Allmen und der rosa Diamant / Johann Friedrich Allmen Bd.2
Es wird ernst: der erste große Fall für "Allmen International Inquiries". Es gilt, einen seltenen Diamanten aufzuspüren, viele Millionen wert. Das Duo muss unter Beweis stellen, wie sehr es die Kunst des Hoch- und Tiefstapelns beherrscht.
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Produktinformationen zu „Allmen und der rosa Diamant / Johann Friedrich Allmen Bd.2 “
Es wird ernst: der erste große Fall für "Allmen International Inquiries". Es gilt, einen seltenen Diamanten aufzuspüren, viele Millionen wert. Das Duo muss unter Beweis stellen, wie sehr es die Kunst des Hoch- und Tiefstapelns beherrscht.
Klappentext zu „Allmen und der rosa Diamant / Johann Friedrich Allmen Bd.2 “
Es wird ernst: der erste große Fall für »Allmen International Inquiries«. Es gilt, einen seltenen Diamanten aufzuspüren, viele Millionen wert. Ein Fall, in dem nichts ist, wie es scheint. Noch dazu ein Fall von globalem Interesse. Das Duo muss unter Beweis stellen, wie sehr es die Kunst des Hoch- und Tiefstapelns beherrscht unter Profi-Bedingungen.
Lese-Probe zu „Allmen und der rosa Diamant / Johann Friedrich Allmen Bd.2 “
Allmen und der rosa Diamant von Martin Suter 19
Allmen hatte schon viel Gutes über das Haus gehört. Der nachtblaue Bentley Mulsanne, der ihn vom Flughafen Rostock abholte, schien diesen guten Ruf zu bestätigen.
Das Polster war aus schnurfarbenem Leder, das Furnier aus dunklem Vavona, der Fahrer ein schweig samer Uniformierter, der das Fahrzeug mit der Sicherheit und Rücksicht eines alten Herrschaftschauffeurs steuerte.
Allmen genoss die Fahrt von Rostock nach Heiligendamm. Er lehnte sich zurück und betrachtete die vorbeiziehenden Alleen, die ab und zu von Gehöften mit schweren Reetdächern unterbrochen wurden. In diesem Moment war der Beruf des Ermittlers genau nach seinem Geschmack.
Im Grand Duc wurde er wie ein alter Stammgast begrüßt. Der Direktor war schon bei der Einfahrt des Bentleys in das Hotelareal informiert worden und erwartete den Herrn von Allmen in der Lobby. Er gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass das Wetter sich schon am nächsten Tag bessern werde, und begleitete den neuen Gast zum Empfang, wo er ihn der Obhut einer Rezeptionistin anvertraute.
Diese hatte den Meldezettel so weit vorbereitet, dass Allmen nur noch zu unterschreiben brauchte.
Einzig, als sie ihn um einen Abdruck seiner Kreditkarte bat, entstand eine kleine Unebenheit im reibungslosen Ablauf der Empfangsformalitäten.
»Kreditkarte?«, wunderte sich Allmen, »eine Kreditkarte habe ich nie besessen und werde ich auch nie besitzen.« Er zeigte sein bezauberndstes Lächeln. »Aber ich nehme doch an, Sie nehmen auch richtiges Geld?«
... mehr
Die Rezeptionistin erwiderte sein Lächeln, entschuldigte sich aber doch für einen Augenblick und verschwand im Büro hinter dem Empfangstresen. Kurz darauf kam sie zurück, erneut lächelnd. Die Kreditkarte erwähnte sie mit keinem Wort mehr. »Wenn ich Ihnen jetzt bitte Ihre Suite zeigen dürfte?«
Auf dem Weg zum Lift bestätigte Allmen, dass dies sein erster Besuch im Grand Duc sei. Im Lift versicherte er ihr, dass er gut gereist sei und auch nicht zu müde von den Strapazen. Im Korridor gab er sich beruhigt über die Aussicht, dass sich das Wetter bessern werde. Und im Zimmer zeigte er sich zufrieden über selbiges.
Daran gab es auch tatsächlich nichts auszusetzen. Es besaß ein geräumiges Schlafzimmer mit anschließendem Bad, eine separate Toilette, einen begehbaren Schrank und einen großen Salon mit Blick auf die Ostsee und den mit Strandkörben besetzten Strand. Allmen hatte sich für die höchste Zimmerkategorie entschieden. Er sah nicht ein, weshalb er auf Firmenkosten bescheidener logieren sollte als auf eigene.
