur auf
fünf Schritte zu nähern, würde der Falkensteiner nicht nur
Späße auf seine, sondern auch auf ihre Kosten treiben. Und
das wollte er verhindern.
Überhaupt - die Hochzeitsnacht ... Der Gedanke daran ließ
ihn noch verlegener werden.
Das schien der stets zu Späßen aufgelegte Falkensteiner zu erraten.
»Mir scheint, unser junger Freiberger ist recht schüchtern,
was Frauen betrifft. Er braucht wohl noch ein bisschen
Anleitung, bevor er vor die Kirchentür tritt, damit er seine
hübsche Braut vollends zufriedenstellen kann. Was meint
ihr?«
Wieder wandte er sich an die anwesenden Ritter. »Lassen wir
dem Wirt ausrichten, er möge unserem Freund hier Gesellschaft
für die Nacht besorgen? Aber keine Jungfrau, sondern
eine mit Erfahrung. Am besten einen richtig alten Drachen.
Dann lernt er schon einmal, was ihn in der Ehe erwartet, wenn
er nicht von Anfang an aufpasst ...«
Die anderen lachten schallend. Es war ein gutmütiger Spott,
dennoch war Johannes mittlerweile vom Hals bis zu den Haarwurzeln
rot angelaufen. Vergeblich suchte er nach einer Entgegnung,
aber ihm fi el nichts Passendes ein. Außerdem hätte
er sowieso nichts sagen dürfen, ohne dazu aufgefordert zu
werden. Also betete er stumm, dass der Falkensteiner seine
Ankündigung nicht wahr machte.
Der Markgraf wollte etwas Beschwichtigendes sagen, um den
jungen Mann aus seiner Verlegenheit zu erlösen, doch er kam
nicht dazu.
Ulrich von Maltitz' energisches »Still!« dröhnte dazwischen.
Mit erhobenem Arm, leicht vorgebeugt, sah der misstrauische
Ritter aus der schmalen Fensterluke, dann stürzte er zur Tür
und riss sie auf. »Bewaffnete! Sie kommen hierher!«, brüllte er
nach einem kurzen Blick hinab. »Zieht die Schwerter!«
Noch während seiner Worte sprangen die Männer auf, griffen
nach den Waffen und gruppierten sich um ihren Fürsten.
Aus den ebenerdigen Räumen drangen erschrockene Rufe,
gebrüllte Befehle, das Krachen umstürzender Bänke. Während
die Ziege, die der Wirt gleich neben der Schankstube hielt,
angstvoll meckerte, polterten schwere Tritte die Treppe herauf.
»Ihr müsst nach oben fl iehen!«, rief der Maltitzer dem Markgrafen
zu und wies auf die Luke zum Dach, bevor er den
schweren Riegel vorschob. »Es sind mehr als zwei Dutzend.
Wir können Euch nicht gegen sie alle verteidigen.«
Auch Friedrich zog sein Schwert und blickte auf seine Männer.
»Nein. Wir erwarten sie hier. Gott steh uns bei.«
Schon zerbarst die marode Tür unter einen wuchtigen Hieb
oder Tritt von draußen. Bewaffnete drängten durch die Öffnung,
um sofort von vier Meißner Rittern mit dem Schwert in
Empfang genommen zu werden.
Der Raum war so klein und vor allem so niedrig, dass sie kaum
ausholen konnten.
Den ersten Angreifer enthauptete Ulrich mit einem einzigen
Hieb, einen weiteren streckte Reinhard von Hersfeld nieder.
Doch über die Leichname ihrer gefallenen Kumpane hinweg
drängten immer mehr Angreifer in die Kammer. Die Männer
an der Tür mussten ein paar Schritte in das Innere zurückweichen.
Nun bildeten die sieben Ritter einen schützenden
Halbkreis um ihren Fürsten. Wohl ein Dutzend Angreifer -
allesamt mit dem königlichen Adler auf dem Wappenrock -
stürmten auf sie ein. Doch die Meißner hielten stand, auch
wenn ihr Halbkreis immer enger wurde.
Bald sah Ulrich nur noch Blut um sich, erkannte, dass der
Falkensteiner tödlich getroffen zu Boden ging und zwei ihrer
bewaffneten Reitknechte seinen Platz einnahmen. Der junge
Hertwig schrie neben ihm auf und sackte zusammen, die
Rechte über eine heftig blutende Wunde am linken Oberarm
pressend. Ulrich schob ihn rasch hinter sich und trat vor, um
den nächsten Angreifer niederzustrecken.
Seitlich von ihm krachte und prasselte es - ein paar Angreifer
hatten die Fachen aus Lehm und Stroh durchgetreten und
zwängten sich nun aus dem Nebenraum durch das Ständerwerk,
um von der Seite anzugreifen.
Fast im gleichen Augenblick drängten vier ihrer eigenen Leute,
die er unten als Wache postiert hatte, durch die Tür.
Ulrich blieb weder Zeit noch ausreichend Sicht, um die Feinde
zu zählen, die deutlich in der Überzahl waren. Das änderte
sich bald. Die Reisigen hatten inzwischen mehrere Gegner in
einen Kampf nahe der Tür verwickelt. Die anderen standen
den mittlerweile nur noch fünf Meißner Rittern und dem
Markgrafen gegenüber, der längst selbst mitkämpfte, Schwert
und Surkot voller Blut, mit schnellen, geschickten Hieben auf
die Gegner einschlagend.
Allmählich ließ der Kampfl ärm nach. Von den Angreifern waren
nur noch drei übrig, mit denen sich Ulrich, Tylich und
Reinhard erbitterte Zweikämpfe lieferten.
Ulrichs Gegner war ein Bulle von einem Kerl, mit Oberarmen
wie Schenkeln. Er focht einen plumpen Stil und verließ sich
ganz auf seine Kraft. Mit aller Macht drückte er seine Klinge
auf die des Kontrahenten, doch Ulrich entzog sich ihm mit
einer geschickten Bewegung und strich ihm im nächsten
Augenblick das Schwert über die Kehle. Wie ein gefällter
Baum stürzte der Bulle zu Boden und riss im Fallen das Kohlebecken
um.
Geistesgegenwärtig griff Ulrich nach dem Krug und goss das
Bier über die glühenden Stücke, wo es zischend verdampfte.
Die restliche Glut trat er hastig aus. Das trockene Gebälk würde
brennen wie Zunder, so dass nicht nur sie selbst Gefahr
liefen, in den Flammen umzukommen, sondern halb Altenburg
in Brand geraten konnte, sollte in der Kammer ein Feuer
ausbrechen.
Ulrich vergewisserte sich mit einem Blick, dass seine Gefährten
zurechtkamen, und wollte sich zu Friedrich umdrehen. In
diesem Augenblick gellte ein markerschütternder Schrei.
Der Maltitzer fuhr herum und erstarrte. Unter den totgeglaubten
Gegnern hatte sich einer aufgerappelt und stürzte mit gezogenem
Schwert von hinten auf den Markgrafen. Friedrich
bemerkte ihn zu spät, erst als der junge Lotzke warnend aufschrie.
