Sturzprophylaxe
Planung, Durchführung, Prüfung und Nachbesserung. ContentPLUS: Mit individuellem Zugangscode im Buch
Jeder Mensch lebt mit dem Risiko zu stürzen. Ältere und kranke Personen begleitet jedoch ein ungleich höheres Risiko. Pflegekräfte sollten in der Lage sein, wirksam einzugreifen, um Stürze zu vermeiden und Sturzfolgen auf ein Minimum zu reduzieren. Der...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Sturzprophylaxe “
Klappentext zu „Sturzprophylaxe “
Jeder Mensch lebt mit dem Risiko zu stürzen. Ältere und kranke Personen begleitet jedoch ein ungleich höheres Risiko. Pflegekräfte sollten in der Lage sein, wirksam einzugreifen, um Stürze zu vermeiden und Sturzfolgen auf ein Minimum zu reduzieren. Der vorliegende Praxisleitfaden versetzt den Pflegenden in die Lage, den Expertenstandard zur kontinuierlichen Sturzprophylaxe in der Planung, Durchführung, Prüfung und Nachbesserung professionell umzusetzen. ContentPLUS beinhaltet umfangreiches Begleitmaterial, u. a. Checklisten.
Lese-Probe zu „Sturzprophylaxe “
Sturzprophylaxe von Anke-Petra Peters und Claudia FröbelEinleitung
Sturzgefährdung ! Was ist an diesem Thema so wichtig? Ein Sturz ist ein Ereignis, welches unabsehbare körperliche, psychische und finanzielle Folgen nach sich ziehen kann. Um solche Folgen einzudämmen, lässt sich nur eine Vorsorge treffen, nämlich die Sturzprophylaxe unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung des Betroffenen.
Nun könnte man annehmen, dass Menschen, die sturzgefährdet sind, sich dieser Gefahr einfach nicht mehr aussetzen dürfen. Dies ist jedoch ein Trugschluss, wir können die uns überlassenen Menschen nicht festzurren, aus Angst, sie könnten sonst stürzen. Wir müssen uns damit abfinden, dass es in manchen Pflege- und Versorgungssituationen nicht darauf ankommt, den Sturz zu verhindern, sondern die Folgen einzudämmen. Das höchste Ziel ist sicherlich auch nicht, Stürze zu verhindern, sondern die größtmögliche Mobilität beizubehalten oder herzustellen, auch unter dem Gefahrenmoment des Sturzereignisses. Der richtige Weg findet sich nur unter Berücksichtigung der Selbstbestimmung des sturzgefährdeten Menschen. Die Lebensqualität besteht nicht nur darin, nicht zu stürzen, sondern auch darin, die Selbstständigkeit und vorhandene Bewegungsmöglichkeit zu ermöglichen. Stets ist auch zu bedenken, dass die eigene Entscheidungskompetenz des Betroffenen berücksichtigt wird. Nicht die Pflegekraft entscheidet, was das Beste für den Kunden ist, das entscheidet er selbst. Dies ist für Pflegefachkräfte häufig schwer auszuhalten, denn wie sollen diese sich verhalten, wenn der Kunde sich dafür entscheidet, die Sturzgefahr zu ignorieren?
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Dieses komplexe Vorgehen bedarf einer Sensibilisierung und Förderung der Kommunikationsfähigkeit der Pflegekräfte in Bezug auf dieses Thema. Eine gewisse pflegerische Ambiguitätstoleranz muss sicher noch mehr gefördert und unterstrichen werden. Bedenke: Die Empathie und Begleitung des gefährdeten Kunden ist die beste Sturzprophylaxe, auch wenn der Pflegekraft die selbstgefährdende Einstellung oder ein solches Verhalten nicht gefällt.
Für die Pflegekräfte besteht also die große Aufgabe, die sturzgefährdeten Personen zu erkennen, die individuellen Sturzrisikofaktoren herauszufiltern und dann im Sinne des Kunden und der Fachlichkeit zu entscheiden, was zu tun ist. Das kann bei einem Kunden die Sturzverhinderung nach einer Operation, bei einem anderen Kunden die Reduzierung der Folgen eines vorhersehbaren Sturzereignisses sein.
Für das Erkennen der Sturzgefahr, womöglich den Grad der Sturzgefahr gibt es kein empfehlenswertes Instrument. Es gibt auch keine Punktzahlen oder einen Cut-off-Point. Ganz im Gegenteil muss die zuständige Pflegefachkraft, gemeinsam mit dem Team, den Angehörigen und anderen an der Pflege Beteiligten herausfiltern, ob es einzelne isolierte oder mehrere, sich gegenseitig bedingende Sturzrisikofaktoren gibt.
Sie als Pflegekraft könnten also mit der fachlichen Intuition und Risikoeinschätzung auch erwartbare Stürze erspüren. Selbstverständlich stützen wir uns bei diesem Praxisleitfaden auf den aktuellen Expertenstandard und möchten mit Wissen, Methoden, Erklärungen und Instrumenten den Pflegekräften dazu verhelfen, mit der Thematik sicher und praktisch umgehen zu können. Wir führen keine Feldforschungen durch, wir nutzen bereits vorhandenes Material, auch wenn dies nur Erkenntnisse aus durchgeführten Studien sind. Für uns steht die praktische Umsetzung aufgrund des aktuellen Wissensstands im Vordergrund, damit Ihre Kunden die bestmögliche Prophylaxe erfahren, weil Sie und Ihre Kollegen reflektiert mit diesem Thema umgehen.
Ein Wort zur Umsetzung in der ambulanten Pflege. Zu Recht wird von den Pflegenden angegeben, dass die Umsetzung schwierig ist, sei man doch unter Umständen nur ein paar Minuten in der Wohnung des Patienten. Trotzdem gibt es interessante Erkenntnisse, die Sie in der Praxis nutzen können.