Carlos hatte noch am Vortag die Rechnung über den zweiten Vorschuss an Montgomery gemailt, Fälligkeit bei Erhalt. Begründung: Aufwand für grenzüberschreitende Ausweitung der Recherchen. Wohin, hatten sie nicht präzisiert. Falls doch eine Verbindung zwischen Montgomery und den anderen Ermittlern bestand, wollten sie ihren möglichen Vorsprung nicht aufs Spiel setzen.
Allmen rechnete jeden Moment mit dem Zahlungseingang auf dem Firmenkonto. Er hatte also keinen Grund, sich finanzielle Sorgen zu machen, und nahm sich vor, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden.
20
Noch nie, auf keiner seiner zahlreichen Reisen, hatte er das Meer so erlebt wie hier. Dieser mächtige Gleichmut, diese verhaltene Verheißung, diese geheimnisvolle Symbiose zwischen Nord und Süd.
Obwohl der Himmel bedeckt war, war das Klima mild, sanft, schmeichlerisch, feucht, fast tropisch. Nur das Licht war anders. Ernster, feierlicher.
Ein langer Bootssteg ragte weit ins Wasser hinaus, wie eine Brücke zu einem verschwundenen Ufer. Darauf waren ein paar Menschen zu sehen. Sie bewegten sich in beide Richtungen. Langsam, wie Schiffspassagiere, die den Abschied oder die Ankunft hinauszögern wollten.
Noch bevor Allmen seine Koffer auspackte und die Schränke einräumte, zog er die Badehose an, schlüpfte in den Bademantel und ging zum Strand. Nur wenige Körbe waren besetzt.
Er warf den weißen Frotteemantel mit dem Hotelemblem in den feinen Sand und ging zum Wasser.
Es war nicht so kalt, wie es aussah, und er konnte es über einen Sandteppich betreten, der so sanft abfiel, dass ihm genügend Zeit blieb, seinen Körper an die Abkühlung zu gewöhnen.
Erst als er den Kontakt zum Boden verlor, begann er zu schwimmen. Und erst als er den äußersten Punkt des Landestegs hinter sich gelassen hatte, wendete er.
Er sah den Strand, die Körbe, die Schirme und die schneeweißen Hotelpaläste.
Irgendwo dort war der Mann, den er suchte.
Zweiter Teil
1
Am nächsten Tag war das Wetter noch schlechter. Allmen hatte nach alter Gewohnheit um sieben Uhr einen Tee ans Bett bestellt und vom Zimmerkellner den Ratschlag bekommen, noch lange liegen zu bleiben.
Zwei Stunden später wurde er von Regenböen geweckt, die gegen die Fensterfront prasselten.
Die Schwalben, die sonst unentwegt für ihre Brut Versorgungsflüge flogen, warteten jetzt aufgeplustert vor den Nestern der nahen Schwalben- türme auf das Nachlassen des Regens.
Am Abend zuvor hatte sich Allmen früh sein Abendessen aufs Zimmer bestellt. Danach war er durch die Hotelanlage geschlendert und hatte dabei unauffällig die verschiedenen Restaurants, die Lobby, den Rauchsalon, die Bibliothek und die Bar abgesucht. Er war niemandem begegnet, der Sokolow ähnlich sah. War er inzwischen abgereist?
Nach seinem Rundgang telefonierte er mit Carlos und bat ihn, im Hotel anzurufen und Sokolow zu verlangen. Kurz darauf rief Carlos zurück mit der Auskunft, Herr Sokolow sei außer Haus und werde erst morgen wieder erwartet.
Allmen war beruhigt zu Bett gegangen und hatte wunderbar geschlafen. Nach dem Early Morning Tea hatte er sich das Frühstück aufs Zimmer bestellt: Milchkaffee, Croissants, Butter und Honig, Rührei mit Schinken und etwas geräucherten Aal. Eine nahrhafte Mahlzeit. Er hatte vor, es später den Unentwegten gleichzutun, die er unten am Strand trotz der Witterung in die Brandung springen sah.
Um zehn Uhr rief er Carlos an. Allmen wusste, dass er heute Vormittagsdienst hatte und um diese Zeit sein Handy einschaltete. Denn um zehn Uhr machte er seine Pause. Wie jeder Mensch spanischer Sprache, wo immer auf der Welt.
Carlos war »sin novedad, gracias a Dios«. Eine Redensart aus seiner Heimat Guatemala, wo Neuigkeiten in der Regel nichts Gutes bedeuten. Ohne Neuigkeiten, Gott sei Dank.
Von Montgomery hatte Carlos nichts gehört, was Allmen hoffen ließ, dass dieser den zweiten Vorschuss geschluckt hatte. Geld war allerdings noch keines auf dem Konto eingetroffen. Carlos würde in der Mittagspause wieder den Kontostand von Allmen International prüfen, versicherte er ihm.