Die todbringende Klinge fuhr direkt auf ihn zu; keiner
seiner Ritter war nahe genug, um einzugreifen. Immer noch
schreiend, warf sich der Freiberger zwischen die Waffe und
den Fürsten.
Verblüfft starrte der Angreifer auf den zusammensackenden
Körper, während der Markgraf unversehrt vor ihm stand. Sein
Zögern wurde ihm zum Verhängnis: Im nächsten Augenblick
war Ulrich von Maltitz heran und trieb dem Attentäter das
Schwert tief in die Brust. Dann zog er seine Waffe wieder heraus
und stieß den Leichnam mit einem Fußtritt beiseite, der
vor ihm zu Boden plumpste. »Seid Ihr unversehrt, mein
Fürst?«, fragte er atemlos und voller Sorge.
»Ja, dank dieses Jungen«, antwortete Friedrich düster. Vorsichtig
ließ er den durchbohrten Körper des Freibergers zu
Boden sinken, aus dessen Wunde ein Schwall Blut geströmt
war.
Ulrich atmete tief durch und sah sich in der Kammer um.
Der Kampf war beendet, der Boden mit Leichnamen übersät,
seine Gefährten voller Blut. Hertwig versuchte, mit einem
abgerissenen Ärmel seine Wunde abzubinden, Tylich blutete
heftig am Oberschenkel, und der alte Falkensteiner lag mit gespaltenem
Schädel nahe der Tür. Ihn hatten sie ganz verloren,
ihn und den jungen Freiberger, auf den sein Vater und seine
Braut nun vergeblich warten würden.
Von Maltitz schlug ein Kreuz. »Gott erbarme sich ihrer armen
Seelen.«
Dann stand er auf. »Wir müssen weg, sofort. Ich weiß nicht,
ob wir alle erwischt haben oder ob jemand entkommen ist, der
Verstärkung holt.«
Niemand widersprach. Er befahl den Reisigen, die Leichen
der beiden Gefallenen mitzunehmen, damit ihnen ein christliches
Begräbnis zuteilwerden konnte, und ließ Tylichs Wunde
in aller Eile notdürftig verbinden.
Dann stürmten sie hinaus, immer noch die blanken Schwerter
in der Hand. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Angesichts
des Kampfgetümmels waren die Gäste des Wirtshauses
längst davongerannt.
Die Knappen hatten bereits die Pferde für eine rasche Flucht
gesattelt.
Roland, Ulrichs Knappe, trat auf seinen Herrn zu. »Drei von
den Wachen haben sie erschlagen. Die anderen sind hochgerannt,
um Euch zu helfen«, berichtete er. Selbst in dem trüben
Licht konnte Ulrich erkennen, dass der Sechzehnjährige kreidebleich
war.
Die Reisigen holten nun auch die Leichname der gefallenen
Wachen und banden sie auf die Packpferde. Dann saßen alle
auf und ritten, so schnell sie konnten, durch die Dämmerung.
Bald würden die Stadttore geschlossen, und sie säßen in Altenburg
fest, den Mordgesellen des Königs ausgeliefert. Doch sie
hatten Glück. Das Tor in der Nähe des Wirtshauses war noch
nicht geschlossen.
Erschrocken drückten sich die Menschen in die Mauernischen
oder fl üchteten in die Häuser, als sie den wilden Reitertrupp
kommen sahen und hörten. Im Galopp sprengten
die Meißnischen aus der Stadt und in die einbrechende Nacht
hinaus.
Sie mochten wohl zehn oder zwölf Meilen weit gekommen
sein, als Friedrich Befehl gab zu halten. Sie rasteten am Rande
eines Waldes, allerdings nur kurz und ohne ein Feuer zu entzünden,
denn sie konnten nicht sicher sein, etwaige Verfolger
abgehängt zu haben. Der Mond, der den Schnee leuchten ließ,
sorgte für ausreichend Helligkeit.
»Ich schätze, die Verhandlungen sind damit beendet«, knurrte
Ulrich mit fi nsterer Miene und griff in den verharschten
Schnee, um das verkrustete Blut der Attentäter von seinen
Händen zu wischen.
»Das war eine offene Kriegserklärung!«, sagte Reinhard von
Seweschin schroff, der Älteste unter Friedrichs Rittern. »Adolf
hat einen Präzedenzfall geschaffen - einen Fürsten, den er
unter Zusage freien Geleits zu sich beorderte, überfallen zu
lassen. Vielleicht bringt das endlich auch die anderen Fürsten
gegen ihn auf.«
»Vielleicht«, meinte Ulrich mit Blick auf Friedrich nachdenklich.
»Werden die Fürsten zusehen, wie der von ihnen gewählte
König die Waffen gegen die eigenen Vasallen, das eigene
Volk richtet? Wenn er Euch Titel, Land und Leben nehmen
will, könnte er das ebenso mit jedem von ihnen tun.«
Der Markgraf schüttelte kaum erkennbar den Kopf. »In einem
habt Ihr beide recht: Jetzt ist der Krieg unausweichlich. Adolf
wird sein Heer von Plünderern und Brandstiftern in die Mark
Meißen schicken. Und als Erstes werden sie versuchen, Freiberg
zu erobern. Der König will das Silber, damit wäre er viele
Sorgen los.«
Friedrich sah nun direkt zu Ulrich. »Aber es besteht keine
Hoffnung auf Hilfe. Mag auch Albrecht von Habsburg Anspruch
auf den Thron erheben - er wird unter den Fürsten
keinen offenen Verbündeten für eine neue Königswahl fi nden.
Noch nicht.«
Dann wandte sich Friedrich dem Hersfelder zu. »Reinhard,
reitet los zu Niklas von Haubitz; er soll seine Truppen, so
schnell es geht, nach Freiberg führen, um die Stadt zu verteidigen.
Ulrich, Ihr reitet dorthin und warnt sie. Ich vertraue Euch
das Kommando über Burg Freiheitsstein an. Wir brauchen
das Silber, um Truppen aufzustellen, mit denen wir gegen das
königliche Heer antreten. Sonst werden viele Menschen sterben.
Das wäre das Ende des Hauses Wettin und das Ende der
Hoffnung auf Frieden in der Mark.«
Freiberg, Januar 1296
Verzweifelt kämpfte sich die schmale Gestalt durch den
Schnee, stemmte sich mit letzter Kraft gegen den eisigen Wind,
der durch die Überreste des zerrissenen Kleides fuhr, die
Fetzen fl attern ließ und Eiskörner gegen die nackte Haut
peitschte.
Noch ein Schritt. Und noch einer. Wie viele mochten es sein
bis zum rettenden Stadttor? Hundert? Zweihundert? Schon
waren in der Dämmerung die dunklen Konturen der Wehrtürme
zu sehen, zeichnete sich vage durch das Schneetreiben
die starke Stadtmauer ab, der schützende Wall um Freiberg.