Allen mit dem Thema beschäftigten Pflegekräften ist die Problematik der stringenten Umsetzung des Expertenstandards bewusst. Die Aufgabe der Pflegefachkräfte besteht unserer Ansicht nach in dem Wissen um die Zielsetzung des Expertenstandards, die entsprechende Beratung, Schulung und Information des Betroffenen und seiner Angehörigen sowie in der Unterstützung, die Sturzgefahr einzudämmen, sowie die Folgen eines Sturzes einzugrenzen. Dies kann die Pflegefachkraft nur leisten, wenn sie die sturzgefährdenden Faktoren erkennt, herausfiltert, sie dokumentiert, reflektiert und entsprechend nach Absprache mit dem Betroffenen in der Versorgung berücksichtigt.
1. Expertenstandard zur Sturz - prophylaxe in der Pflege
Ohne diesen Standard geht nichts mehr in der Pflege, besonders dann nicht, wenn die Einrichtung Wert darauf legt, sach- und fachgerechte Sturzprophylaxe durchzuführen und nachweisen zu können. Auch in Bezug auf die haftungsrechtliche Seite der Sturzprophylaxe ist die Berücksichtigung der Angaben aus dem aktuellen Expertenstandard mehr als interessant; er kann für eine Einrichtung überlebenswichtig sein. Damit Mitarbeiter an der Basis die Struktur und den Hintergrund dieses Expertenstandards verstehen, brauchen Sie eine Anleitung für die Umsetzung. Diese Anleitung halten Sie hier in der Hand.
1.1 Zum Verständnis eines Expertenstandards
Immer noch finden in den Einrichtungen, besonders in den Führungsetagen, Diskussionen statt, ob und wenn, dann warum die Expertenstandards überhaupt relevant seien. Schließlich achtet die Einrichtung auch ohne irgendeinen Expertenstandard auf die Einhaltung von Qualitätsstandards. Das mag durchaus so sein, allerdings nicht begründet. Wir Pflegefachkräfte an der Basis und in den Führungsetagen können uns sehr glücklich schätzen, dass es die Möglichkeit gibt, unsere Arbeit nach tatsächlich evaluierten Ergebnissen auszurichten.
Daher wird hier auf verständliche Art und Weise die Relevanz der Expertenstandards dargestellt. In vielen Fort- und Weiterbildungen wurde deutlich, dass erst einmal die Struktur und der Hintergrund dieser Standards erklärt werden muss. Das Wissen ist also nicht als vorhanden vorauszusetzen. Der Leser wird merken, dass es einen sehr gut nachvollziehbaren logischen Denkprozess hinter der anscheinend arg theoretischen Struktur des Standards gibt, der im Laufe der nächsten Seiten positiv überraschen wird. Die Autorinnen fangen mit den meist gehörten Vorurteilen zum Thema „Umsetzung eines Expertenstandards" an:
1. Vorurteil: Welche pflegefremden Menschen meinen eigentlich, sich als sogenannte „Experten" zu verkaufen, um uns Pfl egenden zu sagen, wie wir arbeiten sollen?
Antwort: Jeder von uns Pflegenden kann sich um die Teilnahme an der Erarbeitung eines Expertenstandards bewerben. Denn die Experten sind tatsächlich Fachexperten des jeweiligen Gebiets. Personen wie Pflegende gehören dazu. Selbstverständlich arbeiten auch Ärzte,Apotheker etc. mit, das ist befruchtend und nicht abwertend zu betrachten. Dozenten und Leitungen kommen hinzu, denn jemand muss über die Neuerungen in den Einrichtungen auch Auskunft geben können.
2. Vorurteil: So ein theoretisches Konstrukt lässt sich sowieso nicht umsetzen, da niemand versteht, wie es geht.
Antwort: Das theoretische Konstrukt lässt sich leicht erklären. Dann wird deutlich, dass im Expertenstandard lediglich Zielsetzungen zu lesen sind, keine Pfl egemaßnahmen. Die Autorinnen haben die Erfahrung gemacht, dass Pfl egekräfte schnell in der Lage sind, das „theoretische Konstrukt" zu verstehen und umzusetzen.
3. Vorurteil: Überall steht, dass man den Expertenstandard umsetzen soll. Wie soll eine Tabelle nachweislich umgesetzt werden?
Antwort: Die Tabelle kann so nicht umgesetzt werden, die einzelnen Zielsetzungen müssen für die Einrichtung konkret heruntergebrochen werden.
4. Vorurteil: Wenn man davon ausgeht, dass alle alten Menschen sturzgefährdet sind, komme ich ja vor lauter Sturzrisikoermittlung gar nicht mehr zu meiner Arbeit.
Antwort: Es sind nicht alle alten Menschen automatisch sturzgefährdet. Es muss erst einmal die Möglichkeit gegeben sein, stürzen zu können. Ein immobiler Mensch ist daher nicht unbedingt sturzgefährdet, auch wenn mehrere Risikofaktoren zutreffen. Die Pflegefachkräfte sollten sich also auf die Gruppe der Personen konzentrieren, welche de facto einem Sturzrisiko ausgesetzt ist. Pflegefachkräfte führen eine fachliche Einschätzung, also eine Sturzrisikoermittlung durch, indem sie den Kunden und seine eigene Einschätzung von Gefahrenmomenten kennen. Es gibt keine Risikofaktoren, die durch eine Zählfunktion zu einem Ergebnis führen und dadurch erkennbar würde, wie hoch dieser Mensch gefährdet ist.
1.2 Wie entsteht ein Expertenstandard?
Die Entwicklung besteht aus mehreren Schritten:
1. Schritt der Entwicklung: Das Thema muss die Pflegepraxis beschäftigen und zwangsläufig zu einer Verbesserung des derzeitigen Sachstands führen. Um seiner selbst willen wird ein Expertenstandard nicht entwickelt und erarbeitet.
2. Schritt der Entwicklung: Die Expertengruppe setzt sich zusammen. Den Vorsitz führt eine entsprechende Universität, Hochschule oder Fachhochschule. Die Expertengruppe wird unter anderem durch Ausschreibungen in der Fachliteratur (Altenpflege, Heilberufe u. v. m.) ausgeschrieben. Die Leser können sich dann bewerben, um in der Arbeitsgruppe mitzuwirken.