Kurz nach dem Anruf ließ der Regen nach. Allmen packte die Strandtasche, eine geflochtene, mit Kunststoff gefütterte Einkaufstasche mit dem Hotelemblem. Er zog eine Badehose an und darüber ein paar verwaschene Chinos. In einem Sweatshirt mit dem Charterhouse-Emblem und seiner geliebten alten Barbour-Windjacke, die Carlos ihm vor der Abreise frisch eingewachst hatte, verließ er seine Suite.
Auf dem Gang begegnete er der Gouvernante. Es war eine großgewachsene knochige Frau Mitte vierzig. »Schmierig, heute«, sagte sie.
Allmen verstand nicht.
»Es regnet aus allen vier Himmelsrichtungen«, erklärte sie.
»Ach, und dazu sagt man schmierig?«
»Ich sag dem so.«
Gouvernanten waren nach Allmens Hotelerfahrung fast so wichtig wie Concierges und Maîtres d'Hôtel. Wer sich mit ihnen gut stellte, der hatte stets ein aufgeräumtes Zimmer, dem wurden kleine Sonderwünsche erfüllt, dessen Wäsche kam schnell aus der Wäscherei, dessen Anzüge waren gebürstet und aufgebügelt, dessen Kleenex aufgefüllt und dessen Bademantel täglich frisch. Allmen erkundigte sich nach ihrem Namen, gab ihr hundert Euro Trinkgeld und wünschte ihr einen nicht allzu schmierigen Tag.
Frau Schmidt-Gerold hieß sie. Er merkte sich den Namen.
Das Gittertor zum Strand war verschlossen. Erst als der unterbeschäftigte Strandwärter herbeieilte, begriff Allmen, dass man es mit der Zimmerkarte öffnete.
Er ließ sich einen Strandkorb herrichten, machte es sich bequem, starrte auf den Strand und schaute den Möwen zu.
Lange verharrten sie reglos. Urplötzlich sammelten sie sich kreischend, flogen undurchschaubare Figuren und ließen sich nieder, um wieder reglos zu verharren.
Oder sie trippelten am Rande der Brandung und warteten auf essbares Strandgut im zurückfließenden Wasser.
In der Ferne waren drei Containerschiffe zu erkennen. Etwas näher ein Trawler. Vom Strand stieß der kleine Katamaran der hoteleigenen Segelschule ab, an Bord ein paar Kinder in riesigen, leuchtfarbenen Schwimmwesten.
Aus der grauen Wolkenschicht vor dem hellgrauen Wolkenhintergrund hing ein dünner Wolkensack fast bis zum Meer herunter.
Allmen nahm ein Buch aus der Strandtasche und begann zu lesen. The House on the Strand von Daphne du Maurier.
Eine Stunde später wurde er abrupt von etwas aus dieser wunderbaren Zeitreise in die Gegenwart zurückgeholt. Er brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was es war.
Eine russische Männerstimme.
2
Er hatte nicht bemerkt, dass sich das Wetter gebessert hatte. Es hatte aufgehört zu regnen, der Wind hatte sich gelegt, und manchmal ließ die Wolkendecke sogar ein paar Sonnenstrahlen durch.
Allmen stand von seinem Strandkorb auf und sah sich um. Es waren jetzt einige Hotelgäste an den Strand gekommen. Viele hatten ihre Körbe so gedreht, dass die raren Sonnenstrahlen nicht wie bei Allmen nur die Rückwand trafen. Kinder spielten im Sand, und ein paar Tische bei der Strandbar waren besetzt.
Die russische Stimme war genau hinter ihm. Sie klang nicht nach einem knapp Vierzigjährigen, sie musste einem alten Mann gehören. Sie erzählte gemächlich von einer anderen Zeit.
Allmen hörte zu. Militärische Ränge kamen vor und Ausdrücke wie Kantonnement, Feldküche, Offiziersmesse, Wachkommando, Inspektion. Der alte Mann erzählte vom Militär. Und bald wurde Allmen klar, dass er von der Zeit sprach, als das Grand Duc von der Roten Armee requiriert war und er als junger Offizier die, wie er es nannte, schönste Zeit des Krieges verbracht hatte.
Die Stimme des anderen Mannes klang jünger. Aber sie beschränkte sich auf einsilbige Kommentare und Ausdrücke der Bewunderung, Überraschung und des Erstaunens.
Allmen ging zwischen den Körben vorbei zur Strandbar. So konnte er einen Blick auf den Erzähler werfen. Es war ein sehr bleicher Mann, dessen Körperfülle beide Plätze des Strandkorbs in Anspruch nahm. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und sah mit halbgeschlossenen Augen auf den Mann hinunter, der vor ihm im Sand kauerte.
