Liebesglück in Tirol
Willkommen im Glück dies sind Name und Programm von Rosas Pension in den Tiroler Bergen. Ob beim ersten Liebeskummer oder bei den Stolpersteinen im Ehealltag für ihre Gäste hat die hübsche Pensionswirtin stets die passende Lösung. Nur sie selbst hat einfach...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Liebesglück in Tirol “
Klappentext zu „Liebesglück in Tirol “
Willkommen im Glück dies sind Name und Programm von Rosas Pension in den Tiroler Bergen. Ob beim ersten Liebeskummer oder bei den Stolpersteinen im Ehealltag für ihre Gäste hat die hübsche Pensionswirtin stets die passende Lösung. Nur sie selbst hat einfach kein Glück in der Liebe. Schon seit Jahren schwärmt sie für ihren attraktiven Jugendfreund Christian. Doch dann steht Florian mit den stechend blauen Augen und dem verführerischen Lächeln vor ihr. Er erobert sie im Sturm und bringt ihr ruhiges Leben völlig durcheinander. Doch ausgerechnet Christian misstraut dem Liebesglück. Hat er doch Gefühle für Rosa? Wem kann sie noch vertrauen und wer meint es wirklich ehrlich mit ihr?
Großdruck
Lese-Probe zu „Liebesglück in Tirol “
Andrea Eichhorn - Liebesglück in Tirol1
Liebe Frau Blauensteiner, unser diesjähriger Urlaub
bei Ihnen war so schön, dass wir – gestern
erst nach Stuttgart zurückgekehrt – bereits wieder
Heimweh nach den traumhaften Tiroler
Bergen haben! Deshalb (und da wir wissen, wie
schnell die entzückenden zehn Zimmer Ihrer
Pension ausgebucht sind) wollen mein Mann
und ich für dieses Jahr in den ersten drei Juliwochen
»unser« Zimmer »Glücksgefühl« reservieren.
Übrigens, dass eine so umwerfend hübsche
und sympathische Frau wie Sie Single ist, kann
ich nicht länger hinnehmen! Ich werde alle verfügbaren
attraktiven Männer in meiner Bekanntschaft
durchgehen und nach Kirchberg in
Tirol schicken! Machen Sie sich auf etwas gefasst!
Herzliche Grüße
Ihre treuen Gäste und Wahl-Tiroler Bernd und
Grit Jakobs
Huch, bei so viel Überschwänglichkeit wurde
einem
ja ganz schwindelig! Als Rosa bei den
letzten
Sätzen der E-Mail angelangt war, konnte
sie nicht anders, als laut loszuprusten. Vom
gegenüberliegenden
Schreibtisch streckte Kathi
ihren Kopf mit dem schicken kupferroten
Kurzhaarschnitt hinterm Bildschirm hervor.
»Was gibt’s denn bei dir Lustiges, das dich so
zum Lachen bringt?«
Ihr breites Grinsen ließ kaum einen Zweifel
daran, dass sie für eine kleine Abwechslung äußerst
dankbar war. Bereits seit einer Stunde mühte
sie sich durch die aktuelle Buchhaltung von
Rosas Ferienpension, kam bis jetzt aber auch
nicht so richtig weiter. Einigermaßen seltsam das
Ganze … »Irgendwas stimmt nicht mit der Abrechnung
«, hatte ihr die alte Schulfreundin zwei
Tage zuvor bei einer Tasse Kaffee erzählt. Rosa
hatte nicht den blassesten Schimmer, warum sich
eine Summe von fast zweitausend Euro
... mehr
scheinbar
in Luft aufgelöst hatte.
»Ich schau’s mir an«, hatte sie, ohne auch nur
eine Sekunde zu zögern, erwidert.
Dafür war ihr Rosa mehr als dankbar. Nun ja,
im Grunde war es ihr auch total unangenehm,
denn Kathi ließ sich dafür keinen Cent zahlen,
höchstens mit frischem Strudel belohnen. Als
Besitzerin eines gut besuchten Friseursalons im
Nachbarort Kitzbühel hatte sie an ihrem freien
Montag bestimmt weitaus Besseres zu tun, als
vor der Abrechnung der »Willkommen im
Glück«-Pension zu versauern. Aber das war eben
Kathi, wie sie leibte und lebte: Wenn sie von etwas
überzeugt war, ließ sich die zarte Powerfrau
nur sehr selten davon abbringen. »Du weißt ja,
ich kann nicht nur gut mit Haaren, sondern auch
ganz passabel mit Zahlen – und außerdem krieg
ich bei dir den besten Apfelstrudel von ganz
Tirol«, war ihr abschließender Kommentar dazu
gewesen.
Der im Übrigen keinen Widerspruch duldete.
