Wolfssonate
Die berühmtesten Konzerthäuser der Welt schmücken sich mit ihrem Namen, bei Musikfestivals ist sie der Publikumsmagnet. Und nach ihren...
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Die berühmtesten Konzerthäuser der Welt schmücken sich mit ihrem Namen, bei Musikfestivals ist sie der Publikumsmagnet. Und nach ihren Tourneen kehrt Hélène Grimaud zurück zu den Wölfen, die sie nördlich von New York, in einem viel besuchten Gehege, hält. In "Wolfssonate" erzählt sie die Geschichte ihres eigenwilligen, ereignisreichen Lebens, das von ihren beiden Leidenschaften geprägt ist. Geschrieben mit einer sprachlichen Eleganz und Lebendigkeit, aus der das kaum zu zügelnde Temperament funkelt, mit dem die Grimaud Meisterwerke der klassischen Musik so atemberaubend zu interpretieren vermag.
Die berühmtesten Konzerthäuser der Welt schmücken sich mit ihrem Namen, bei Musikfestivals ist sie der Publikumsmagnet. Und nach ihren Tourneen kehrt Hélène Grimaud zurück zu den Wölfen, die sie nördlich von New York, in einem viel besuchten Gehege, hält. In "Wolfssonate" erzählt sie die Geschichte ihres eigenwilligen, ereignisreichen Lebens, das von ihren beiden Leidenschaften geprägt ist. Geschrieben mit einer sprachlichen Eleganz und Lebendigkeit, aus der das kaum zu zügelnde Temperament funkelt, mit dem die Grimaud Meisterwerke der klassischen Musik so atemberaubend zu interpretieren vermag.
Wolfssonatevon HeleneGrimaud
LESEPROBE
Ich denkenicht mit Wehmut an meine Kindheit zurück. In all den Jahren, die vergangensind, habe ich niemals das Gefühl gehabt, das Paradies verloren zu haben,sondern ein Paradies finden zu müssen, anderswo, das auf mich wartet. EinParadies, begraben in meinem Innern. »Sie ist niemals zufrieden!« Tausendmalhabe ich als Kind diese Worte aus dem Mund derer gehört, die mich betrachteten,auf mich aufpassten, Bemerkungen über mich machten, und lange bevor ichverstand, was sie bedeuteten, hatte ich mir aus ihnen eine Familie gebildet,wie mit meinen Stofftieren. Mit dem Familiennamen »Un«. Sie waren die Familieder »Un« und verfügten alle über die gleiche Macht: Verwunderung oder Besorgnisauf das Gesicht meiner Mutter zu zaubern. Allein in meinem Zimmer, sagte ichsie mir immer wieder vor, dabei betonte ich deutlich, was ich von ihren Silbenbehalten hatte. Ich erstellte einen Stammbaum für sie. Der Urgroßvater derWörter (ich hatte selbst einen Urgroßvater, den ich abgöttisch liebte) warUn-gehorsam. Keine Urgroßmutter, dafür gab es keinen Grund, ich hatte ebenfallskeine. Übrigens hielt ich mich für ziemlich einzigartig: Meine seltenenUmfragen in der Schule hatten mich hinsichtlich dieses Schatzes beruhigt;keine, keiner von denen, die meine Eltern oder die Lehrerin meine »Kameraden«nannten, besaßen einen Urahn in ihrer Familie. Auf Un-gehorsam folgte sehrhäufig Un-zufrieden. Dann Un-bezähmbar. Oder Un-möglich. Un-diszipliniert.Un-er sättlich. Un-gezogen Un-erziehbar. Un-berechenbar. »Lassen Sie sie Sporttreiben.