Der Zuhörer hatte Allmen den Rücken zugewandt, er konnte sein Gesicht nicht sehen. Aber sein Haar war schütter. Und dunkelblond.
An der Strandbar bestellte Allmen ein Glas Champagner. Gegen das Herzklopfen.
Der Strandkorb Nummer zweiunddreißig war nur von hinten zu sehen. Allmen behielt ihn im Auge. Auf dem Rückweg würde er von der anderen Seite daran vorbeigehen und so einen Blick auf den Zuhörer werfen können.
Nach dem zweiten Glas hatte das Herzklopfen aufgehört, und die Mischung aus Euphorie und Sorglosigkeit, für die er dieses Getränk so liebte, hatte sich eingestellt.
Er unterschrieb die Rechnung und gab dem Barmann ein Trinkgeld, das diesem helfen würde, sich Allmens Namen und Zimmernummer zu merken. Dann schlenderte er zu seinem Korb zurück.
Der alte Mann war noch immer am Erzählen. Aber der Zuhörer kauerte nicht mehr, er stand. Es war ein kleiner Mann, er kam nicht annähernd auf die ein Meter neunzig von Sokolow. Sein Gesicht war rundlich, und seine Augen lagen nicht tief.
Allmen setzte sich wieder in seinen Korb und widmete sich seiner Lektüre.
Nach einer Weile machte sich der Strandwärter am Nachbarkorb zu schaffen. Schloss ihn auf, entfernte das Holzgitter, zog die Fußstützen heraus, klopfte den Sand ab.
»Danke«, sagte der Gast, der ihn begleitete. »Bitte bringen Sie mir einen Milchkaffee.«
Sein Akzent ließ Allmen aufblicken.
Der Mann war groß, hatte ein schmales Gesicht, schütteres, dunkelblondes, nach hinten gekämmtes Haar und tiefliegende Augen.
3
Bereits am zwölften Tag nach der Auftragserteilung hatte Allmen International Inquiries den Gesuchten also ausfindig gemacht.
Eine Erfolgsmeldung, mit der Allmen gerne sofort bei seinem Auftraggeber aufgetrumpft hätte. Aber er musste sich noch ein wenig gedulden. Natürlich wollte er sich erst mit Carlos absprechen.
Allmen zog Hose und Sweatshirt aus und ging ins Wasser. Er schwamm eine Weile, bis er das Gefühl hatte, er könne nun zu seinem Korb zurückgehen und dabei Sokolow beobachten, ohne den Eindruck zu erwecken, er sei einzig deswegen ins Wasser gegangen.
Der Russe saß mit angezogenen Beinen quer in seinem Strandkorb. Er hatte einen kleinen Laptop auf den Knien und tippte. Als Allmen an ihm vorbeiging, sah er kurz auf und konzentrierte sich sofort wieder auf seinen Bildschirm.
Allmen rieb sich die Haare trocken und schielte dabei unter dem Frottiertuch hervor. Sokolow war nicht zum Baden gekleidet. Seiner Haut sah man nicht an, dass er schon über einen Monat in einem Seebad verbracht hatte. Er sah harmlos aus. Harmlos und ein wenig einsam.
Noch eine Stunde, bis Allmen Carlos anrufen konnte. Er verbrachte sie lesend, keine zwei Meter neben dem Mann, der ihnen - wenn alles gut lief - zu eins Komma acht Millionen verhelfen würde.
Zwanzig Minuten zu früh packte Allmen seine Strandtasche. Im Vorbeigehen nickte er seinem neuen Korbnachbarn zu. Dieser hatte den Sonnenstore so tief heruntergezogen, wie es nur ging, und blickte nicht von seinem Laptop auf.
»Jetzt, wo es endlich schön wird, gehen Sie?«, wunderte sich der Strandwärter. Allmen gab ihm ein Trinkgeld und bat ihn, den Strandkorb Nummer siebzehn für die ganze Zeit seines Aufenthalts für ihn zu reservieren.
Punkt zehn nach zwölf rief er zu Hause an.
»Allmen International«, meldete sich Carlos mit seinem spanischen Akzent.
»Ich habe ihn, Carlos«, meldete Allmen.
»Felicitaciones!«
Allmen berichtete ihm kurz, wie er ihn angetroffen hatte, von der zufälligen Strandkorbnachbarschaft und von dem Eindruck, den Sokolow auf ihn machte.