Jetzt schaute sie ihre Freundin wissbegierig an,
musste aber warten, bis die sich einigermaßen beruhigt
hatte. »Die Leute machen sich einfach
ganz schön viele Gedanken um meinen – wie sagt
man heute so schön – ›Beziehungsstatus‹ …«, erklärte
die schließlich.
Beim letzten Wort malte sie grinsend Gänsefüßchen
in die Luft. Die andere verzog fast enttäuscht
den Mund. »Geht’s auch ein bisserl genauer?
«
Rosa nickte und las die nett gemeinte »Drohung
« von Grit Jakobs laut vor. »Oh … na, dann
mach dich mal auf was gefasst!«, lachte Kathi
derartig schallend, dass ihre kupferroten Fransen
geradezu vibrierten.
»Ist dann wohl bald endgültig vorbei mit deinem
ruhigen Mauerblümchendasein …«
Und mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu:
»Vielleicht schafft diese Frau Jakobs das
schier Unmögliche und holt dich mit einem feschen
Prinzen raus aus dem Dornröschenschloss
… hinter der dichten, dichten Dornenhecke
… mir ist das ja bis jetzt nicht gelungen.«
Die andere verdrehte ihre großen braunen Augen.
Jetzt kam das schon wieder! Kathi, die seit
fast sechs Jahren mit ihrem Johann in einer zwar
turbulenten, aber nichtsdestotrotz, davon war sie
fest überzeugt, ausnehmend glücklichen Beziehung
lebte, konnte einfach nicht begreifen, dass
ihre Freundin auch alleine recht zufrieden war.
Insgeheim vermutete Rosa sogar, dass sie in ihrem
Kitzbüheler Friseursalon heimlich eine Liste
führte, welcher Kunde für ihre Single-Freundin
in Betracht kam – vielleicht sogar mit
Sternchen-Bewertung wie bei den Hotels, das
wäre ihr durchaus zuzutrauen. Und wofür Kathi
die meisten Sternchen vergab, wollte sie gar nicht
wissen … Wäre sie jetzt Frau Jakobs, hätte sie
hinter diesem Gedanken bestimmt mindestens
ein Smiley platziert. Apropos Frau Jakobs: Die
resolute Stuttgarterin war höchstwahrscheinlich
die leidenschaftlichste Kupplerin, aber beileibe
nicht die einzige. Auch andere Feriengäste,
Freunde und Bekannte wollten genau den »Richtigen
« für Rosa an der Angel haben. Es war zum
Verzweifeln – oder einfach nur zum Totlachen.
Tja, augenscheinlich gab sie ein ziemlich jämmerliches
Bild vor ihren Mitmenschen ab, da brauchte
sie sich gar nichts vorzumachen. Dabei hatte
sie sich bereits seit einiger Zeit heimlich geschworen:
Noch ein einziges arrangiertes Date von irgendwem,
und sie würde mindestens einen mittleren
Schreikrampf kriegen! »Brauchst dir keine
Sorgen um mich machen. Irgendwann lerne ich
bestimmt jemanden kennen, bei dem’s ›Zoom‹
macht – so wie in ›Tausendmal berührt‹ oder wie
das Lied auch immer heißen mag«, erklärte sie
jetzt bemüht locker und vertiefte sich scheinbar
wieder in ihre E-Mails. »Passt ja für dich wie die
Faust aufs Auge«, ließ sich Kathi jetzt vom anderen
Schreibtisch halblaut vernehmen.
Unwillkürlich musste sie schlucken. Mist, sie war
ja selbst schuld, dass sie ausgerechnet mit diesem
Lied dahergekommen war … geradezu eine Einladung
an Kathi, um auf Rosas äußerst peinliche
Verliebtheit in Christian anzuspielen, den sie beide
seit der Schulzeit kannten. Die Unmengen von
kitschigen Herzchen, die in ihren Augen jahrelang
wie betrunken auf und ab getanzt hatten,
waren ja für jeden offensichtlich. Und absolut
jämmerlich, wie sie sich nun selbst eingestehen
musste. Obwohl sie sich dagegen wehrte, schob
sich wieder einmal das Bild des großen, schlaksigen
Mannes vor ihr inneres Auge. Warum nur,
warum, stöhnte sie innerlich auf. Langsam reichte
es wirklich! Aber nein, da war er! Dunkelblond,
mit dem charakteristischen Wirbel über
der Stirn, wodurch seine Haare immer ein wenig
widerspenstig wirkten, sah sie den Gynäkologen
aus Kitzbühel vor sich stehen. Mit dummerweise
wahnsinnig schönen grüngrauen Augen und
diesem ehrlichen und doch so verheißungsvollen
Lächeln, das wie auf Knopfdruck Gänsehaut auf
ihre Arme zauberte. »Für immer und ewig bleiben
wir die besten Freunde der Welt«, hatte er als
Sechzehnjähriger zu ihr gesagt, wie sie nebeneinander
auf einer Kitzbüheler Alm im Gras gesessen
hatten.