3. Schritt der Entwicklung: Ein Entwurf entsteht. Die ausgesuchten Fachleute inspizieren Fachliteratur und filtern die wichtigen und plausiblen Informationen heraus, die zur weiteren Bearbeitung wichtig sind. Der Entwurf entsteht in dem vorgegebenen Strukturrahmen.
4. Schritt der Entwicklung: Planung und Durchführung der sogenannten Konsensuskonferenz . Der Expertenstandard wird diskutiert, Verbesserungen werden vorgeschlagen, dies alles dient der Konsensusfindung. Nun werden auch Referenzeinrichtungen angefragt, denn der vorliegende Standard muss sich in der Praxis als sinnvoll erweisen. Mehrere Einrichtungen probieren nun die Umsetzung aus.
5. Schritt der Entwicklung: Nach der Versuchsphase treffen die Experten wieder zusammen, damit Optimierungen einfließen können.
6. Schritt der Entwicklung: Die Ergebnisse führen zu einer vorläufigen Fertigstellung. Vorläufig deshalb, weil jeder Expertenstandard nach mindestens fünf Jahren aktualisiert werden soll.
Das Vorgehen zur Aktualisierung dieses Standards hat eine Abweichung zum oben genannten Ablauf. In diesem Fall wurde eine Vorabveröffentlichung im Internet zur Verfügung gestellt. Es bestand der Aufruf an die Fachöffentlichkeit, Stellungnahmen zum aktuellen Stand abzugeben. Von diesem Vorschlag machten 32 Fachgesellschaften, Organisationen, Pflegeteams und Einzelpersonen Gebrauch (DNQP 2013).
Nun, nach abgeschlossener Bearbeitung des Expertenstandards im Januar 2013, haben die Professionen die Aufgabe der Berücksichtigung in den Einrichtungen. Ein Expertenstandard gilt immer noch als ein sogenanntes „vorweggenommenes Sachverständigengutachten ". Jede Einrichtung tut gut daran, die darin formulierten Ziele anzustreben. Achtung: In manchen Aktualisierungen, so auch in dieser Überarbeitung, treten Angaben auf, die mit den vorherrschenden Prüfungsunterlagen des MDK nicht mehr konform gehen.
„Mitte 2008 in Kraft, gab es mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz einigen Wirbel in der Pflegeszene. Hier hat der Gesetzgeber die Entwicklung und Aktualisierung von Expertenstandards den Vertragsparteien auf der Bundesebene, also den Vertretern von Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen übertragen. Was bedeutet dies genau für die bestehenden und weiteren Expertenstandards? In dem Gesetz heißt es in § 113a, dass Expertenstandards auf der Basis einer Verfahrensordnung zu entwickeln und aktualisieren sind. Diese Verfahrensordnung ist sehr eng an das Vorgehen des DNQP angelehnt. Neu ist, dass Themen nun von den Vertragsparteien in Auftrag gegeben werden können, sinnvollerweise im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung. Hierauf kann sich das DNQP ebenso wie andere Institutionen bewerben. Der Auftrag wird dann durch die Vertragsparteien vergeben" (Interview mit Andreas Büscher, Die Schwester Der Pfleger 2012, S. 1040).
1.3 Struktur des Nationalen Expertenstandards Sturzprophylaxe gemäß DNQP
Der Expertenstandard ist in die sogenannten drei Qualitätsebenen untergliedert. Dies dient der Übersichtlichkeit, aber auch der einfacheren Anwendung in der Umsetzung. Hier stellt sich nun der Expertenstandard zur Sturzprophylaxe vor. Danach erklärt sich die Darstellung fast von selbst. Am Anfang befindet sich eine Präambel zum Thema. Eine Präambel ist ein Vorwort. Sie steht am Anfang eines Buches oder z. B. eines Gesetzes. Eine Präambel gibt Auskunft über den Inhalt und den Zweck des Buches. Oft wird sie in „gehobener" Sprache verfasst.
Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege,
1. Aktualisierung
Herausgeber: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (2013)
Autoren: Expertenarbeitsgruppe „Sturzprophylaxe" Prof. Dr. Cornelia Heinze (Wiss. Leitung), Prof. Dr. Jürgen Härlein, Siegfried Huhn, BScH, Dr. Markus Mai, Horst Mühlberger, Katrin Nitsch, Dipl.-Pflegewirt (FH) Ulrich Rißmann, Dipl.-Pflegewirtin (FH) Andrea van Schayck, Wolfgang Schuldzinski, Dr. Michael Simon, Jens Ullmann, Helga Walter, Dipl.-Pflegewirt (FH) Josef Weiß
„Präambel zum Expertenstandard
Jeder Mensch hat ein Risiko zu stürzen, sei es durch Unachtsamkeit oder bei einer sportlichen Betätigung. Über dieses alltägliche Risiko hinaus gibt es aber Stürze, deren Ursache im Verlust der Fähigkeit zur Vermeidung eines Sturzes liegt. Den betroffenen Patienten/ Bewohnern, überwiegend ältere Menschen oder Menschen mit reduziertem Allgemeinzustand, gelingt es nicht mehr, den Körper in Balance zu halten oder ihn bei Verlust des Gleichgewichts wieder in Balance zu bringen bzw. Sturzfolgen durch intakte Schutzreaktionen zu minimieren. Physische Auswirkungen von Stürzen reichen von schmerzhaften Prellungen über Wunden, Verstauchungen und Frakturen bis hin zum Tod. Zu den möglichen psychischen Folgen zählt vor allem der Verlust des Vertrauens in die eigene Mobilität. Durch die physischen und/oder psychischen Sturzfolgen kann es schließlich zu einer Einschränkung des Bewegungsradius kommen und somit schlimmstenfalls zur sozialen Isolation.