« Irgendjemand musste ein Zuviel an Energie, einen Überschuss anVitalität diagnostiziert haben, wofür die Kampfsportarten oder Tennis dasrichtige Ventil sein könnten. Ich machte beides, und außerdem noch Ballett,aber ich wurde für völlig »un-geeignet« für diese Kunst befunden. MeineAversion ging über die schlichte körperliche Disziplin hinaus: Die ganze Ausstaffierungwar mir zutiefst zuwider. Bodysuit oder Ballettröckchen, Ballettschuhe oderrosa Satin, nein, wirklich, nichts von all dem gefiel mir. Ich ähnelteerschreckend den Puppen, die man mir in ein paar unglücklichen Versuchen zuWeihnachten schenkte. Ich habe sie alle wütend an die Wand geknallt. Schon dieVorstellung, dass man darauf kommen konnte, mir so etwas zu schenken, entsetztemich. Und jetzt sollte ich auch noch aussehen wie sie! Der Kampfsport bereitetemir dagegen ein gewisses Vergnügen, und Tennis spielte ich regelmäßig mitmeinem Vater, wunderbare Augenblicke der Komplizenschaft mit ihm, der mitseinem kartesianischen Temperament, seiner Ordnungsliebe und Strenge und seinemHang, alles durchzuplanen, von meiner hektischen Betriebsamkeit, meiner Sprunghaftigkeitund meinen plötzlichen Leidenschaften ganz schön genervt wurde. Ich spürtegenau, dass er, wenn er mich ertappte, verärgert war. An dieser Überraschung,deren Ausmaß ich in der starken Erweiterung der Pupillen meiner Mutter zuerkennen lernte, wenn sie entdeckte, dass ich es erneut getan hatte. Dannsuchten beide, die besten Eltern der Welt, ein Ventil für dieses unvernünftigeVerhalten. Aber nichts vermochte diese Vitalität einzudämmen, die ich gegenmich zu richten verstand. Ich hatte keine Spielkameraden. Nicht in der Schule,die für mich eine Prüfung war, und nicht in den außerschulischen Aktivitäten, dieman mir vorschlug. »Sehen Sie sich diese Zeichnung an.« Die Lehrerin hattemeiner Mutter ein großes Blatt Papier gezeigt, auf dem sie nur ein Gitter ausQuadraten hatte erkennen können. Obwohl sie von Berufs wegen auf alleverrückten Einfälle vorbereitet war, da sie selbst Lehrerin war, erkannte sie dieFalle nicht: »Ich verstehe nicht, was das sein soll.« »Dabei ist es ganzeinfach«, hatte meine Lehrerin geseufzt, »ich habe Hélène wie alle Kindergebeten, Hühner in einem Hühnerhof zu zeichnen. Ihre Tochter hat einDrahtgitter gekritzelt. Das ist sehr beunruhigend.« Anschließend hatten siemiteinander getuschelt; die Familie der »Un« hatte sich auf ihren Lippenversammelt. Ratschläge. Unvermeidliches Stirnrunzeln. »Stimmt es, dass du dichweigerst, in der Pause mit den anderen zu spielen? Erzähl mir nicht, dass es inder ganzen Schule nicht einen Jungen, nicht ein Mädchen gibt, das Gnade vor deinenAugen findet.« Sie machte sich ständig Sorgen, meine Mutter. Ich rieb meineWange an ihrer Hand. Sie hatte einen ganz besonderen Duft, eine Mischung ausLavendel und Kreide, häufig übertönt von einem Hauch Knoblauch, den die Seifenicht vertreiben konnte. Der Knoblauch der Provence, wo ich geboren wurde, mitdem sie die Gerichte wie mit winzigen Kieseln in einem Wald von Gewürzenbestreute, während sie alte italienische Weisen für mich summte. Ich hasste es,wenn sie sich Sorgen machte. Das Stirnrunzeln, das den Ansatz ihrer Nasezerfurchte, gab mir einen Stich ins Herz. Ich hatte schreckliche Schuldgefühle.Ich hielt mich für böse. Dabei war diese Bosheit gar nicht ich. Nicht meinWesen. Ich schleuderte die Puppen an die Wand, und mit ihnen zerschmetterte ichdie liebe vollen Gefühle derer, die sie mir schenkten, aber das war nicht ich,das war nur etwas in mir, das herauswollte, das sich ausdrücken, ausbrechenwollte. »Was ist das, eine Grenze, Mama?« »Etwas, das ein Ende markiert« »Dannist mein Körper also meine Grenze?