Und sie? Sie hatte eifrig genickt, wie so ein belämmerter
Wackeldackel, obwohl sie doch schon
damals längst bis über beide Ohren in den feschen
Burschen verknallt gewesen war. Danach
hatte er sie ganz seltsam angeschaut, während sie
mit eher bescheidenem Erfolg versucht hatte, die
rasant aufsteigenden Tränen wegzublinzeln. »Die
Sonne blendet total stark«, hatte sie schließlich
hektisch erklärt und war aufgesprungen. Danach
hatte sie sich besser im Griff gehabt, jahrelang
nichts anderes behauptet, als dass sie in ihm wirklich
nur einen guten Kumpel sah. Also offiziell
rein gar nix mit »Zoom gemacht« … Sogar Kathi,
vor der sie sonst keine Geheimnisse hatte,
wollte sie nichts von ihren Gefühlen erzählen.
Und insgeheim – wie dusselig war das denn? –
hatte sie nichtsdestoweniger immer auf ein
Zeichen
von Christian gewartet. Auch als er in
München Medizin studiert hatte. Und dann –
trara! – als er im letzten Jahr nach Kitzbühel zurückgekommen
war, hatte dieses Zeichen direkt
vor ihrer Nase auf endlos langen Giraffenbeinen
gestanden: In Gestalt von Ines, Christians ehemaliger
Studienkollegin und aktueller Lebensgefährtin,
die sich nun im Krankenhaus von Kitzbühel
zur Kinderärztin ausbilden ließ. »Es war
nur eine dumme, kleine Schwärmerei«, hatte sich
Rosa bestimmt tausendmal wie ein Mantra im
Stillen vorgebetet.
Und es irgendwann sogar selbst ein wenig geglaubt.
Ja, sie konnte eigentlich recht zufrieden
sein, denn mit jedem Tag tat es ein bisschen weniger
weh. Kleine Rückschritte gab es nur, wenn
Christian ihr begegnete. Der hatte ja zum Glück
immer noch keine Ahnung, streute ihr so aber
auch unwissentlich bei jeder seiner innigen Umarmungen
so richtig schön Salz in die Wunden.
Und danach spürte sie immer einen seltsamen
Druck auf der Brust, der sich erst nach Stunden
verflüchtigte. Kein Wunder, dass sie ihrem »Kumpel
« inzwischen so weit wie möglich aus dem
Weg ging. Und dass er, wenn sie ihm wieder mal
absagte, darüber ziemlich niedergeschlagen zu
sein schien, das war ausnahmsweise einmal nicht
ihr Problem.
Sie atmete tief durch, spürte verärgert, wie sich
ihr Puls gehörig beschleunigt hatte. Auch jetzt,
obwohl sie die Sache mit Christian endlich überwunden
hatte, tat es ihr nicht gut, an ihn zu denken.
Schnell schaute sie aus dem geöffneten Fenster,
atmete einige Male tief durch, konzentrierte
sich auf den Ausblick … ja, viel, viel besser. Immer
wieder herrlich war es für sie, ihre idyllische
Heimat zu betrachten, die Berge und Almen, die
einfach wunderschön, geradezu wie eine Postkartenidylle
aussahen. Und wieder mal freute sie
sich darüber, was für einen fantastischen Ausblick
sie von ihrem Bürofenster im ersten Stock
hatte. Die kleine Pfarrkirche mit dem schlanken,
hohen Kirchturm vor ihr, dahinter der Gaisberg
mit seinen jetzt im Mai besonders frischen grünen
Wiesen. Und darüber thronte eine strahlende
Sonne am nahezu wolkenlosen blauen Himmel.
Nach den letzten Regentagen meinte sie es
nun endlich gut mit den Urlaubern, die zum
Wandern nach Tirol gekommen waren und bereits
ein wenig missmutig aus der Wäsche geschaut
hatten.
Für einen Moment schloss Rosa die Augen,
während sie sich bemühte, der Wahrheit ins Gesicht
zu sehen. Okay, vielleicht war diese dumme
Schwärmerei für Christian wirklich nicht ganz
unschuldig an ihrem Single-Dasein gewesen. So
richtig verliebt hatte sie sich bis jetzt in keinen
anderen Mann. Und Affären waren auch absolut
nicht ihr Ding, wie sie sich nach einem eher desaströs
verlaufenen One-Night-Stand hatte eingestehen
müssen. Sie wagte einen kurzen Blick
Richtung Kathi. »Das, was du meinst, ist schon
lange vorbei. Schnee von gestern, was sag ich,
von vorgestern sozusagen«, murmelte sie.
Prompt lachte ihre Freundin ungläubig auf.
»Bitteschön, wenn du das so sagst …«
»Es ist aber wirklich so!«, erklärte die andere
vielleicht einen Hauch zu energisch.