»›Wenn Sie ihn gefunden haben‹, hat Montgomery gesagt, ›beschatten Sie ihn und informieren uns. Dann besprechen wir das weitere Vorgehen.‹«
Sie schwiegen. Beide dachten dasselbe. Es war Allmen, der es aussprach:
»Wir trauen ihm nicht, nicht wahr, Carlos?«
»No, Don John.«
»Ist das Geld überwiesen?«
»Leider nicht, Don John.«
»Sehen Sie.«
»Una sugerencia, nada más.«
»Ja?«
»Wir informieren ihn, dass er gefunden ist. Aber wir sagen nicht, wo.«
Allmen dachte darüber nach. Die Idee gefiel ihm. So konnten sie erfahren, wie Montgomery weiter vorgehen wollte, ohne zu riskieren, dass er ihnen die Beute wegschnappte. »So machen wir's.«
»Aber... Don John?«
»Ja?«
»Sie sollten Ihr Handy ausschalten und nicht mehr benutzen. Handys kann man orten.«
Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2011 Diogenes Verlag AG Zürich www
Die Rezeptionistin erwiderte sein Lächeln, entschuldigte sich aber doch für einen Augenblick und verschwand im Büro hinter dem Empfangstresen. Kurz darauf kam sie zurück, erneut lächelnd. Die Kreditkarte erwähnte sie mit keinem Wort mehr. »Wenn ich Ihnen jetzt bitte Ihre Suite zeigen dürfte?«
Auf dem Weg zum Lift bestätigte Allmen, dass dies sein erster Besuch im Grand Duc sei. Im Lift versicherte er ihr, dass er gut gereist sei und auch nicht zu müde von den Strapazen. Im Korridor gab er sich beruhigt über die Aussicht, dass sich das Wetter bessern werde. Und im Zimmer zeigte er sich zufrieden über selbiges.
Daran gab es auch tatsächlich nichts auszusetzen. Es besaß ein geräumiges Schlafzimmer mit anschließendem Bad, eine separate Toilette, einen begehbaren Schrank und einen großen Salon mit Blick auf die Ostsee und den mit Strandkörben besetzten Strand. Allmen hatte sich für die höchste Zimmerkategorie entschieden. Er sah nicht ein, weshalb er auf Firmenkosten bescheidener logieren sollte als auf eigene.
Carlos hatte noch am Vortag die Rechnung über den zweiten Vorschuss an Montgomery gemailt, Fälligkeit bei Erhalt. Begründung: Aufwand für grenzüberschreitende Ausweitung der Recherchen. Wohin, hatten sie nicht präzisiert. Falls doch eine Verbindung zwischen Montgomery und den anderen Ermittlern bestand, wollten sie ihren möglichen Vorsprung nicht aufs Spiel setzen.
Allmen rechnete jeden Moment mit dem Zahlungseingang auf dem Firmenkonto. Er hatte also keinen Grund, sich finanzielle Sorgen zu machen, und nahm sich vor, das Nützliche mit dem Angenehmen zu verbinden.
20
Noch nie, auf keiner seiner zahlreichen Reisen, hatte er das Meer so erlebt wie hier. Dieser mächtige Gleichmut, diese verhaltene Verheißung, diese geheimnisvolle Symbiose zwischen Nord und Süd.
Obwohl der Himmel bedeckt war, war das Klima mild, sanft, schmeichlerisch, feucht, fast tropisch. Nur das Licht war anders. Ernster, feierlicher.
Ein langer Bootssteg ragte weit ins Wasser hinaus, wie eine Brücke zu einem verschwundenen Ufer. Darauf waren ein paar Menschen zu sehen. Sie bewegten sich in beide Richtungen. Langsam, wie Schiffspassagiere, die den Abschied oder die Ankunft hinauszögern wollten.
Noch bevor Allmen seine Koffer auspackte und die Schränke einräumte, zog er die Badehose an, schlüpfte in den Bademantel und ging zum Strand. Nur wenige Körbe waren besetzt.
Er warf den weißen Frotteemantel mit dem Hotelemblem in den feinen Sand und ging zum Wasser.
Es war nicht so kalt, wie es aussah, und er konnte es über einen Sandteppich betreten, der so sanft abfiel, dass ihm genügend Zeit blieb, seinen Körper an die Abkühlung zu gewöhnen.
Erst als er den Kontakt zum Boden verlor, begann er zu schwimmen. Und erst als er den äußersten Punkt des Landestegs hinter sich gelassen hatte, wendete er.
Er sah den Strand, die Körbe, die Schirme und die schneeweißen Hotelpaläste.
Irgendwo dort war der Mann, den er suchte.