Definition
Im vorliegenden Expertenstandard ist mit Sturzrisiko grundsätzlich das erhöhte Sturzrisiko gemeint, das über das alltägliche Risiko zu stürzen, hinausgeht. In Anlehnung an die WHO (2007) wird im Expertenstandard die folgende Definition zugrunde gelegt: ‚Ein Sturz ist ein Ereignis, bei dem der Betroffene unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer anderen tieferen Ebene aufkommt.‘
Hiermit sind auch Stürze gemeint, in deren Folge die Betroffenen den Boden oder die tiefere Ebene nicht mit dem ganzen Körper berühren, sondern dort auch beispielsweise sitzen oder hocken. Häufig kann im Beisein von Pflegefachkräften ein Sturz soweit abgefangen werden, dass es nicht zu einer Berührung des Körpers mit dem Boden kommt. Diese ‚Beinahestürze‘ geben wichtige Hinweise auf zugrunde liegende Risikofaktoren, wie eine beeinträchtigte Balance oder eine orthostatische Hypotonie, wie z. B. nach dem Aufstehen. Die Expertenarbeitsgruppe hat sich darauf geeinigt, dass Beinahestürze nicht als Stürze zu definieren sind, aber im pflegerischen Alltag im Rahmen der Risikoeinschätzung berücksichtigt werden sollen.
Zielsetzung
Der Expertenstandard hat zum Ziel, Pflegefachkräfte sowie Pflege- und Gesundheitseinrichtungen dabei zu unterstützen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Expertenmeinungen, Stürzen vorzubeugen und Sturzfolgen zu minimieren. Dieses Ziel ist allerdings nicht durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu erreichen, sondern vielmehr durch die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer größtmöglichen, sicheren Mobilität von Patienten/ Bewohnern, verbunden mit einer höheren Lebensqualität. Die Expertenarbeitsgruppe spricht sich daher gegen jegliche Form freiheitsentziehender Maßnahmen zum Zwecke der Sturzprophylaxe aus.
Anwender des Expertenstandards
Der Expertenstandard Sturzprophylaxe richtet sich an alle Pflegefachkräfte, die Patienten/Bewohner entweder in der eigenen häuslichen Umgebung oder in einer Einrichtung der stationären Gesundheitsversorgung betreuen. Wenn im Expertenstandard von Einrichtung die Rede ist, so ist damit auch die häusliche Pflege gemeint, wohlwissend, dass dort nicht alle Interventionen, vergleichbar mit einem Krankenhaus oder einer stationären Pflegeeinrichtung, durchgeführt werden können.
Zielgruppen
Der Expertenstandard bezieht sich auf alle Personen, die sich kurz- oder langfristig in pflegerischer Betreuung befinden. Hierbei sind explizit alle Altersgruppen gemeint, sowie spezifische Gruppen, zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. Aufgrund der Studienlage lässt sich ableiten, dass sich die im Standard beschriebenen Sturzrisikofaktoren auch auf Kinder oder Personen mit Behinderungen beziehen lassen. Die limitierte Anzahl an Interventionsstudien lässt allerdings bezüglich letztgenannter Personengruppen keine spezifischen Schlussfolgerungen zu sturzprophylaktischen Maßnahmen zu.
Aktualisierung des Expertenstandards
Der ersten Aktualisierung des Expertenstandards liegt eine ausführliche Recherche der nationalen und internationalen Literatur von September 2004 bis September 2011 zugrunde. Ausgeschlossen von der Recherche waren Studien zu Interventionen, die primär zum ärztlichen Verantwortungsbereich gehören, wie die Verschreibung von Medikamenten (z. B. Vitamin D) oder chirurgische Eingriffe (z. B. Kataraktoperationen). Es liegen Aussagen zur Epidemiologie des Sturzgeschehens, seiner Ursachen und Risikofaktoren sowie zur Risikoeinschätzung und zur Wirksamkeit präventiver Interventionen vor. Darüber hinaus wurden Studien zu Anforderungen an eine angemessene Beratung zur Sturzprophylaxe, vor allem aus Sicht der Betroffenen, und Aspekte zu relevanten Kontextbedingungen für die Umsetzbarkeit sturzprophylaktischer Maßnahmen in Organisationen recherchiert. Trotz der hohen Anzahl der in die Literaturanalyse einbezogenen Studien (275 Beiträge) lassen sich nur bedingt eindeutige Schlussfolgerungen für die Art und Weise der pflegerischen Einschätzung des Sturzrisikos und der Planung und Durchführung sturzprophylaktischer Maßnahmen ziehen. Beispielsweise liegen zu den präventiven Interventionen teilweise widersprüchliche Ergebnisse vor, oder sie sind nicht bei jeder Adressatengruppe gleichermaßen effektiv. Ein wesentlicher Grund hierfür ist sicherlich das multifaktorielle Geschehen, das zu einem Sturz führt und entsprechend komplexer Interventionen bedarf.
Interventionen zur Sturzprophylaxe können maßgeblichen Einfluss auf die Lebensführung von Patienten/Bewohnern haben, z. B. durch eine Umgebungsanpassung, die Empfehlung für spezielle Schuhe oder Hilfsmittel, die Aufforderung, nur mit Hilfestellung auf die Toilette zu gehen, oder das Besuchen von Kursen zur Förderung von Kraft und Balance. Aus diesem Grund ist es notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Sturzprophylaxe, das Selbstbestimmungsrecht von Patienten/Bewohnern zu achten und zu unterstützen. Eine wichtige Grundlage dafür ist die umfassende Information und Beratung von Patienten/Bewohnern und ihren Angehörigen über das vorliegende Sturzrisiko und die möglichen Interventionen im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Mit Einverständnis der Patienten/Bewohner sollten die Angehörigen grundsätzlich in die Information, Beratung und Maßnahmenplanung eingebunden werden.
Voraussetzung für die Implementierung des Expertenstandards
Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung des Expertenstandards Sturzprophylaxe in den Einrichtungen ist die gemeinsame Verantwortung der leitenden Managementebene und der Pflegefachkräfte. Notwendige strukturelle Voraussetzungen, z. B. das Angebot von Fortbildungen für Pflegefachkräfte und hauseigenen Interventionen oder die Umsetzung von Umgebungsanpassungen in stationären Einrichtungen, sind von der leitenden Managementebene (Betriebsleitung und Pflegemanagement) zu gewährleisten.