Mist, sie merkte ja selbst, dass sie sich dabei wie
ein trotziges Kind anhörte. Nein, so machte sie
die Sache wirklich nicht besser. Aber ehrlich über
Christian zu reden, das schaffte sie einfach nicht.
Herrje, sie musste endlich an etwas anderes denken,
am besten an jemand anderen … und wirklich,
auf einmal breitete sich ein angenehmes
Gefühl
in ihrer Brust aus. Sicher, bis jetzt war
alles
völlig unverfänglich gewesen. Poetischere
Menschen als sie würden es vielleicht als »zartes
Pflänzchen« bezeichnen. Aber ehrlich gesagt war
es nicht mal das. Bloß ein paar nette Gespräche
und eine sehr herzliche Umarmung zum Abschied
… und nun ein paar E-Mails und Anrufe,
völlig freundschaftlich gehalten. Eigentlich gar
nicht erwähnenswert, außer man war ein dreizehnjähriger
weiblicher Teenager, der Jungs endlich
nicht mehr doof fand und auf den ersten Kuss
hoffte … und dennoch, der Mann schien sie zu
verstehen, konnte offenbar bis auf den Grund ihrer
Seele schauen, obwohl sie sich kaum kannten.
Da schnalzte Kathi auf einmal mit der Zunge.
»Vielleicht sollten wir dir die Haare blond färben,
das wirkt wie ein Magnet auf die Mannsbilder!«
Rosa schüttelte den Kopf, so dass ihre schulterlangen
braunen Locken nur so flogen. »Nein,
danke, ich bleib bei meiner eigenen Haarfarbe.
Und wenn du es ganz genau wissen willst …«
Sie machte eine bedeutsame Pause, und wie auf
Kommando riss ihre Freundin die Augen auf.
»Rück schon raus, Mädel! Oder ich fall auf der
Stelle tot um!«
Rosa atmete tief durch. Sie wusste gar nicht so
richtig, wo sie beginnen sollte. »Also«, fing sie
schließlich an und merkte dabei selbst, wie sie
versonnen zu lächeln begann.
Menschenskind, sie interpretierte wirklich viel
zu viel in die ganze Sache hinein. Wieder ließ sie
ihren Blick durchs Fenster nach draußen schweifen,
betrachtete die weiß-braun gefleckten Kühe,
die ganz in der Nähe auf einer Weide standen
und sich das frische Gras schmecken ließen. Melodisch
bimmelte die Glocke der Leitkuh, die
recht energisch quer über die Wiese stapfte,
offenbar duftete es dort hinten nach ganz besonders
leckeren Kräutern. Traumhaft musste es
sein, durchs frische Grün zu wandern, anstatt
hier im Büro zu hocken … Besonders mit Florian,
dem Maschinenbauingenieur aus Nürnberg
mit den breiten Schultern und äußerst attraktiven
Grübchen in den Wangen. Vielleicht würden
sie sich zwischen blauem Enzian und Almrausch
irgendwann tatsächlich küssen. So wie es vor drei
Wochen um ein Haar passiert wäre, an Florians
letztem Tag in ihrer Pension, als er sie zum Abschied
einfach in den Arm genommen hatte. Tja,
aber dann war Maria, ihre Angestellte, auf einmal
ums Eck gekommen, und weil Rosa das Gesicht
rasch zur Seite gedreht hatte, war Florians
Kuss statt auf ihrem Mund auf ihrer Wange gelandet
… »Erde an Blauensteiner! Bist du noch
unter uns?«
Schützend hielt Rosa die Hände vor den Körper,
aber zu spät. Kathi konnte es sichtlich nicht
mehr erwarten, die Geschichte serviert zu bekommen
und hatte eben einen Kugelschreiber
nach ihr geworfen. Peng, war er auf Rosas
Schulter gelandet und hatte noch dazu einen
kleinen blauen Fleck auf ihrem weiß-roten Ringelshirt
hinterlassen. »Aua! Ist ja schon gut!«,
schrie sie entrüstet, begann aber endlich zu erzählen.
Nach zehn Minuten hatte sie wohl noch jedes
klitzekleine Detail ihrer Begegnung mit Florian
geschildert. Tja, erstaunlich, die Worte sprudelten
geradezu aus ihr heraus. Während sie
erzählte, wurden Kathis Augen immer größer.
»So kenne ich dich ja gar nicht!«
Begeistert sprang sie auf und fiel der Freundin
um den Hals. »Klingt ja nach so was von Traummann
«, seufzte sie schließlich, als sie sich ein wenig
beruhigt hatte, und klang dabei verdächtig
rührselig.