Zweiter Teil
1
Am nächsten Tag war das Wetter noch schlechter. Allmen hatte nach alter Gewohnheit um sieben Uhr einen Tee ans Bett bestellt und vom Zimmerkellner den Ratschlag bekommen, noch lange liegen zu bleiben.
Zwei Stunden später wurde er von Regenböen geweckt, die gegen die Fensterfront prasselten.
Die Schwalben, die sonst unentwegt für ihre Brut Versorgungsflüge flogen, warteten jetzt aufgeplustert vor den Nestern der nahen Schwalben- türme auf das Nachlassen des Regens.
Am Abend zuvor hatte sich Allmen früh sein Abendessen aufs Zimmer bestellt. Danach war er durch die Hotelanlage geschlendert und hatte dabei unauffällig die verschiedenen Restaurants, die Lobby, den Rauchsalon, die Bibliothek und die Bar abgesucht. Er war niemandem begegnet, der Sokolow ähnlich sah. War er inzwischen abgereist?
Nach seinem Rundgang telefonierte er mit Carlos und bat ihn, im Hotel anzurufen und Sokolow zu verlangen. Kurz darauf rief Carlos zurück mit der Auskunft, Herr Sokolow sei außer Haus und werde erst morgen wieder erwartet.
Allmen war beruhigt zu Bett gegangen und hatte wunderbar geschlafen. Nach dem Early Morning Tea hatte er sich das Frühstück aufs Zimmer bestellt: Milchkaffee, Croissants, Butter und Honig, Rührei mit Schinken und etwas geräucherten Aal. Eine nahrhafte Mahlzeit. Er hatte vor, es später den Unentwegten gleichzutun, die er unten am Strand trotz der Witterung in die Brandung springen sah.
Um zehn Uhr rief er Carlos an. Allmen wusste, dass er heute Vormittagsdienst hatte und um diese Zeit sein Handy einschaltete. Denn um zehn Uhr machte er seine Pause. Wie jeder Mensch spanischer Sprache, wo immer auf der Welt.
Carlos war »sin novedad, gracias a Dios«. Eine Redensart aus seiner Heimat Guatemala, wo Neuigkeiten in der Regel nichts Gutes bedeuten. Ohne Neuigkeiten, Gott sei Dank.
Von Montgomery hatte Carlos nichts gehört, was Allmen hoffen ließ, dass dieser den zweiten Vorschuss geschluckt hatte. Geld war allerdings noch keines auf dem Konto eingetroffen. Carlos würde in der Mittagspause wieder den Kontostand von Allmen International prüfen, versicherte er ihm.
Kurz nach dem Anruf ließ der Regen nach. Allmen packte die Strandtasche, eine geflochtene, mit Kunststoff gefütterte Einkaufstasche mit dem Hotelemblem. Er zog eine Badehose an und darüber ein paar verwaschene Chinos. In einem Sweatshirt mit dem Charterhouse-Emblem und seiner geliebten alten Barbour-Windjacke, die Carlos ihm vor der Abreise frisch eingewachst hatte, verließ er seine Suite.
Auf dem Gang begegnete er der Gouvernante. Es war eine großgewachsene knochige Frau Mitte vierzig. »Schmierig, heute«, sagte sie.
Allmen verstand nicht.
»Es regnet aus allen vier Himmelsrichtungen«, erklärte sie.
»Ach, und dazu sagt man schmierig?«
»Ich sag dem so.«
Gouvernanten waren nach Allmens Hotelerfahrung fast so wichtig wie Concierges und Maîtres d'Hôtel. Wer sich mit ihnen gut stellte, der hatte stets ein aufgeräumtes Zimmer, dem wurden kleine Sonderwünsche erfüllt, dessen Wäsche kam schnell aus der Wäscherei, dessen Anzüge waren gebürstet und aufgebügelt, dessen Kleenex aufgefüllt und dessen Bademantel täglich frisch. Allmen erkundigte sich nach ihrem Namen, gab ihr hundert Euro Trinkgeld und wünschte ihr einen nicht allzu schmierigen Tag.
Frau Schmidt-Gerold hieß sie. Er merkte sich den Namen.
Das Gittertor zum Strand war verschlossen. Erst als der unterbeschäftigte Strandwärter herbeieilte, begriff Allmen, dass man es mit der Zimmerkarte öffnete.
Er ließ sich einen Strandkorb herrichten, machte es sich bequem, starrte auf den Strand und schaute den Möwen zu.
Lange verharrten sie reglos. Urplötzlich sammelten sie sich kreischend, flogen undurchschaubare Figuren und ließen sich nieder, um wieder reglos zu verharren.
Oder sie trippelten am Rande der Brandung und warteten auf essbares Strandgut im zurückfließenden Wasser.