Die Aufgabe der Pflegefachkraft besteht im Erwerb aktuellen Wissens, um Patienten/Bewohner mit einem erhöhten Sturzrisiko identifizieren und entsprechende Interventionen einleiten zu können sowie bei Bedarf zusätzliche notwendige Strukturen einzufordern und dies fachlich begründen zu können.
Die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit, beispielsweise mit den therapeutischen Berufsgruppen oder den Ärzten, ist maßgeblich für ein effektives Interventionsangebot. Auf der Grundlage der jeweiligen professionsspezifischen Qualitätsinstrumente (z. B. Leitlinien, Standards) können dann gemeinsame Vorgehensweisen vereinbart werden. Der konsequente Einbezug sowie eine umfassende Information der beteiligten Berufsgruppen ist dafür eine wesentliche Voraussetzung" (DNQP 2013; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des DNQP).
Copyright © 2013 W. Kohlhammer. Stuttgart.
Dieses komplexe Vorgehen bedarf einer Sensibilisierung und Förderung der Kommunikationsfähigkeit der Pflegekräfte in Bezug auf dieses Thema. Eine gewisse pflegerische Ambiguitätstoleranz muss sicher noch mehr gefördert und unterstrichen werden. Bedenke: Die Empathie und Begleitung des gefährdeten Kunden ist die beste Sturzprophylaxe, auch wenn der Pflegekraft die selbstgefährdende Einstellung oder ein solches Verhalten nicht gefällt.
Für die Pflegekräfte besteht also die große Aufgabe, die sturzgefährdeten Personen zu erkennen, die individuellen Sturzrisikofaktoren herauszufiltern und dann im Sinne des Kunden und der Fachlichkeit zu entscheiden, was zu tun ist. Das kann bei einem Kunden die Sturzverhinderung nach einer Operation, bei einem anderen Kunden die Reduzierung der Folgen eines vorhersehbaren Sturzereignisses sein.
Für das Erkennen der Sturzgefahr, womöglich den Grad der Sturzgefahr gibt es kein empfehlenswertes Instrument. Es gibt auch keine Punktzahlen oder einen Cut-off-Point. Ganz im Gegenteil muss die zuständige Pflegefachkraft, gemeinsam mit dem Team, den Angehörigen und anderen an der Pflege Beteiligten herausfiltern, ob es einzelne isolierte oder mehrere, sich gegenseitig bedingende Sturzrisikofaktoren gibt.
Sie als Pflegekraft könnten also mit der fachlichen Intuition und Risikoeinschätzung auch erwartbare Stürze erspüren. Selbstverständlich stützen wir uns bei diesem Praxisleitfaden auf den aktuellen Expertenstandard und möchten mit Wissen, Methoden, Erklärungen und Instrumenten den Pflegekräften dazu verhelfen, mit der Thematik sicher und praktisch umgehen zu können. Wir führen keine Feldforschungen durch, wir nutzen bereits vorhandenes Material, auch wenn dies nur Erkenntnisse aus durchgeführten Studien sind. Für uns steht die praktische Umsetzung aufgrund des aktuellen Wissensstands im Vordergrund, damit Ihre Kunden die bestmögliche Prophylaxe erfahren, weil Sie und Ihre Kollegen reflektiert mit diesem Thema umgehen.
Ein Wort zur Umsetzung in der ambulanten Pflege. Zu Recht wird von den Pflegenden angegeben, dass die Umsetzung schwierig ist, sei man doch unter Umständen nur ein paar Minuten in der Wohnung des Patienten. Trotzdem gibt es interessante Erkenntnisse, die Sie in der Praxis nutzen können.
Allen mit dem Thema beschäftigten Pflegekräften ist die Problematik der stringenten Umsetzung des Expertenstandards bewusst. Die Aufgabe der Pflegefachkräfte besteht unserer Ansicht nach in dem Wissen um die Zielsetzung des Expertenstandards, die entsprechende Beratung, Schulung und Information des Betroffenen und seiner Angehörigen sowie in der Unterstützung, die Sturzgefahr einzudämmen, sowie die Folgen eines Sturzes einzugrenzen. Dies kann die Pflegefachkraft nur leisten, wenn sie die sturzgefährdenden Faktoren erkennt, herausfiltert, sie dokumentiert, reflektiert und entsprechend nach Absprache mit dem Betroffenen in der Versorgung berücksichtigt.
1. Expertenstandard zur Sturz - prophylaxe in der Pflege
Ohne diesen Standard geht nichts mehr in der Pflege, besonders dann nicht, wenn die Einrichtung Wert darauf legt, sach- und fachgerechte Sturzprophylaxe durchzuführen und nachweisen zu können. Auch in Bezug auf die haftungsrechtliche Seite der Sturzprophylaxe ist die Berücksichtigung der Angaben aus dem aktuellen Expertenstandard mehr als interessant; er kann für eine Einrichtung überlebenswichtig sein. Damit Mitarbeiter an der Basis die Struktur und den Hintergrund dieses Expertenstandards verstehen, brauchen Sie eine Anleitung für die Umsetzung. Diese Anleitung halten Sie hier in der Hand.
1.1 Zum Verständnis eines Expertenstandards
Immer noch finden in den Einrichtungen, besonders in den Führungsetagen, Diskussionen statt, ob und wenn, dann warum die Expertenstandards überhaupt relevant seien. Schließlich achtet die Einrichtung auch ohne irgendeinen Expertenstandard auf die Einhaltung von Qualitätsstandards. Das mag durchaus so sein, allerdings nicht begründet. Wir Pflegefachkräfte an der Basis und in den Führungsetagen können uns sehr glücklich schätzen, dass es die Möglichkeit gibt, unsere Arbeit nach tatsächlich evaluierten Ergebnissen auszurichten.
Daher wird hier auf verständliche Art und Weise die Relevanz der Expertenstandards dargestellt. In vielen Fort- und Weiterbildungen wurde deutlich, dass erst einmal die Struktur und der Hintergrund dieser Standards erklärt werden muss. Das Wissen ist also nicht als vorhanden vorauszusetzen. Der Leser wird merken, dass es einen sehr gut nachvollziehbaren logischen Denkprozess hinter der anscheinend arg theoretischen Struktur des Standards gibt, der im Laufe der nächsten Seiten positiv überraschen wird. Die Autorinnen fangen mit den meist gehörten Vorurteilen zum Thema „Umsetzung eines Expertenstandards" an:
1. Vorurteil: Welche pflegefremden Menschen meinen eigentlich, sich als sogenannte „Experten" zu verkaufen, um uns Pfl egenden zu sagen, wie wir arbeiten sollen?