Dann schob sie Rosa ein Stück von sich fort,
zwinkerte ihr nun, wieder ganz die gewohnt resolute
Friseurmeisterin, spitzbübisch zu. »War aber
auch höchste Zeit! Sonst hätte ich dir glatt den Titel
›Mauerblümchen des Jahres‹ verliehen – samt
selbst gemalter Urkunde und Plastikstatuette.«
»Na, herzlichen Dank auch!«, erwiderte Rosa
gespielt empört, musste aber sofort wieder loslachen.
»Blink!«, meldete sich genau in dieser Sekunde
ihr Computer und signalisierte so den Eingang
einer E-Mail.
Kathi hob demonstrativ eine Augenbraue.
»Vielleicht Florian?«
»Ach komm, das kann alles Mögliche sein!«
Sie winkte betont lässig ab, spürte aber gleichzeitig,
wie es in ihrem Bauch auf einmal leicht zu
kribbeln begann. »Schau doch einfach mal nach!«,
sprach da Kathi ein Machtwort und reckte hinter
ihrer Freundin den Hals, als die endlich die
Computermaus bewegte.
»Jetzt hör dir das mal an«, erklärte Rosa gleich
darauf mit einem leisen Seufzer.
Und las zum zweiten Mal an diesem Vormittag
eine E-Mail vor:
Liebe Rosa, beim Aufwachen denke ich an dich,
beim Einschlafen genauso. Und die restliche Zeit?
Tagsüber gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf,
in der Nacht träume ich von dir. Wie soll das bloß
weitergehen? Ich sag’s dir: So gar nicht! Ich will
dich nämlich reden und lachen hören und dir dabei
in deine schönen dunkelbraunen Augen sehen.
Sonst sterbe ich noch vor Sehnsucht! Ich
habe
mir eine Woche Urlaub genommen und
könnte bereits morgen vor deiner Tür stehen und
eines deiner Ferienzimmer beziehen.
»Na, der geht ja ganz schön ran!«, kicherte Kathi
los wie ein Teenager.
»Findest du?«
Sie schluckte, im ersten Moment fühlte sie sich
tatsächlich ein wenig überrumpelt. Das waren ja
ganz neue Töne. Doch das winzige Unbehagen
verschwand sofort, machte einem wohligen Gefühl
in der Brustgegend Platz. War es nicht großartig,
dass Florian sie gern hatte und keinen Hehl
daraus machte? Genau das war’s doch! Viel zu
lange hatte sie wie eine Blöde Christian hinterhergehechelt
und gehofft, dass er irgendwann das
Gleiche für sie empfinden würde wie sie für ihn.
Wie lächerlich konnte man sich denn noch machen?
Es schüttelte sie ja geradezu, wenn sie daran
dachte, wie sie bis vor Kurzem, obwohl
Christian ja mit Ines zusammenlebte, immer
noch insgeheim davon geträumt hatte, dass der
Mann quasi über Nacht in heller Liebe zu ihr
entflammen würde. Himmel auch! Kathi stieß sie
jetzt breit grinsend in die Seite. »He, das hab ich
doch nicht so gemeint! Aus mir spricht nur der
Neid, weil der Johann niemals so was Süßes
schreiben würde!«
»Aber geh! Sei doch ehrlich, wenn der Johann
mit so was Schmalzigem daherkäme, würdest du
ihm glatt einen Vogel zeigen«, antwortete sie mit
hochgezogenen Augenbrauen.
Die andere gluckste. »Hast wahrscheinlich
recht … aber wichtig ist doch, dass dir das
Schmalz gefällt … und jetzt solltest du gleich mal
antworten!«
»Ich weiß nicht so recht …«, überlegte sie laut.
Irgendwas sträubte sich noch in ihr. Es war
schließlich etwas ganz anderes, ein wenig aus der
Ferne zu flirten, als sich zu verabreden. Und
dann wollte der Mann noch eine ganze Woche
bei ihr wohnen! Okay, bei ihr wohnten zwar immer
wieder Leute, das hatte es so an sich, wenn
man eine Frühstückspension sein Eigen nannte,
aber das hier war doch etwas völlig anderes.
Huch, irgendwie lief das alles so irrsinnig schnell!
Auf einmal war sie sich gar nicht mehr sicher, ob
sie das überhaupt wollte. Vielleicht brauchte sie
noch ein bisschen mehr Zeit, um endgültig mit
Christian abzuschließen. Da räusperte Kathi sich
vernehmlich. »Übrigens … ich hab gestern in
Kitzbühel beim Bäcker die Ines getroffen.«
Sie machte eine kurze Pause, so als ob sie ihrer
Freundin die Gelegenheit geben wollte, sich zu
erinnern, wer diese Ines denn eigentlich sei.
Rosa
verdrehte die Augen – langsam reichte es
wirklich mit dem blöden Versteckspiel. »Und,
was hat sie erzählt?«, fragte sie und merkte dabei
ärgerlicherweise, wie ihre Stimme leicht zitterte.