Etwas rann ihr die Beine hinab. Sie war zu schwach, um nachzusehen,
ob es Blut war. Ihr Körper verwehrte jede andere
Bewegung als das dumpfe Vorwärtsgehen. Und ihr Bewusstsein
weigerte sich, durch den Anblick noch einmal die schrecklichen
Erinnerungen heraufzubeschwören, die Todesschreie
und die rohe Gewalt.
Ich muss weiter, dachte sie verzweifelt. Denn nach dem Sterben
wird es keine Erlösung für mich geben, nur die schlimmsten
Qualen der Hölle. Auch wenn ich mich gewehrt habe und
Todesangst statt Wollust empfand - es war Sünde, und kein
Priester wird mich davon freisprechen.
Noch ein Schritt. Und noch einer.
Als hätten sich die Elemente gegen ihr letztes bisschen Lebenswillen
verschworen, heulte der Wind stärker auf, fegte
Wehen wie feine Schleier über das freie Feld vor ihr, ließ Wirbel
kreiseln, nahm ihr den Atem und die Sicht auf die rettenden
Mauern.
Sie wusste, wenn sie jetzt der Schwäche nachgab und sich in
den Schnee sinken ließ, würde sie nie wieder aufstehen.
Also setzte sie trotzig einen Fuß vor den anderen, eine tiefe
Spur durch den Schnee furchend, die der Sturm schon nach ein
paar Schritten wieder verwehte und zu einer kaum sichtbaren
Mulde verharmloste.
Sie wollte leben. Sie musste die anderen warnen.
Für einen Augenblick verharrte sie mitten in der Bewegung
und lauschte. Täuschte sie der heulende Wind, oder waren das
wirklich schon die Glocken, die ankündigten, dass die Tore
zur Stadt geschlossen würden?
Der Verstand sagte ihr: Du kommst zu spät. Sie werden die
Stadt schließen, und du wirst vor dem Tor im Schnee erfrieren.
Aber schneller gehen konnte sie nicht. Also setzte sie weiter
einen Schritt vor den anderen in der irrsinnigen Hoffnung,
man würde sie doch erhören und einlassen.
Sorgfältig verschloss Jan, einer der jungen Burschen von
Freibergs Wachmannschaft, den seine Kameraden manchmal
Waghals und manchmal Sturkopf riefen, das Peterstor. Gleich
würde einer der Ratsherren kommen, heute wohl Conrad Marsilius,
der Stadtphysicus, und den großen Schlüssel an sich
nehmen. Kein Störenfried sollte die Bürger aus ihrem wohlverdienten
Schlaf aufwecken, kein Gesindel sie des Nachts
belästigen. Und morgen, nach Tagesanbruch, würde man bei
Licht besehen können, wer Einlass begehrte.
»Gott sei gepriesen, wieder ein Tag, ohne dass die Truppen
des Königs hier angerückt sind«, meinte neben ihm Hartmann,
ein Blaufärber, der für diese Nacht zum Wachdienst am Peterstor
eingeteilt war und dessen Name in krassem Widerspruch
zu der schmächtigen Gestalt mit dem ängstlichen
Wesen stand.
Der Handwerker rieb sich vor Kälte oder aus Erleichterung
die von der Arbeit verfärbten Hände. »Wer weiß, ob sie über-
haupt hierherkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei
diesem strengen Winter jemand in den Krieg zieht.«
Darauf würde ich nicht wetten, dachte Jan und fuhr sich mit
der Rechten durch den hellen Lockenschopf, wie er es meistens
unbewusst tat, wenn ihn etwas beschäftigte. Doch er
schwieg, um den Blaufärber, der sich vor seinem eigenen Schatten
zu fürchten schien, nicht noch mehr zu verängstigen.
»Bei dem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür«,
plapperte der Schmächtige weiter. »Schnell, zurück ins Wachhaus,
ans Feuer!«
Wortlos ging Jan voran. Der Blaufärber hätte ja nicht mitkommen
müssen; das Tor hätte er auch allein verschließen können.
Aber er hatte förmlich darauf bestanden, mit stolzgeschwellter
Brust, so etwas Bedeutendes tun zu können oder zumindest
dabei zu sein. Drinnen im Wachhaus würden ihn seine Kameraden
hoffentlich vom Geschwätz des Färbers befreien, damit
er sich seinen eigenen Gedanken hingeben konnte.
Die Königlichen waren auch heute nicht gekommen. Aber
ebenso wenig die Verstärkung, die jener Ritter von Maltitz
versprochen hatte, der im Auftrag des Markgrafen das Kommando
über die Burg übernommen hatte. Wo, um alles in der
Welt, blieb nur Niklas von Haubitz mit seinem sehnlich erwarteten
Heer? Oder waren beide Streitmächte schon aufeinandergestoßen,
so dass der Stadt Belagerung und Krieg erspart
blieben? Zumindest, falls Niklas gesiegt hatte. Sonst wären sie
ohne Rettung der rheinischen Söldnerschar des Königs ausgeliefert,
über die die Leute die wildesten Geschichten erzählten,
von Sengen und Morden, Plündern und Brandschatzen.
Die Männer in der Wachstube - je zur Hälfte ausgebildete
Wachen und Stadtbürger, die reihum zu nächtlichen Diensten
eingeteilt waren - sahen kaum auf, als die beiden den Raum
wieder betraten. Angesichts der Kriegsgefahr waren die Wachmannschaften
verstärkt und alle neununddreißig Türme bemannt
worden.
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Ergänzte Taschenbuchausgabe April 2011
Knaur Taschenbuch.
Copyright © 2009 bei Knaur Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Ein Projekt der AVA international GmbH
Autoren- und Verlagsagentur www.ava-international.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise -
nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ilse Wagner
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: Frau: plainpicture / Arcangel
Schlacht: bridgeman / A Battle Scene: possibly James Scott,
Duke of Monmouth at the Siege of Maastricht in 1673 (oil on
canvas), Wyck, Jan (1640 - 1700) / © Victoria Art Gallery, Bath and
North East Somerset Council / The Bridgeman Art Library
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-63836-1
Sie stammte tatsächlich aus einem verfluchten Geschlecht.
Verflucht, weil sich die Männer durch ihren Mut immer wieder
zu viele gefährliche Feinde machten und die Frauen mit
der Gabe des zweiten Gesichts gezeichnet waren - was den
einen wie den anderen den vorzeitigen Tod einbrachte.
Doch wenn das stimmte, bedeutete dies auch, dass sich die
Schreckensbilder aus ihrem Traum erfüllen würden!
Jene, die sie gerade noch vor Augen hatte, und auch die anderen:
drei Köpfe vor den Toren der Stadt aufgespießt ... und der
Obere Markt voller Blut, das den frisch gefallenen Schnee rot
färbte, umsäumt von Verwundeten und Gefangenen, die fassungslos
auf die enthaupteten Leichname ihrer Gefährten
starrten ...
Würde tatsächlich noch diesen Winter ein sengendes, mordendes
Heer in Freiberg wüten? Vielleicht sogar schon morgen
oder übermorgen?