Antwort: Jeder von uns Pflegenden kann sich um die Teilnahme an der Erarbeitung eines Expertenstandards bewerben. Denn die Experten sind tatsächlich Fachexperten des jeweiligen Gebiets. Personen wie Pflegende gehören dazu. Selbstverständlich arbeiten auch Ärzte,Apotheker etc. mit, das ist befruchtend und nicht abwertend zu betrachten. Dozenten und Leitungen kommen hinzu, denn jemand muss über die Neuerungen in den Einrichtungen auch Auskunft geben können.
2. Vorurteil: So ein theoretisches Konstrukt lässt sich sowieso nicht umsetzen, da niemand versteht, wie es geht.
Antwort: Das theoretische Konstrukt lässt sich leicht erklären. Dann wird deutlich, dass im Expertenstandard lediglich Zielsetzungen zu lesen sind, keine Pfl egemaßnahmen. Die Autorinnen haben die Erfahrung gemacht, dass Pfl egekräfte schnell in der Lage sind, das „theoretische Konstrukt" zu verstehen und umzusetzen.
3. Vorurteil: Überall steht, dass man den Expertenstandard umsetzen soll. Wie soll eine Tabelle nachweislich umgesetzt werden?
Antwort: Die Tabelle kann so nicht umgesetzt werden, die einzelnen Zielsetzungen müssen für die Einrichtung konkret heruntergebrochen werden.
4. Vorurteil: Wenn man davon ausgeht, dass alle alten Menschen sturzgefährdet sind, komme ich ja vor lauter Sturzrisikoermittlung gar nicht mehr zu meiner Arbeit.
Antwort: Es sind nicht alle alten Menschen automatisch sturzgefährdet. Es muss erst einmal die Möglichkeit gegeben sein, stürzen zu können. Ein immobiler Mensch ist daher nicht unbedingt sturzgefährdet, auch wenn mehrere Risikofaktoren zutreffen. Die Pflegefachkräfte sollten sich also auf die Gruppe der Personen konzentrieren, welche de facto einem Sturzrisiko ausgesetzt ist. Pflegefachkräfte führen eine fachliche Einschätzung, also eine Sturzrisikoermittlung durch, indem sie den Kunden und seine eigene Einschätzung von Gefahrenmomenten kennen. Es gibt keine Risikofaktoren, die durch eine Zählfunktion zu einem Ergebnis führen und dadurch erkennbar würde, wie hoch dieser Mensch gefährdet ist.
1.2 Wie entsteht ein Expertenstandard?
Die Entwicklung besteht aus mehreren Schritten:
1. Schritt der Entwicklung: Das Thema muss die Pflegepraxis beschäftigen und zwangsläufig zu einer Verbesserung des derzeitigen Sachstands führen. Um seiner selbst willen wird ein Expertenstandard nicht entwickelt und erarbeitet.
2. Schritt der Entwicklung: Die Expertengruppe setzt sich zusammen. Den Vorsitz führt eine entsprechende Universität, Hochschule oder Fachhochschule. Die Expertengruppe wird unter anderem durch Ausschreibungen in der Fachliteratur (Altenpflege, Heilberufe u. v. m.) ausgeschrieben. Die Leser können sich dann bewerben, um in der Arbeitsgruppe mitzuwirken.
3. Schritt der Entwicklung: Ein Entwurf entsteht. Die ausgesuchten Fachleute inspizieren Fachliteratur und filtern die wichtigen und plausiblen Informationen heraus, die zur weiteren Bearbeitung wichtig sind. Der Entwurf entsteht in dem vorgegebenen Strukturrahmen.
4. Schritt der Entwicklung: Planung und Durchführung der sogenannten Konsensuskonferenz . Der Expertenstandard wird diskutiert, Verbesserungen werden vorgeschlagen, dies alles dient der Konsensusfindung. Nun werden auch Referenzeinrichtungen angefragt, denn der vorliegende Standard muss sich in der Praxis als sinnvoll erweisen. Mehrere Einrichtungen probieren nun die Umsetzung aus.
5. Schritt der Entwicklung: Nach der Versuchsphase treffen die Experten wieder zusammen, damit Optimierungen einfließen können.
6. Schritt der Entwicklung: Die Ergebnisse führen zu einer vorläufigen Fertigstellung. Vorläufig deshalb, weil jeder Expertenstandard nach mindestens fünf Jahren aktualisiert werden soll.
Das Vorgehen zur Aktualisierung dieses Standards hat eine Abweichung zum oben genannten Ablauf. In diesem Fall wurde eine Vorabveröffentlichung im Internet zur Verfügung gestellt. Es bestand der Aufruf an die Fachöffentlichkeit, Stellungnahmen zum aktuellen Stand abzugeben. Von diesem Vorschlag machten 32 Fachgesellschaften, Organisationen, Pflegeteams und Einzelpersonen Gebrauch (DNQP 2013).
Nun, nach abgeschlossener Bearbeitung des Expertenstandards im Januar 2013, haben die Professionen die Aufgabe der Berücksichtigung in den Einrichtungen. Ein Expertenstandard gilt immer noch als ein sogenanntes „vorweggenommenes Sachverständigengutachten ". Jede Einrichtung tut gut daran, die darin formulierten Ziele anzustreben. Achtung: In manchen Aktualisierungen, so auch in dieser Überarbeitung, treten Angaben auf, die mit den vorherrschenden Prüfungsunterlagen des MDK nicht mehr konform gehen.