»Sie und Christian wollen im September heiraten.
Seine Frauenarztpraxis läuft schon ganz
gut, und jetzt können sie in Ruhe ihre Traumhochzeit
planen.«
Mitfühlend strich sie der Freundin, die die
letzten Worte nur mehr wie durch einen Nebel
mitgekriegt hatte, über den Oberarm. »Ich glaub,
es wird echt mal Zeit …«
Rosa schluckte. »Wo du recht hast, hast du
recht …«
Nein, sie würde jetzt nicht zu heulen beginnen.
Stattdessen ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen,
straffte den Rücken und begann, entschlossen
zu tippen:
Lieber Florian, ich würde mich auch sehr freuen,
wenn wir uns wiedersehen. Aber bitte lass uns
nichts überstürzen! Schauen wir einfach, was die
gemeinsame Woche bringt. Auf jeden Fall steht
das Zimmer »Traumland« für dich bereit. Bis morgen
und viele Grüße …
Sie warf einen raschen Blick zu Kathi, die nickte
zustimmend. »Ist vielleicht gar nicht schlecht,
wenn du ihn ein bisschen bremst … sonst macht
er dir in drei Tagen noch einen Heiratsantrag!«
»Ha, ha … sehr witzig.«
Bevor sie es sich noch anders überlegen konnte,
drückte sie rasch auf »Senden«. »Braves Mäd-
chen«, murmelte Kathi, dann schien ihr wieder
einzufallen, warum sie eigentlich hier war.
Ausgiebig reckte sie ihre Arme über den Kopf,
setzte sich danach vor den anderen Computerbildschirm,
um ihren Blick erneut über Zahlenkolonnen
wandern zu lassen. »Was ist eigentlich
mit der Therese? Zahlst ihr noch was?«
Unmerklich zuckte Rosa bei der Nennung des
Namens ihrer fünf Jahre älteren Schwester zusammen.
Noch so eine Baustelle in ihrem Leben
… Keine Frage, es tat ihr immer noch weh,
dass Therese sie nicht besonders mochte. Und
das war noch milde ausgedrückt: Im Grunde
hasste ihre ältere Schwester sie, da brauchte sie
sich gar nichts vorzumachen. Das Äußerste, was
von ihr kam, war hin und wieder mal eine Karte
zum Geburtstag. Und trotzdem beschlich Rosa
jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn sie an
ihre Schwester dachte. »Letzten Monat … ja, genau
… im April war es das letzte Mal«, antwortete
sie jetzt und hoffte dabei inständig, dass Kathi
ausnahmsweise mal nicht ihren Senf zu diesem
Thema dazugeben würde.
Zum Glück sagte sie nichts, runzelte bloß die
Stirn. Auch so wusste Rosa, dass die Freundin ihre
Entscheidung, der älteren Schwester dreißigtausend
Euro als Ausgleich zu ihrem eigenen Erbe
in Raten zu bezahlen, im besten Falle als
unrettbar gutherzig bis völlig durchgeknallt bewertete.
Verständlich, denn Rosa konnte nun mal
nichts dafür, dass Tante Grete ihr alleine den
alten Bauernhof, der nun zur Ferienpension mit
kleinem Streichelzoo umgebaut worden war, vermacht
hatte. Als die Eltern der beiden Mädchen
vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben
waren, war Rosa erst vierzehn, Therese neunzehn
Jahre alt gewesen, hatte bereits in München
eine Modeschule besucht und dort in einem Studentenwohnheim
gelebt. So war bloß Rosa, völlig
traumatisiert nach dem plötzlichen Tod der
Eltern, zu Tante Grete in ihr altes Bauernhaus
mit den vielen Hühnern gezogen. Die um einiges
ältere Schwester des Vaters mochte vielleicht eine
einfach gestrickte und etwas bedächtige Frau
gewesen sein, aber sie hatte ihren Schützling geliebt
und umsorgt wie ein eigenes Kind, und das
junge Mädchen hatte ebenfalls sehr an der Tante
gehangen. Rosa hatte es auch gar nicht fassen
können, als Grete vor fünf Jahren mit Mitte siebzig
nach einem schweren Schlaganfall gestorben
war. Hatte der alten Frau, die sie sieben Jahre
lang wie eine Mutter behütet hatte, viele Tränen
nachgeweint. Im Gegensatz zu Therese, die Tante
Grete, in ihren Augen »ein strunzdummes
Bauernweiberl«, nie wirklich hatte besonders leiden
können.
Rosa hielt für einen Moment den Atem an. Als
ob es erst gestern gewesen wäre, sah sie die Szene
bei der Testamentseröffnung in der Kanzlei
des Notars vor sich.