Je länger Änne zitternd dalag und in die Finsternis starrte, viel
zu aufgewühlt und verängstigt, um wieder einschlafen zu können,
umso stärker wuchs in ihr die Gewissheit. Noch ehe der
Schnee schmolz, würde eine grausame Macht die Stadt erobern
und Ströme von Blut vergießen. Blut von Menschen, die sie
kannte. Und niemand konnte das Verhängnis abwenden.
ERSTER TEIL
Die belagerte Stadt
Altenburg, Dezember 1295
Ich habe ein ganz dummes Gefühl.«
Das hätte Ritter Ulrich von Maltitz nicht erst aussprechen
müssen. Seine misstrauische Miene und die Unruhe, mit der er
immer wieder zur Tür blickte, die schief in den Angeln hing
und bei jeder Bewegung laut knarrte, sagten genug.
Er hatte noch nicht einmal den schneebedeckten Umhang abgelegt.
Die schmelzenden Flocken ließen sein schulterlanges
Haar schwarz wirken.
»Meint Ihr das Essen, das uns dieser schmierige Wirt bringt,
sofern er es je fertigbekommt?«, antwortete der Markgraf von
Meißen mit verhaltenem Spott, während er es sich auf einer
Bank bequem machte und die langen Beine ausstreckte, die
vom anstrengenden Ritt durch die strenge Kälte des Winters
steif geworden waren.
Der König hatte Friedrich von Wettin hierher in die Reichsstadt
Altenburg beordert, und wenn es nach ihm ginge, dürfte
dieser den Markgrafentitel gar nicht mehr führen. Denn Adolf
von Nassau, vor dreieinhalb Jahren zum Regenten gewählter
Niemand unter den Reichsfürsten, erhob Anspruch auf die
Mark Meißen. Obwohl das Fürstengericht noch nicht die Acht
über den Meißner gesprochen hatte, galt Friedrich schon so
gut wie geächtet, als Rebell, der sich dem König mit dem
Schwert entgegenstellte, um seinen Besitz zu wahren. Oder
das, was davon übrig war, nachdem sein verschwenderischer
Vater auf leichtsinnige Weise den größten Teil seiner Ländereien
verschleudert hatte. Dabei war es keine zehn Jahre her, dass
dessen Vater über fünf Fürstentümer herrschte!
»Ihr wisst genau, was ich meine«, antwortete Ulrich von Maltitz
ungestüm und vergaß dabei für einen Augenblick den respektvollen
Ton, den er seinem Lehnsherrn schuldete. »Wenn
Ihr auf meinen Rat hörtet, wären wir nie hierhergekommen.
Das riecht nach einem Hinterhalt, nach Verrat!«
Der dunkelhaarige Ritter Anfang dreißig legte den Umhang
ab und ließ ihn achtlos auf die Bank sinken, ohne die Tür aus
den Augen zu lassen. Dann trat er sogar einen Schritt in den
Gang hinaus, um hinunter in die Schankstube des Wirtshauses
zu spähen, in dem sie Quartier genommen hatten. Rauchschwaden
vom Herdfeuer und der Lärm der Zecher drangen
in die größte der oberen Kammern, wo ein paar Schankmägde
die Tafel für die hohen Gäste aufgestellt hatten. Doch niemand
schien sich die altersschwache Holztreppe hinaufzuwagen.
Krachend ließ Ulrich die Tür wieder hinter sich zufallen und
blieb stehen, die Hand am Schwert.
»Wollt Ihr etwa dem König so viel Unehrenhaftigkeit unterstellen?
«, ermahnte ihn der Markgraf mit hochgezogenen
Augenbrauen, immer noch eher spöttisch als streng.
Friedrich war achtunddreißig Jahre alt und weder der dichtende
Schöngeist wie sein Großvater, den man »den Erlauchten«
nannte, noch der verlebte Verschwender wie sein Vater. Er war
nüchtern, zupackend und entschlossen. Und er teilte das Misstrauen
des Maltitzers, eines seiner engsten Vertrauten, was die
Möglichkeit betraf, der König habe sie nur hierherbeordert,
um den Gegner beiseiteschaffen zu lassen, auch wenn er es
sich nicht anmerken ließ. Es gab keinen Verhandlungsstoff.
Adolf von Nassau wollte die Mark Meißen, und Friedrich war
nicht bereit, sie herzugeben. So war der Stand der Dinge.
Doch der König hatte sein Heer gen Meißen in Bewegung
gesetzt und auf dem Weg dorthin bereits zum zweiten Mal
binnen kurzem Thüringen verwüsten lassen. Friedrich wollte
nicht, dass die Angst und Schrecken verbreitende Streitmacht
des Nassauers nun auch noch Meißen und Freiberg, seine reiche
Silberstadt, in Schutt und Asche legte. Deshalb war er nach
Altenburg geritten, so groß die Gefahr eines Hinterhaltes auch
sein mochte. Er durfte nichts unversucht lassen, um seinem
Land den Krieg zu ersparen.
Ulrich schnaubte verächtlich. »Der König! Was für ein König
ist das schon? Ein Schwächling, einer, der sich die Stimmen
der Fürsten bei der Wahl gegen den Habsburger mit leeren
Versprechungen erkauft hat, weil er weder Land noch Geld
besitzt. Und deshalb stiehlt er es - von Euch und Euerm
Bruder!«
Friedrich hätte König sein sollen, dachte Ulrich wütend. Sein
Großvater gleichen Namens war der letzte große Stauferkaiser,
und schon als Zwölfjährigem hatte man ihm die Kaiserwürde
angetragen, ohne dass er sie je erringen konnte. Friedrich
III., König von Jerusalem und Sizilien, Herzog von
Schwaben, Landgraf zu Thüringen und Pfalzgraf zu Sachsen -
das sollten seine Titel sein, von der Herrschaft über die Mark
Meißen ganz zu schweigen! Und die wollte ihm Adolf von
Nassau nun auch noch nehmen.
Der Markgraf beugte sich leicht vor, nun mit strengem Gesichtsausdruck.
»Es grenzt an Hochverrat, was Ihr da von
Euch gebt!«, ermahnte er seinen Ritter mit gesenkter, gefährlich
anmutender Stimme. »Hütet Eure Zunge! Und zur Übung
beginnt Ihr damit besser sofort, noch bevor wir morgen auf
die Männer des Königs treffen!«
Die Gesichtszüge des Maltitzers verschlossen sich, er sank auf
ein Knie. »Vergebt mir, mein Fürst«, murmelte er und verbiss
sich die Bemerkung, sie könnten sich glücklich preisen, wenn
sie erst am nächsten Tag und nicht schon heute Nacht auf die
Männer des Königs treffen würden.
»Nun steht schon auf und setzt Euch zu uns«, lenkte der
Markgraf ein. Mit knapper Geste wies er auf den Platz zwischen
sich und den anderen Rittern, die sich bereits an die
Tafel gesetzt hatten und ebenfalls zur Tür blickten - allerdings
eher in Erwartung des Wirtes mit Braten und Wein statt eines
Kommandos gedungener Meuchelmörder.