„Mitte 2008 in Kraft, gab es mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz einigen Wirbel in der Pflegeszene. Hier hat der Gesetzgeber die Entwicklung und Aktualisierung von Expertenstandards den Vertragsparteien auf der Bundesebene, also den Vertretern von Pflegeeinrichtungen und Pflegekassen übertragen. Was bedeutet dies genau für die bestehenden und weiteren Expertenstandards? In dem Gesetz heißt es in § 113a, dass Expertenstandards auf der Basis einer Verfahrensordnung zu entwickeln und aktualisieren sind. Diese Verfahrensordnung ist sehr eng an das Vorgehen des DNQP angelehnt. Neu ist, dass Themen nun von den Vertragsparteien in Auftrag gegeben werden können, sinnvollerweise im Rahmen einer öffentlichen Ausschreibung. Hierauf kann sich das DNQP ebenso wie andere Institutionen bewerben. Der Auftrag wird dann durch die Vertragsparteien vergeben" (Interview mit Andreas Büscher, Die Schwester Der Pfleger 2012, S. 1040).
1.3 Struktur des Nationalen Expertenstandards Sturzprophylaxe gemäß DNQP
Der Expertenstandard ist in die sogenannten drei Qualitätsebenen untergliedert. Dies dient der Übersichtlichkeit, aber auch der einfacheren Anwendung in der Umsetzung. Hier stellt sich nun der Expertenstandard zur Sturzprophylaxe vor. Danach erklärt sich die Darstellung fast von selbst. Am Anfang befindet sich eine Präambel zum Thema. Eine Präambel ist ein Vorwort. Sie steht am Anfang eines Buches oder z. B. eines Gesetzes. Eine Präambel gibt Auskunft über den Inhalt und den Zweck des Buches. Oft wird sie in „gehobener" Sprache verfasst.
Expertenstandard Sturzprophylaxe in der Pflege,
1. Aktualisierung
Herausgeber: Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (2013)
Autoren: Expertenarbeitsgruppe „Sturzprophylaxe" Prof. Dr. Cornelia Heinze (Wiss. Leitung), Prof. Dr. Jürgen Härlein, Siegfried Huhn, BScH, Dr. Markus Mai, Horst Mühlberger, Katrin Nitsch, Dipl.-Pflegewirt (FH) Ulrich Rißmann, Dipl.-Pflegewirtin (FH) Andrea van Schayck, Wolfgang Schuldzinski, Dr. Michael Simon, Jens Ullmann, Helga Walter, Dipl.-Pflegewirt (FH) Josef Weiß
„Präambel zum Expertenstandard
Jeder Mensch hat ein Risiko zu stürzen, sei es durch Unachtsamkeit oder bei einer sportlichen Betätigung. Über dieses alltägliche Risiko hinaus gibt es aber Stürze, deren Ursache im Verlust der Fähigkeit zur Vermeidung eines Sturzes liegt. Den betroffenen Patienten/ Bewohnern, überwiegend ältere Menschen oder Menschen mit reduziertem Allgemeinzustand, gelingt es nicht mehr, den Körper in Balance zu halten oder ihn bei Verlust des Gleichgewichts wieder in Balance zu bringen bzw. Sturzfolgen durch intakte Schutzreaktionen zu minimieren. Physische Auswirkungen von Stürzen reichen von schmerzhaften Prellungen über Wunden, Verstauchungen und Frakturen bis hin zum Tod. Zu den möglichen psychischen Folgen zählt vor allem der Verlust des Vertrauens in die eigene Mobilität. Durch die physischen und/oder psychischen Sturzfolgen kann es schließlich zu einer Einschränkung des Bewegungsradius kommen und somit schlimmstenfalls zur sozialen Isolation.
Definition
Im vorliegenden Expertenstandard ist mit Sturzrisiko grundsätzlich das erhöhte Sturzrisiko gemeint, das über das alltägliche Risiko zu stürzen, hinausgeht. In Anlehnung an die WHO (2007) wird im Expertenstandard die folgende Definition zugrunde gelegt: ‚Ein Sturz ist ein Ereignis, bei dem der Betroffene unbeabsichtigt auf dem Boden oder auf einer anderen tieferen Ebene aufkommt.‘
Hiermit sind auch Stürze gemeint, in deren Folge die Betroffenen den Boden oder die tiefere Ebene nicht mit dem ganzen Körper berühren, sondern dort auch beispielsweise sitzen oder hocken. Häufig kann im Beisein von Pflegefachkräften ein Sturz soweit abgefangen werden, dass es nicht zu einer Berührung des Körpers mit dem Boden kommt. Diese ‚Beinahestürze‘ geben wichtige Hinweise auf zugrunde liegende Risikofaktoren, wie eine beeinträchtigte Balance oder eine orthostatische Hypotonie, wie z. B. nach dem Aufstehen. Die Expertenarbeitsgruppe hat sich darauf geeinigt, dass Beinahestürze nicht als Stürze zu definieren sind, aber im pflegerischen Alltag im Rahmen der Risikoeinschätzung berücksichtigt werden sollen.
Zielsetzung
Der Expertenstandard hat zum Ziel, Pflegefachkräfte sowie Pflege- und Gesundheitseinrichtungen dabei zu unterstützen, basierend auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und Expertenmeinungen, Stürzen vorzubeugen und Sturzfolgen zu minimieren. Dieses Ziel ist allerdings nicht durch eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit zu erreichen, sondern vielmehr durch die Erhaltung bzw. Wiederherstellung einer größtmöglichen, sicheren Mobilität von Patienten/ Bewohnern, verbunden mit einer höheren Lebensqualität. Die Expertenarbeitsgruppe spricht sich daher gegen jegliche Form freiheitsentziehender Maßnahmen zum Zwecke der Sturzprophylaxe aus.
Anwender des Expertenstandards
Der Expertenstandard Sturzprophylaxe richtet sich an alle Pflegefachkräfte, die Patienten/Bewohner entweder in der eigenen häuslichen Umgebung oder in einer Einrichtung der stationären Gesundheitsversorgung betreuen. Wenn im Expertenstandard von Einrichtung die Rede ist, so ist damit auch die häusliche Pflege gemeint, wohlwissend, dass dort nicht alle Interventionen, vergleichbar mit einem Krankenhaus oder einer stationären Pflegeeinrichtung, durchgeführt werden können.