Mit glühenden Wangen wetzte Therese auf dem
schweren Stuhl hin und her, konnte es sichtlich
kaum erwarten, dass Doktor Steinfellner, der
Notar von Kirchberg, endlich anfing, Tante Gretes
Testament vorzulesen. Dabei wirkte sie wie
ein aufgeregtes Schulmädchen und trotz ihrer
topmodischen, engen schwarzen Lederhose und
der hohen Stiefeletten gar nicht mehr wie die
trendige, stets coole Münchner Modedesignerin,
als die sie sich so gerne präsentierte. Dabei würdigte
sie ihre jüngere Schwester, damals einundzwanzig,
die im braven Dirndl neben ihr wie ein
Häufchen Elend hockte, keines einzigen Blickes.
»Wie lange dauert es denn noch?«, fragte sie ungeduldig
den Notar, der eben noch dabei war, seine
Unterlagen zu ordnen.
»Keine Sorge, es geht schon los.«
Steinfellner warf ihr einen kühlen Blick zu. Einen
Bruchteil einer Sekunde lang glaubte Rosa
sogar ein spöttisches Lächeln zu erkennen, das
seine Lippen umspielte. Aber vielleicht hatte sie
sich das auch bloß eingebildet. Mit ruhiger Stimme,
scheinbar ohne jede Gefühlsregung, las er
das Testament bis zum letzten Satz vor. Danach
war es einen Moment lang so ruhig in dem eichenholzgetäfelten
Raum, dass man die sprichwörtliche
Stecknadel hätte fallen hören können.
Doch schon in der nächsten Sekunde schnappte
Therese wie eine Ertrinkende nach Luft, um dann
mit hochgeschraubter Stimme loszukreischen:
»Wie bitte? Rosa erbt von der alten Schachtel alles
allein? Den ganzen Hof?«
»Exakt«, kam die Antwort des Notars wie aus
der Pistole geschossen.
Rosa warf abwechselnd ihm, dann Therese einen
entsetzten Blick zu. Ihr Magen hatte sich verkrampft,
und sie musste mehrmals schlucken, um
nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen. Heute
noch lief ihr ein eisiger Schauer den Rücken hinunter,
wenn sie an den wutverzerrten Ausdruck
im Gesicht ihrer Schwester dachte. »Alles kriegst
du! Nachdem uns unsere Eltern nichts als Schulden
hinterlassen haben … hast ja ganz wunderbar
eingefädelt … du kleine, fiese Egoistin!«
»Aber ich hab doch gar nix gewusst … und
verstehe auch nicht, warum Tante Grete das getan
hat.«
Obwohl Rosas Erklärung der reinen Wahrheit
entsprach, sprang Therese schäumend vor Wut
auf. »Wer’s glaubt, wird selig!«, zischte sie,
rauschte an Rosa vorbei, die ebenfalls aufgestanden
war.
Als sie die Jüngere grob an der Schulter streifte,
entschuldigte sie sich nicht, sondern starrte
Rosa nur hasserfüllt an. Ein scharfer Schmerz
schoss ihrer Schwester bis in die Brust, obwohl
es doch bloß ein leichter Rempler gewesen war.
Bereits am nächsten Tag schlug sie Therese die
dreißigtausend Euro als Ausgleichszahlung vor.
Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm die das
Angebot an. Und dennoch, bis heute war es offensichtlich,
dass Therese ihre jüngere Schwester
verabscheute.
»Tja, dann muss ich wohl weitersuchen«, holte
Kathi Rosa wieder in die Gegenwart zurück.
Die runzelte die Stirn. »Tut mir echt leid, dass
du dir so viel Arbeit machst!«
»Ach, das tu ich doch gern … Und jetzt werd
ich erst so richtig neugierig!«
Sie zwinkerte ein paar Mal. »Kannst mich gerne
Sherlockine Holmes nennen!«
Ihre Freundin schmunzelte, merkte auf einmal,
wie Kathi sie liebevoll anschaute. »Außerdem
bin ich total stolz auf dich, dass du die Pension
so super schupfst. Quasi aus dem Nichts
hast du es geschafft, dass jeder Gast wiederkommt,
ja am liebsten gleich bei dir einziehen
möchte!«
Rosa, der so viel Lob richtig unangenehm war,
winkte ab. »Im Grunde hab ich einfach nur viel
Glück gehabt … und supernette Gäste, die weitererzählen,
wenn es ihnen hier gefällt.«
»Aber sicher.« Kathi, die merkte, wie Rosa sich
vor Verlegenheit wand, kam wieder zur eigentlichen
Sache. »Bezahlen nicht viele auch in bar?«
»Schon, aber das Geld bringen Maria oder ich
einmal die Woche auf die Bank, und im Moment
ist nichts offen.«
»Aha, Maria …«
Energisch schüttelte Rosa den Kopf. Über ihre
Mitarbeiterin, die von Anfang an dabei war,
ließ sie nichts kommen. Seit fünf Jahren arbeitete
die sechzigjährige Witwe bei ihr; eigentlich seit
dem Eröffnungstag der Ferienpension »Willkommen
im Glück«. Von ihr war auch der Vorschlag
gekommen, die zehn Zimmer, anstatt sie
einfach zu nummerieren, mit klingenden Namen
wie »Herzenswärme«, »Kinderlachen« oder »Liebeszauber
« zu versehen. Rosa hatte die Idee umwerfend
gefunden – und erfreut gemerkt, dass sie
auch bei ihren Gästen unglaublich gut ankam.