Ulrich von Maltitz zögerte. Der lange Ritt bei scheußlichem
Schneegestöber hatte auch ihm die letzten Kräfte abverlangt,
seine Beinmuskeln zitterten immer noch vor Anspannung,
und die Aussicht, sich setzen zu können, war mehr als verlockend,
zumal einer der Knechte ein Kohlebecken aufgestellt
hatte, das wenigstens im Umkreis von zwei, drei Schritten
wohlige Wärme verbreitete. Doch er konnte sich nicht setzen,
ohne das lange Schwert abzulegen, und ebenso wenig wollte
er - eingeklemmt zwischen den Kampfgefährten - mit dem
Rücken zur Tür hocken.
»Wenn Ihr erlaubt, bleibe ich stehen und behalte den Gang im
Auge.«
Friedrich seufzte schicksalsergeben. »Ihr seid übervorsichtig.
Aber tut, was Ihr nicht lassen könnt!«
Der kurze Blick, den er mit Ulrich wechselte, sagte allerdings
etwas anderes: Wie erleichtert der Markgraf über die Vorsicht
seines Vertrauten war, zu der es hinreichend Anlass gab.
Es klopfte, erst zaghaft, dann stärker. Ulrich riss die Tür auf.
Erschrocken fuhr die mit zwei schweren Krügen beladene
Schankmagd zurück, als sie sich plötzlich dem blanken Schwert
eines Ritters gegenübersah. Von Maltitz fragte sich, wie sie
wohl angeklopft hatte - mit dem Ellbogen oder mit der Fußspitze?
Etwas von dem Wein war durch ihre hastige Bewegung auf ihr
grobgewebtes Kleid geschwappt, doch das schien sie gar nicht
wahrzunehmen. Ihre schreckensweiten Augen waren von der
scharfen Waffe wie gebannt. Ulrich ließ das Schwert sinken
und trat einen Schritt zurück.
Die Frau, deren Gesicht vor Hitze gerötet war und kleine
Schweißperlen auf der Stirn und über den zusammengekniffenen
Lippen aufwies, knickste rasch erst vor ihm, dann tief vor
dem Markgrafen. »Ich bringe Wein. Wenn es den edlen Herren
beliebt?«
Auf Friedrichs Zeichen hin goss sie erst ihm den Becher voll,
dann seinen Rittern: nach Ulrich von Maltitz auch Reinhard
von Hersfeld, den Brüdern Tylich und Theodor von Honsberg,
Rudolf von Falkenstein, Reinhard von Seweschin und
dem Jüngsten, Hertwig von Hörselgau. Die anderen Männer
hatte Ulrich bei den Pferden und um das Wirtshaus herum
postiert. Friedrichs Gefolge war klein, aber sorgfältig ausgewählt
unter den besten seiner kampferprobten Ritter.
»Ihr gestattet!« Nach der wortlosen Zustimmung des Markgrafen
nahm Ulrich dessen Becher und kostete vor.
Wein, wirklich.
»Ziemlich sauer, aber nicht vergiftet, wie es scheint.«
Ulrich reichte den Becher zurück.
Die Magd warf ihm heimlich einen beleidigten Blick zu
und stellte den Wein vor dem Markgrafen ab. Dann schenkte
sie aus dem zweiten Krug Bier an die niederen Gefolgsleute
aus.
Als sie damit fertig war, knickste sie erneut und ging.
Friedrich hob seinen Becher. »Möge Gott uns morgen beistehen!
«
»Amen!« Die anderen tranken ihm stehend zu.
Und möge Gott uns auch diese Nacht beistehen, dachte Ulrich
bei sich, während er einen kräftigen Schluck nahm.
Wieder klopfte es, und eine weitere Schankmagd brachte ein
großes Brett mit Brot, Käse, Schinken und Speck. »Der Braten
ist gleich fertig, lässt der Wirt ausrichten«, erklärte sie.
Niemand antwortete ihr. Die Ritter, hungrig und durchgefroren,
brachen auf Friedrichs einladende Geste Stücke von
dem noch warmen Brotlaib, zogen ihre Essmesser und schnitten
dicke Scheiben von Käse, Schinken und Speck ab. Mit Erlaubnis
ihres Fürsten durften sie heute die Regel für höfi sche
Mahle vernachlässigen, nach der als maßlos betrachtet wurde,
wer das Brot aß, bevor die Hauptspeisen aufgetragen waren.
Die letzte Rast auf dem Weg hierher lag lange zurück.
Wenn auch die Herberge am Markt verräuchert war und Aussehen
und Kleidung des Wirtes wenig vertrauenerweckend
wirkten - das noch dampfende Brot schmeckte köstlich, der
Schinken war gut geräuchert, der Käse würzig.
Die Männer begannen, sich zu entspannen und lautstark zu
unterhalten.
Feuchte Schwaden stiegen von ihren Kleidern auf, die der
Schnee durchnässt hatte. Doch allmählich wurde es warm im
Raum, und ihre Kleider und Haare begannen zu trocknen.
»Wenn Ihr erlaubt, Hoheit!«
Johannes Lotzke, ein junger Freiberger, bot sich an, für Friedrich
und seine Ritter Wein nachzuschenken, denn die Knappen
waren zur Wache bei den Pferden eingeteilt worden.
Aufmunternd nickte Friedrich dem jungen Mann mit dem
rötlichen Haar zu, den er erst kürzlich in sein Gefolge aufgenommen
hatte und der ihm durch seinen Diensteifer und
seine Klugheit aufgefallen war. Sein Vater, ein Gewandschneider
und einer der Freiberger Ratsherren, hatte ihn geschickt,
damit er dem Markgrafen diene, höfi sches Benehmen lerne
und bis zu seiner Verheiratung etwas von der Welt sehe.
»Sag, junger Lotzke, wann soll die Hochzeit sein?«, fragte
breit grinsend Rudolf von Falkenstein, ein älterer Ritter mit
derbem Humor, der offensichtlich einen Spaß mit dem Freiberger
Burschen plante.
»Nach Pfi ngsten, Herr«, antwortete Johannes, während seine
Ohren in verräterischem Rot aufl euchteten. Er kannte die
Ritter inzwischen gut genug, um zu ahnen, dass sich der
Falkensteiner einen Scherz auf seine Kosten erlauben wollte.
»Und, ist sie hübsch, deine Braut?«
»Ich denke schon«, murmelte Johannes mit gesenktem Kopf,
scheinbar ganz darin vertieft, die Becher der Ritter nachzufüllen.
»Er denkt es!« Rudolf schlug sich auf die Schenkel und sah
grinsend zu seinen Tischnachbarn. »Aber sicher scheint er
nicht zu sein. Hast sie wohl noch nicht näher in Augenschein
genommen?«
Johannes erwiderte nichts. Wenn er die Wahrheit sagte, nämlich
dass er bis über beide Ohren in seine Zukünftige verliebt
war, die jüngere Tochter des Tuchers, es aber um nichts in der
Welt wagen würde, sich ihr vor der Brautnacht auch nur auf
fünf Schritte zu nähern, würde der Falkensteiner nicht nur
Späße auf seine, sondern auch auf ihre Kosten treiben. Und
das wollte er verhindern.