Zielgruppen
Der Expertenstandard bezieht sich auf alle Personen, die sich kurz- oder langfristig in pflegerischer Betreuung befinden. Hierbei sind explizit alle Altersgruppen gemeint, sowie spezifische Gruppen, zum Beispiel Menschen mit Behinderungen. Aufgrund der Studienlage lässt sich ableiten, dass sich die im Standard beschriebenen Sturzrisikofaktoren auch auf Kinder oder Personen mit Behinderungen beziehen lassen. Die limitierte Anzahl an Interventionsstudien lässt allerdings bezüglich letztgenannter Personengruppen keine spezifischen Schlussfolgerungen zu sturzprophylaktischen Maßnahmen zu.
Aktualisierung des Expertenstandards
Der ersten Aktualisierung des Expertenstandards liegt eine ausführliche Recherche der nationalen und internationalen Literatur von September 2004 bis September 2011 zugrunde. Ausgeschlossen von der Recherche waren Studien zu Interventionen, die primär zum ärztlichen Verantwortungsbereich gehören, wie die Verschreibung von Medikamenten (z. B. Vitamin D) oder chirurgische Eingriffe (z. B. Kataraktoperationen). Es liegen Aussagen zur Epidemiologie des Sturzgeschehens, seiner Ursachen und Risikofaktoren sowie zur Risikoeinschätzung und zur Wirksamkeit präventiver Interventionen vor. Darüber hinaus wurden Studien zu Anforderungen an eine angemessene Beratung zur Sturzprophylaxe, vor allem aus Sicht der Betroffenen, und Aspekte zu relevanten Kontextbedingungen für die Umsetzbarkeit sturzprophylaktischer Maßnahmen in Organisationen recherchiert. Trotz der hohen Anzahl der in die Literaturanalyse einbezogenen Studien (275 Beiträge) lassen sich nur bedingt eindeutige Schlussfolgerungen für die Art und Weise der pflegerischen Einschätzung des Sturzrisikos und der Planung und Durchführung sturzprophylaktischer Maßnahmen ziehen. Beispielsweise liegen zu den präventiven Interventionen teilweise widersprüchliche Ergebnisse vor, oder sie sind nicht bei jeder Adressatengruppe gleichermaßen effektiv. Ein wesentlicher Grund hierfür ist sicherlich das multifaktorielle Geschehen, das zu einem Sturz führt und entsprechend komplexer Interventionen bedarf.
Interventionen zur Sturzprophylaxe können maßgeblichen Einfluss auf die Lebensführung von Patienten/Bewohnern haben, z. B. durch eine Umgebungsanpassung, die Empfehlung für spezielle Schuhe oder Hilfsmittel, die Aufforderung, nur mit Hilfestellung auf die Toilette zu gehen, oder das Besuchen von Kursen zur Förderung von Kraft und Balance. Aus diesem Grund ist es notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Sturzprophylaxe, das Selbstbestimmungsrecht von Patienten/Bewohnern zu achten und zu unterstützen. Eine wichtige Grundlage dafür ist die umfassende Information und Beratung von Patienten/Bewohnern und ihren Angehörigen über das vorliegende Sturzrisiko und die möglichen Interventionen im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung. Mit Einverständnis der Patienten/Bewohner sollten die Angehörigen grundsätzlich in die Information, Beratung und Maßnahmenplanung eingebunden werden.
Voraussetzung für die Implementierung des Expertenstandards
Voraussetzung für die erfolgreiche Implementierung des Expertenstandards Sturzprophylaxe in den Einrichtungen ist die gemeinsame Verantwortung der leitenden Managementebene und der Pflegefachkräfte. Notwendige strukturelle Voraussetzungen, z. B. das Angebot von Fortbildungen für Pflegefachkräfte und hauseigenen Interventionen oder die Umsetzung von Umgebungsanpassungen in stationären Einrichtungen, sind von der leitenden Managementebene (Betriebsleitung und Pflegemanagement) zu gewährleisten.
Die Aufgabe der Pflegefachkraft besteht im Erwerb aktuellen Wissens, um Patienten/Bewohner mit einem erhöhten Sturzrisiko identifizieren und entsprechende Interventionen einleiten zu können sowie bei Bedarf zusätzliche notwendige Strukturen einzufordern und dies fachlich begründen zu können.
Die berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit, beispielsweise mit den therapeutischen Berufsgruppen oder den Ärzten, ist maßgeblich für ein effektives Interventionsangebot. Auf der Grundlage der jeweiligen professionsspezifischen Qualitätsinstrumente (z. B. Leitlinien, Standards) können dann gemeinsame Vorgehensweisen vereinbart werden. Der konsequente Einbezug sowie eine umfassende Information der beteiligten Berufsgruppen ist dafür eine wesentliche Voraussetzung" (DNQP 2013; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des DNQP).
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Autoren-Porträt von Anke-Petra Kasimir, Claudia Fröbel
Anke-Petra Peters ist Qualitätsmanagerin, Dozentin und Beraterin in vielen Pflegeeinrichtungen. Zudem ist sie als Fachbuchautorin und Gutachterin tätig.Claudia Fröbel ist in der stationären Altenpflege tätig. Als Qualitätsbeauftragte, durch ihre Tätigkeiten auf Leitungsebene sowie als Gutachterin machte sie Erfahrungen in der Umsetzung von Expertenstandards.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Anke-Petra Kasimir , Claudia Fröbel
- 2013, 124 Seiten, 29 Abbildungen, Maße: 12,1 x 16,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Kohlhammer
- ISBN-10: 317022266X
- ISBN-13: 9783170222663
- Erscheinungsdatum: 02.09.2013
Rezension zu „Sturzprophylaxe “
Anke-Petra Peters ist Qualitätsmanagerin, Dozentin und Beraterin in vielen Pflegeeinrichtungen. Zudem ist sie als Fachbuchautorin und Gutachterin tätig. Claudia Fröbel ist in der stationären Altenpflege tätig. Als Qualitätsbeauftragte, durch ihre Tätigkeiten auf Leitungsebene sowie als Gutachterin machte sie Erfahrungen in der Umsetzung von Expertenstandards.
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