In der Ferne waren drei Containerschiffe zu erkennen. Etwas näher ein Trawler. Vom Strand stieß der kleine Katamaran der hoteleigenen Segelschule ab, an Bord ein paar Kinder in riesigen, leuchtfarbenen Schwimmwesten.
Aus der grauen Wolkenschicht vor dem hellgrauen Wolkenhintergrund hing ein dünner Wolkensack fast bis zum Meer herunter.
Allmen nahm ein Buch aus der Strandtasche und begann zu lesen. The House on the Strand von Daphne du Maurier.
Eine Stunde später wurde er abrupt von etwas aus dieser wunderbaren Zeitreise in die Gegenwart zurückgeholt. Er brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, was es war.
Eine russische Männerstimme.
2
Er hatte nicht bemerkt, dass sich das Wetter gebessert hatte. Es hatte aufgehört zu regnen, der Wind hatte sich gelegt, und manchmal ließ die Wolkendecke sogar ein paar Sonnenstrahlen durch.
Allmen stand von seinem Strandkorb auf und sah sich um. Es waren jetzt einige Hotelgäste an den Strand gekommen. Viele hatten ihre Körbe so gedreht, dass die raren Sonnenstrahlen nicht wie bei Allmen nur die Rückwand trafen. Kinder spielten im Sand, und ein paar Tische bei der Strandbar waren besetzt.
Die russische Stimme war genau hinter ihm. Sie klang nicht nach einem knapp Vierzigjährigen, sie musste einem alten Mann gehören. Sie erzählte gemächlich von einer anderen Zeit.
Allmen hörte zu. Militärische Ränge kamen vor und Ausdrücke wie Kantonnement, Feldküche, Offiziersmesse, Wachkommando, Inspektion. Der alte Mann erzählte vom Militär. Und bald wurde Allmen klar, dass er von der Zeit sprach, als das Grand Duc von der Roten Armee requiriert war und er als junger Offizier die, wie er es nannte, schönste Zeit des Krieges verbracht hatte.
Die Stimme des anderen Mannes klang jünger. Aber sie beschränkte sich auf einsilbige Kommentare und Ausdrücke der Bewunderung, Überraschung und des Erstaunens.
Allmen ging zwischen den Körben vorbei zur Strandbar. So konnte er einen Blick auf den Erzähler werfen. Es war ein sehr bleicher Mann, dessen Körperfülle beide Plätze des Strandkorbs in Anspruch nahm. Er hatte den Kopf zurückgelehnt und sah mit halbgeschlossenen Augen auf den Mann hinunter, der vor ihm im Sand kauerte.
Der Zuhörer hatte Allmen den Rücken zugewandt, er konnte sein Gesicht nicht sehen. Aber sein Haar war schütter. Und dunkelblond.
An der Strandbar bestellte Allmen ein Glas Champagner. Gegen das Herzklopfen.
Der Strandkorb Nummer zweiunddreißig war nur von hinten zu sehen. Allmen behielt ihn im Auge. Auf dem Rückweg würde er von der anderen Seite daran vorbeigehen und so einen Blick auf den Zuhörer werfen können.
Nach dem zweiten Glas hatte das Herzklopfen aufgehört, und die Mischung aus Euphorie und Sorglosigkeit, für die er dieses Getränk so liebte, hatte sich eingestellt.
Er unterschrieb die Rechnung und gab dem Barmann ein Trinkgeld, das diesem helfen würde, sich Allmens Namen und Zimmernummer zu merken. Dann schlenderte er zu seinem Korb zurück.
Der alte Mann war noch immer am Erzählen. Aber der Zuhörer kauerte nicht mehr, er stand. Es war ein kleiner Mann, er kam nicht annähernd auf die ein Meter neunzig von Sokolow. Sein Gesicht war rundlich, und seine Augen lagen nicht tief.
Allmen setzte sich wieder in seinen Korb und widmete sich seiner Lektüre.
Nach einer Weile machte sich der Strandwärter am Nachbarkorb zu schaffen. Schloss ihn auf, entfernte das Holzgitter, zog die Fußstützen heraus, klopfte den Sand ab.
»Danke«, sagte der Gast, der ihn begleitete. »Bitte bringen Sie mir einen Milchkaffee.«
Sein Akzent ließ Allmen aufblicken.
Der Mann war groß, hatte ein schmales Gesicht, schütteres, dunkelblondes, nach hinten gekämmtes Haar und tiefliegende Augen.
3
Bereits am zwölften Tag nach der Auftragserteilung hatte Allmen International Inquiries den Gesuchten also ausfindig gemacht.