Überhaupt - die Hochzeitsnacht ... Der Gedanke daran ließ
ihn noch verlegener werden.
Das schien der stets zu Späßen aufgelegte Falkensteiner zu erraten.
»Mir scheint, unser junger Freiberger ist recht schüchtern,
was Frauen betrifft. Er braucht wohl noch ein bisschen
Anleitung, bevor er vor die Kirchentür tritt, damit er seine
hübsche Braut vollends zufriedenstellen kann. Was meint
ihr?«
Wieder wandte er sich an die anwesenden Ritter. »Lassen wir
dem Wirt ausrichten, er möge unserem Freund hier Gesellschaft
für die Nacht besorgen? Aber keine Jungfrau, sondern
eine mit Erfahrung. Am besten einen richtig alten Drachen.
Dann lernt er schon einmal, was ihn in der Ehe erwartet, wenn
er nicht von Anfang an aufpasst ...«
Die anderen lachten schallend. Es war ein gutmütiger Spott,
dennoch war Johannes mittlerweile vom Hals bis zu den Haarwurzeln
rot angelaufen. Vergeblich suchte er nach einer Entgegnung,
aber ihm fi el nichts Passendes ein. Außerdem hätte
er sowieso nichts sagen dürfen, ohne dazu aufgefordert zu
werden. Also betete er stumm, dass der Falkensteiner seine
Ankündigung nicht wahr machte.
Der Markgraf wollte etwas Beschwichtigendes sagen, um den
jungen Mann aus seiner Verlegenheit zu erlösen, doch er kam
nicht dazu.
Ulrich von Maltitz' energisches »Still!« dröhnte dazwischen.
Mit erhobenem Arm, leicht vorgebeugt, sah der misstrauische
Ritter aus der schmalen Fensterluke, dann stürzte er zur Tür
und riss sie auf. »Bewaffnete! Sie kommen hierher!«, brüllte er
nach einem kurzen Blick hinab. »Zieht die Schwerter!«
Noch während seiner Worte sprangen die Männer auf, griffen
nach den Waffen und gruppierten sich um ihren Fürsten.
Aus den ebenerdigen Räumen drangen erschrockene Rufe,
gebrüllte Befehle, das Krachen umstürzender Bänke. Während
die Ziege, die der Wirt gleich neben der Schankstube hielt,
angstvoll meckerte, polterten schwere Tritte die Treppe herauf.
»Ihr müsst nach oben fl iehen!«, rief der Maltitzer dem Markgrafen
zu und wies auf die Luke zum Dach, bevor er den
schweren Riegel vorschob. »Es sind mehr als zwei Dutzend.
Wir können Euch nicht gegen sie alle verteidigen.«
Auch Friedrich zog sein Schwert und blickte auf seine Männer.
»Nein. Wir erwarten sie hier. Gott steh uns bei.«
Schon zerbarst die marode Tür unter einen wuchtigen Hieb
oder Tritt von draußen. Bewaffnete drängten durch die Öffnung,
um sofort von vier Meißner Rittern mit dem Schwert in
Empfang genommen zu werden.
Der Raum war so klein und vor allem so niedrig, dass sie kaum
ausholen konnten.
Den ersten Angreifer enthauptete Ulrich mit einem einzigen
Hieb, einen weiteren streckte Reinhard von Hersfeld nieder.
Doch über die Leichname ihrer gefallenen Kumpane hinweg
drängten immer mehr Angreifer in die Kammer. Die Männer
an der Tür mussten ein paar Schritte in das Innere zurückweichen.
Nun bildeten die sieben Ritter einen schützenden
Halbkreis um ihren Fürsten. Wohl ein Dutzend Angreifer -
allesamt mit dem königlichen Adler auf dem Wappenrock -
stürmten auf sie ein. Doch die Meißner hielten stand, auch
wenn ihr Halbkreis immer enger wurde.
Bald sah Ulrich nur noch Blut um sich, erkannte, dass der
Falkensteiner tödlich getroffen zu Boden ging und zwei ihrer
bewaffneten Reitknechte seinen Platz einnahmen. Der junge
Hertwig schrie neben ihm auf und sackte zusammen, die
Rechte über eine heftig blutende Wunde am linken Oberarm
pressend. Ulrich schob ihn rasch hinter sich und trat vor, um
den nächsten Angreifer niederzustrecken.
Seitlich von ihm krachte und prasselte es - ein paar Angreifer
hatten die Fachen aus Lehm und Stroh durchgetreten und
zwängten sich nun aus dem Nebenraum durch das Ständerwerk,
um von der Seite anzugreifen.
Fast im gleichen Augenblick drängten vier ihrer eigenen Leute,
die er unten als Wache postiert hatte, durch die Tür.
Ulrich blieb weder Zeit noch ausreichend Sicht, um die Feinde
zu zählen, die deutlich in der Überzahl waren. Das änderte
sich bald. Die Reisigen hatten inzwischen mehrere Gegner in
einen Kampf nahe der Tür verwickelt. Die anderen standen
den mittlerweile nur noch fünf Meißner Rittern und dem
Markgrafen gegenüber, der längst selbst mitkämpfte, Schwert
und Surkot voller Blut, mit schnellen, geschickten Hieben auf
die Gegner einschlagend.
Allmählich ließ der Kampfl ärm nach. Von den Angreifern waren
nur noch drei übrig, mit denen sich Ulrich, Tylich und
Reinhard erbitterte Zweikämpfe lieferten.
Ulrichs Gegner war ein Bulle von einem Kerl, mit Oberarmen
wie Schenkeln. Er focht einen plumpen Stil und verließ sich
ganz auf seine Kraft. Mit aller Macht drückte er seine Klinge
auf die des Kontrahenten, doch Ulrich entzog sich ihm mit
einer geschickten Bewegung und strich ihm im nächsten
Augenblick das Schwert über die Kehle. Wie ein gefällter
Baum stürzte der Bulle zu Boden und riss im Fallen das Kohlebecken
um.
Geistesgegenwärtig griff Ulrich nach dem Krug und goss das
Bier über die glühenden Stücke, wo es zischend verdampfte.
Die restliche Glut trat er hastig aus. Das trockene Gebälk würde
brennen wie Zunder, so dass nicht nur sie selbst Gefahr
liefen, in den Flammen umzukommen, sondern halb Altenburg
in Brand geraten konnte, sollte in der Kammer ein Feuer
ausbrechen.
Ulrich vergewisserte sich mit einem Blick, dass seine Gefährten
zurechtkamen, und wollte sich zu Friedrich umdrehen. In
diesem Augenblick gellte ein markerschütternder Schrei.
Der Maltitzer fuhr herum und erstarrte. Unter den totgeglaubten
Gegnern hatte sich einer aufgerappelt und stürzte mit gezogenem
Schwert von hinten auf den Markgrafen. Friedrich
bemerkte ihn zu spät, erst als der junge Lotzke warnend aufschrie.