« Meine verhasste Grenze, die etwas in mir zuüberwinden suchte. Böse? Die Kinder waren manchmal böse. Ich konnte die Augenschließen und die Bosheit in ihrem Lachen verkörpern und in den Schlägen, diesie ihrem Sündenbock in der Pause heimlich versetzten. Ihren Fußtritten in dieSeite eines kranken Hundes. Und wie sollte ich ihr diese Aversion begreiflichmachen, die ich gegen die anderen hatte, gegen ihre Art, sich zusammenzurottenund den Schwächsten zu schlagen oder anzugreifen. Ich fand sie erbärmlich. Ichfühlte mich vollkommen anders als sie. Und ich war es, nicht wahr? »Nanou, dudarfst nicht lauthals fragen, warum der Hausmeister humpelt. Er hinkt, weil erbehindert ist, und er hat dich gehört. Das hat ihm wehgetan, und man darf dieLeute nicht verletzen. Das ist grausam.« Ich war drei. Am nächsten Tag sagteich, als wir an derselben Stelle unserem Hausmeister begegneten, mit lauterStimme: »Siehst du, Mama, ich habe nicht gesagt, dass der Monsieur humpelt.« Ichhatte diese Worte laut und vernehmlich ausgesprochen. Ich erinnere mich nichtan die Reaktion meiner Mutter. Ich erinnere mich nur an das, was ich selbst indiesem Augenblick empfand: Der Schmerz des Hausmeisters traf mich ins Herz, ichspürte ihn physisch, und er war durchdrungen von Traurigkeit, weil dieseskleine Mädchen, das er seit seiner Geburt kannte, der Grausamkeit derTaktlosigkeit, der Macht wehzutun nachgegeben hatte. Ich erinnere mich an dasunmittelbare Entsetzen über meine Worte und meine Gewissensbisse, mein Leid. Eshatte den gleichen metallischen Geschmack, es löste die gleiche Explosionrötlich violetter Farbe aus, wenn ich den Kindern aus meiner Klasse zusah, wiesie einen anderen verspotteten, wenn ich ihre Gewalttätigkeit feststellte, dieder Jungen vor allem, die immer in Gruppen waren, sich ständig anrempelten undbrutal aufeinander losgingen. Und doch, wenn ich mit jemandem hätte spielenmüssen, hätte ich sie gewählt. Besser als jeder andere erkannte ich auf denersten Blick die besten Äste, um auf die Bäume zu klettern. Ich hätte sie alleim Klettern, im Laufen, im Ausweichen übertrumpft. Vor allem ihre Murmelngefielen mir: das Spiel der Hände auf den Kugeln, diese Fingerchoreographie -manchmal kraftvoll, manchmal behutsam und zart -, sie führten einfaszinierendes Ballett in der Sonne auf, in der die Farben der Achate, derWassertropfen, der Erdöltropfen, der Opale aufblitzten. Die Murmeln liebte ichbis in ihre Musik hinein, dieses leise Klirren in den Taschen, das dumpfeSchlagen, das den Sieg verkündete, wenn sie gegeneinander stießen. Aber weißder Himmel warum, Murmeln und Mädchen passten nicht zusammen. Und es stimmt, dasMurmelspiel verlangte ganzen Körpereinsatz, man durfte sich weder scheuen, sichhinzuhocken, noch sich zu verrenken. Und die Mädchen achteten stets auf ihreBewegungen, verhielten sich unnatürlich, bemühten sich, ihren Rock nicht zuverknittern, ihre Strümpfe keine Falten schlagen zu lassen, während den Jungsihre Kleidung vollkommen gleichgültig war. Sie beschmutzten oder zerrissen sie,ohne weiter darüber nachzudenken, mit einem Hochmut, der mich entzückte. Dennochfühlte ich mich nicht als »Junge«, ich war ein Kind und lehnte mich dagegenauf, dass man wegen meines Geschlechts ein vorherbestimmtes gekünsteltesVerhalten von mir erwartete, das meinem Wesen vollkommen fremd war. Zum Glückrespektierte meine Mutter meinen Charakter und zwang mich niemals, dieseverschmockten Röcke, Blusen oder Kleider anzuziehen. ()
© BlanvaletVerlag
Übersetzung:Michael von Killisch-Horn
- Autor: Hélène Grimaud
- 2006, 254 Seiten, Maße: 11,6 x 18,4 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Michael v. Killisch-Horn
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442364604
- ISBN-13: 9783442364602
- Erscheinungsdatum: 25.04.2006
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