Eine Erfolgsmeldung, mit der Allmen gerne sofort bei seinem Auftraggeber aufgetrumpft hätte. Aber er musste sich noch ein wenig gedulden. Natürlich wollte er sich erst mit Carlos absprechen.
Allmen zog Hose und Sweatshirt aus und ging ins Wasser. Er schwamm eine Weile, bis er das Gefühl hatte, er könne nun zu seinem Korb zurückgehen und dabei Sokolow beobachten, ohne den Eindruck zu erwecken, er sei einzig deswegen ins Wasser gegangen.
Der Russe saß mit angezogenen Beinen quer in seinem Strandkorb. Er hatte einen kleinen Laptop auf den Knien und tippte. Als Allmen an ihm vorbeiging, sah er kurz auf und konzentrierte sich sofort wieder auf seinen Bildschirm.
Allmen rieb sich die Haare trocken und schielte dabei unter dem Frottiertuch hervor. Sokolow war nicht zum Baden gekleidet. Seiner Haut sah man nicht an, dass er schon über einen Monat in einem Seebad verbracht hatte. Er sah harmlos aus. Harmlos und ein wenig einsam.
Noch eine Stunde, bis Allmen Carlos anrufen konnte. Er verbrachte sie lesend, keine zwei Meter neben dem Mann, der ihnen - wenn alles gut lief - zu eins Komma acht Millionen verhelfen würde.
Zwanzig Minuten zu früh packte Allmen seine Strandtasche. Im Vorbeigehen nickte er seinem neuen Korbnachbarn zu. Dieser hatte den Sonnenstore so tief heruntergezogen, wie es nur ging, und blickte nicht von seinem Laptop auf.
»Jetzt, wo es endlich schön wird, gehen Sie?«, wunderte sich der Strandwärter. Allmen gab ihm ein Trinkgeld und bat ihn, den Strandkorb Nummer siebzehn für die ganze Zeit seines Aufenthalts für ihn zu reservieren.
Punkt zehn nach zwölf rief er zu Hause an.
»Allmen International«, meldete sich Carlos mit seinem spanischen Akzent.
»Ich habe ihn, Carlos«, meldete Allmen.
»Felicitaciones!«
Allmen berichtete ihm kurz, wie er ihn angetroffen hatte, von der zufälligen Strandkorbnachbarschaft und von dem Eindruck, den Sokolow auf ihn machte.
»›Wenn Sie ihn gefunden haben‹, hat Montgomery gesagt, ›beschatten Sie ihn und informieren uns. Dann besprechen wir das weitere Vorgehen.‹«
Sie schwiegen. Beide dachten dasselbe. Es war Allmen, der es aussprach:
»Wir trauen ihm nicht, nicht wahr, Carlos?«
»No, Don John.«
»Ist das Geld überwiesen?«
»Leider nicht, Don John.«
»Sehen Sie.«
»Una sugerencia, nada más.«
»Ja?«
»Wir informieren ihn, dass er gefunden ist. Aber wir sagen nicht, wo.«
Allmen dachte darüber nach. Die Idee gefiel ihm. So konnten sie erfahren, wie Montgomery weiter vorgehen wollte, ohne zu riskieren, dass er ihnen die Beute wegschnappte. »So machen wir's.«
»Aber... Don John?«
»Ja?«
»Sie sollten Ihr Handy ausschalten und nicht mehr benutzen. Handys kann man orten.«
Alle Rechte vorbehalten Copyright © 2011 Diogenes Verlag AG Zürich www
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Autoren-Porträt von Martin Suter
Martin Suter wurde 1948 in Zürich geboren. Seine Romane (darunter 'Melody' und 'Der letzte Weynfeldt') und die 'Business-Class'-Geschichten sind auch international große Erfolge. Seit 2011 löst außerdem der Gentleman-Gauner Allmen in einer eigenen Krimiserie seine Fälle, derzeit liegen sieben Bände vor. 2022 feierte der Kinofilm von André Schäfer 'Alles über Martin Suter. Außer die Wahrheit' am Locarno Film Festival Premiere. Seit einigen Jahren betreibt der Autor die Website martin-suter.com. Er lebt mit seiner Tochter in Zürich.
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Suter
- 2013, 12. Aufl., 224 Seiten, Maße: 11,3 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Diogenes
- ISBN-10: 3257241976
- ISBN-13: 9783257241976
- Erscheinungsdatum: 17.01.2013
Pressezitat
»Martin Suter gilt als Meister einer eleganten Feder, die so fein geschliffen ist, dass man die Stiche oft erst hinterher spürt.« Monika Willer / Westfalenpost Westfalenpost
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