Die todbringende Klinge fuhr direkt auf ihn zu; keiner
seiner Ritter war nahe genug, um einzugreifen. Immer noch
schreiend, warf sich der Freiberger zwischen die Waffe und
den Fürsten.
Verblüfft starrte der Angreifer auf den zusammensackenden
Körper, während der Markgraf unversehrt vor ihm stand. Sein
Zögern wurde ihm zum Verhängnis: Im nächsten Augenblick
war Ulrich von Maltitz heran und trieb dem Attentäter das
Schwert tief in die Brust. Dann zog er seine Waffe wieder heraus
und stieß den Leichnam mit einem Fußtritt beiseite, der
vor ihm zu Boden plumpste. »Seid Ihr unversehrt, mein
Fürst?«, fragte er atemlos und voller Sorge.
»Ja, dank dieses Jungen«, antwortete Friedrich düster. Vorsichtig
ließ er den durchbohrten Körper des Freibergers zu
Boden sinken, aus dessen Wunde ein Schwall Blut geströmt
war.
Ulrich atmete tief durch und sah sich in der Kammer um.
Der Kampf war beendet, der Boden mit Leichnamen übersät,
seine Gefährten voller Blut. Hertwig versuchte, mit einem
abgerissenen Ärmel seine Wunde abzubinden, Tylich blutete
heftig am Oberschenkel, und der alte Falkensteiner lag mit gespaltenem
Schädel nahe der Tür. Ihn hatten sie ganz verloren,
ihn und den jungen Freiberger, auf den sein Vater und seine
Braut nun vergeblich warten würden.
Von Maltitz schlug ein Kreuz. »Gott erbarme sich ihrer armen
Seelen.«
Dann stand er auf. »Wir müssen weg, sofort. Ich weiß nicht,
ob wir alle erwischt haben oder ob jemand entkommen ist, der
Verstärkung holt.«
Niemand widersprach. Er befahl den Reisigen, die Leichen
der beiden Gefallenen mitzunehmen, damit ihnen ein christliches
Begräbnis zuteilwerden konnte, und ließ Tylichs Wunde
in aller Eile notdürftig verbinden.
Dann stürmten sie hinaus, immer noch die blanken Schwerter
in der Hand. Niemand stellte sich ihnen in den Weg. Angesichts
des Kampfgetümmels waren die Gäste des Wirtshauses
längst davongerannt.
Die Knappen hatten bereits die Pferde für eine rasche Flucht
gesattelt.
Roland, Ulrichs Knappe, trat auf seinen Herrn zu. »Drei von
den Wachen haben sie erschlagen. Die anderen sind hochgerannt,
um Euch zu helfen«, berichtete er. Selbst in dem trüben
Licht konnte Ulrich erkennen, dass der Sechzehnjährige kreidebleich
war.
Die Reisigen holten nun auch die Leichname der gefallenen
Wachen und banden sie auf die Packpferde. Dann saßen alle
auf und ritten, so schnell sie konnten, durch die Dämmerung.
Bald würden die Stadttore geschlossen, und sie säßen in Altenburg
fest, den Mordgesellen des Königs ausgeliefert. Doch sie
hatten Glück. Das Tor in der Nähe des Wirtshauses war noch
nicht geschlossen.
Erschrocken drückten sich die Menschen in die Mauernischen
oder fl üchteten in die Häuser, als sie den wilden Reitertrupp
kommen sahen und hörten. Im Galopp sprengten
die Meißnischen aus der Stadt und in die einbrechende Nacht
hinaus.
Sie mochten wohl zehn oder zwölf Meilen weit gekommen
sein, als Friedrich Befehl gab zu halten. Sie rasteten am Rande
eines Waldes, allerdings nur kurz und ohne ein Feuer zu entzünden,
denn sie konnten nicht sicher sein, etwaige Verfolger
abgehängt zu haben. Der Mond, der den Schnee leuchten ließ,
sorgte für ausreichend Helligkeit.
»Ich schätze, die Verhandlungen sind damit beendet«, knurrte
Ulrich mit fi nsterer Miene und griff in den verharschten
Schnee, um das verkrustete Blut der Attentäter von seinen
Händen zu wischen.
»Das war eine offene Kriegserklärung!«, sagte Reinhard von
Seweschin schroff, der Älteste unter Friedrichs Rittern. »Adolf
hat einen Präzedenzfall geschaffen - einen Fürsten, den er
unter Zusage freien Geleits zu sich beorderte, überfallen zu
lassen. Vielleicht bringt das endlich auch die anderen Fürsten
gegen ihn auf.«
»Vielleicht«, meinte Ulrich mit Blick auf Friedrich nachdenklich.
»Werden die Fürsten zusehen, wie der von ihnen gewählte
König die Waffen gegen die eigenen Vasallen, das eigene
Volk richtet? Wenn er Euch Titel, Land und Leben nehmen
will, könnte er das ebenso mit jedem von ihnen tun.«
Der Markgraf schüttelte kaum erkennbar den Kopf. »In einem
habt Ihr beide recht: Jetzt ist der Krieg unausweichlich. Adolf
wird sein Heer von Plünderern und Brandstiftern in die Mark
Meißen schicken. Und als Erstes werden sie versuchen, Freiberg
zu erobern. Der König will das Silber, damit wäre er viele
Sorgen los.«
Friedrich sah nun direkt zu Ulrich. »Aber es besteht keine
Hoffnung auf Hilfe. Mag auch Albrecht von Habsburg Anspruch
auf den Thron erheben - er wird unter den Fürsten
keinen offenen Verbündeten für eine neue Königswahl fi nden.
Noch nicht.«
Dann wandte sich Friedrich dem Hersfelder zu. »Reinhard,
reitet los zu Niklas von Haubitz; er soll seine Truppen, so
schnell es geht, nach Freiberg führen, um die Stadt zu verteidigen.
Ulrich, Ihr reitet dorthin und warnt sie. Ich vertraue Euch
das Kommando über Burg Freiheitsstein an. Wir brauchen
das Silber, um Truppen aufzustellen, mit denen wir gegen das
königliche Heer antreten. Sonst werden viele Menschen sterben.
Das wäre das Ende des Hauses Wettin und das Ende der
Hoffnung auf Frieden in der Mark.«
Freiberg, Januar 1296
Verzweifelt kämpfte sich die schmale Gestalt durch den
Schnee, stemmte sich mit letzter Kraft gegen den eisigen Wind,
der durch die Überreste des zerrissenen Kleides fuhr, die
Fetzen fl attern ließ und Eiskörner gegen die nackte Haut
peitschte.
Noch ein Schritt. Und noch einer. Wie viele mochten es sein
bis zum rettenden Stadttor? Hundert? Zweihundert? Schon
waren in der Dämmerung die dunklen Konturen der Wehrtürme
zu sehen, zeichnete sich vage durch das Schneetreiben
die starke Stadtmauer ab, der schützende Wall um Freiberg.
Etwas rann ihr die Beine hinab. Sie war zu schwach, um nachzusehen,
ob es Blut war. Ihr Körper verwehrte jede andere
Bewegung als das dumpfe Vorwärtsgehen. Und ihr Bewusstsein
weigerte sich, durch den Anblick noch einmal die schrecklichen
Erinnerungen heraufzubeschwören, die Todesschreie
und die rohe Gewalt.
Ich muss weiter, dachte sie verzweifelt. Denn nach dem Sterben
wird es keine Erlösung für mich geben, nur die schlimmsten
Qualen der Hölle. Auch wenn ich mich gewehrt habe und
Todesangst statt Wollust empfand - es war Sünde, und kein
Priester wird mich davon freisprechen.
Noch ein Schritt. Und noch einer.
Als hätten sich die Elemente gegen ihr letztes bisschen Lebenswillen
verschworen, heulte der Wind stärker auf, fegte
Wehen wie feine Schleier über das freie Feld vor ihr, ließ Wirbel
kreiseln, nahm ihr den Atem und die Sicht auf die rettenden
Mauern.
Sie wusste, wenn sie jetzt der Schwäche nachgab und sich in
den Schnee sinken ließ, würde sie nie wieder aufstehen.
Also setzte sie trotzig einen Fuß vor den anderen, eine tiefe
Spur durch den Schnee furchend, die der Sturm schon nach ein
paar Schritten wieder verwehte und zu einer kaum sichtbaren
Mulde verharmloste.
Sie wollte leben. Sie musste die anderen warnen.
Für einen Augenblick verharrte sie mitten in der Bewegung
und lauschte. Täuschte sie der heulende Wind, oder waren das
wirklich schon die Glocken, die ankündigten, dass die Tore
zur Stadt geschlossen würden?
Der Verstand sagte ihr: Du kommst zu spät. Sie werden die
Stadt schließen, und du wirst vor dem Tor im Schnee erfrieren.
Aber schneller gehen konnte sie nicht. Also setzte sie weiter
einen Schritt vor den anderen in der irrsinnigen Hoffnung,
man würde sie doch erhören und einlassen.
Sorgfältig verschloss Jan, einer der jungen Burschen von
Freibergs Wachmannschaft, den seine Kameraden manchmal
Waghals und manchmal Sturkopf riefen, das Peterstor. Gleich
würde einer der Ratsherren kommen, heute wohl Conrad Marsilius,
der Stadtphysicus, und den großen Schlüssel an sich
nehmen. Kein Störenfried sollte die Bürger aus ihrem wohlverdienten
Schlaf aufwecken, kein Gesindel sie des Nachts
belästigen. Und morgen, nach Tagesanbruch, würde man bei
Licht besehen können, wer Einlass begehrte.
»Gott sei gepriesen, wieder ein Tag, ohne dass die Truppen
des Königs hier angerückt sind«, meinte neben ihm Hartmann,
ein Blaufärber, der für diese Nacht zum Wachdienst am Peterstor
eingeteilt war und dessen Name in krassem Widerspruch
zu der schmächtigen Gestalt mit dem ängstlichen
Wesen stand.
Der Handwerker rieb sich vor Kälte oder aus Erleichterung
die von der Arbeit verfärbten Hände. »Wer weiß, ob sie über-
haupt hierherkommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass bei
diesem strengen Winter jemand in den Krieg zieht.«
Darauf würde ich nicht wetten, dachte Jan und fuhr sich mit
der Rechten durch den hellen Lockenschopf, wie er es meistens
unbewusst tat, wenn ihn etwas beschäftigte. Doch er
schwieg, um den Blaufärber, der sich vor seinem eigenen Schatten
zu fürchten schien, nicht noch mehr zu verängstigen.
»Bei dem Wetter jagt man doch keinen Hund vor die Tür«,
plapperte der Schmächtige weiter. »Schnell, zurück ins Wachhaus,
ans Feuer!«
Wortlos ging Jan voran. Der Blaufärber hätte ja nicht mitkommen
müssen; das Tor hätte er auch allein verschließen können.
Aber er hatte förmlich darauf bestanden, mit stolzgeschwellter
Brust, so etwas Bedeutendes tun zu können oder zumindest
dabei zu sein. Drinnen im Wachhaus würden ihn seine Kameraden
hoffentlich vom Geschwätz des Färbers befreien, damit
er sich seinen eigenen Gedanken hingeben konnte.
Die Königlichen waren auch heute nicht gekommen. Aber
ebenso wenig die Verstärkung, die jener Ritter von Maltitz
versprochen hatte, der im Auftrag des Markgrafen das Kommando
über die Burg übernommen hatte. Wo, um alles in der
Welt, blieb nur Niklas von Haubitz mit seinem sehnlich erwarteten
Heer? Oder waren beide Streitmächte schon aufeinandergestoßen,
so dass der Stadt Belagerung und Krieg erspart
blieben? Zumindest, falls Niklas gesiegt hatte. Sonst wären sie
ohne Rettung der rheinischen Söldnerschar des Königs ausgeliefert,
über die die Leute die wildesten Geschichten erzählten,
von Sengen und Morden, Plündern und Brandschatzen.
Die Männer in der Wachstube - je zur Hälfte ausgebildete
Wachen und Stadtbürger, die reihum zu nächtlichen Diensten
eingeteilt waren - sahen kaum auf, als die beiden den Raum
wieder betraten. Angesichts der Kriegsgefahr waren die Wachmannschaften
verstärkt und alle neununddreißig Türme bemannt
worden.
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Ergänzte Taschenbuchausgabe April 2011
Knaur Taschenbuch.
Copyright © 2009 bei Knaur Verlag
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
Ein Projekt der AVA international GmbH
Autoren- und Verlagsagentur www.ava-international.de
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf - auch teilweise -
nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Redaktion: Ilse Wagner
Umschlaggestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Umschlagabbildung: Frau: plainpicture / Arcangel
Schlacht: bridgeman / A Battle Scene: possibly James Scott,
Duke of Monmouth at the Siege of Maastricht in 1673 (oil on
canvas), Wyck, Jan (1640 - 1700) / © Victoria Art Gallery, Bath and
North East Somerset Council / The Bridgeman Art Library
Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck
Printed in Germany
ISBN 978-3-426-63836-1
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Autoren-Porträt von Sabine Ebert
Sabine Ebert wurde in Aschersleben geboren, ist in Berlin aufgewachsen und hat in Rostock Sprach- und Lateinamerikawissenschaften studiert. In ihrer Wahlheimat Freiberg arbeitete sie als Journalistin für Presse, Funk und Fernsehen. Sie schrieb einige Sachbücher zur Freiberger Regionalgeschichte, doch berühmt wurde sie mit ihren historischen Romanen, die alle zu Bestsellern wurden.
Bibliographische Angaben
- Autor: Sabine Ebert
- 2011, 6. Aufl., 752 Seiten, 4 farbige Abbildungen, 4 Schwarz-Weiß-Abbildungen, Maße: 12,4 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426638363
- ISBN-13: 9783426638361
- Erscheinungsdatum: 25.03.2011
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