Und jetzt war Maria so was wie das »Mädchen
für alles«, putzte die Zimmer, half beim Frühstücksbuffet
und fungierte insgesamt als die gute
Seele des Hauses. »Du, wirklich … für sie lege
ich meine Hand ins Feuer«, erklärte Rosa nun
mit Nachdruck.
Kathi setzte eben zu einer Antwort an. Doch
ausgerechnet jetzt wurde von außen die Bürotür
aufgerissen.
»Da bist du ja!«
Große blaue Kinderaugen schauten Rosa vorwurfsvoll
an und zauberten sofort ein Lächeln auf
die Gesichter der beiden Frauen. Zu niedlich sah
die fünfjährige Nele aus Köln aber auch aus in ihrem
rosa geblümten Kleiderl und mit den zwei
geflochtenen blonden Zöpfen! Wie ein kleiner
Engel, der jetzt aber eher wie ein trotziges Teuferl
die Unterlippe vorschob. »Wir wollten doch
gemeinsam zu den Kaninchenbabys gehen!«
»Aber sicher, Nele!«
Rosa beugte sich zu ihr. »Ich hab’s auch nicht
vergessen!«
»Na, dann gehen wir doch!«
Zappelig fasste ihr im Moment jüngster Gast
nach ihrer Hand. »Darf ich ihnen Namen geben?
Ich weiß auch schon ganz tolle: Murmel für das
Braune … und Schneeflocke für …«
»Das Weiße?«, fragte Kathi mit treuherzigem
Blick nach.
Nele rollte mit den Augen. »Na, logo!«
Die beiden Frauen tauschten einen raschen
Blick aus, bemühten sich, dabei ernst zu bleiben.
»Ist es okay, wenn ich dich ein bisserl allein lasse?
«, fragte Rosa die Freundin.
»Na, logo!« Kathi grinste breit, ging dann wie
bei Karate in Kampfstellung. »Mit deiner Abrechnung
werde ich auch alleine fertig.«
»Bis später!«
Rosa lachte auf und war in der nächsten Sekunde
auch schon an Neles Hand zur Tür draußen.
Die Kleine hatte es ziemlich eilig, zog sie rasant
wie auf einer Flucht den schmalen Weg zum Kaninchenstall
hinter sich her. Erstaunlich, wie
schnell so kleine Füßchen laufen konnten!
Mmmh, als sie am Kräutergarten vorbeikamen,
zog ein wunderbar würziger Duft nach Salbei,
Zitronenminze und Basilikum zu ihnen herüber.
Normalerweise hätte Rosa das Mädchen darauf
aufmerksam gemacht, aber jetzt … jetzt waren
die Kaninchen einfach interessanter, alles klar.
Auch Benno, Rosas ein Jahr altem Hovawart, der
eben noch faul in der Sonne gedöst hatte und nun
die beiden schwanzwedelnd begrüßte, wurde
von Nele ausnahmsweise bloß im Vorbeigehen
der Kopf getätschelt. Da fiel Rosa etwas ein.
»Wissen deine Eltern überhaupt, dass du bei mir
bist?«, fragte sie und blieb abrupt stehen.
Wie von grimmiger Zauberhand weggewischt,
verschwand blitzartig das eben noch so fröhliche
Lachen aus Neles Kindergesicht. »Denen ist das
doch egal … die streiten ohnehin die ganze Zeit!«
»Ach, Mäuschen …«, murmelte Rosa, strich
der Kleinen über die blonden Haare.
Ihr selbst war auch schon aufgefallen, dass sich
Neles Eltern, Doris und Klaus Reichart, seitdem
sie vor einer Woche angekommen waren, häufig
angifteten. Einmal, als sie frische Handtücher ins
Zimmer gebracht hatte, war Rosa sogar unbeabsichtigt
Zeugin eines handfesten Ehekrachs geworden.
Ungewöhnliche Kreditkartenabrechnungen
von Klaus und eine Arbeitskollegin, die
verdächtig oft in der Anrufliste seines Handys
auftauchte … Am liebsten hätte die Pensionswirtin
das alles gar nicht mitgekriegt, und besonders
tat ihr natürlich die Kleine leid. »Das wird schon
wieder«, versuchte sie zuversichtlich zu klingen,
aber die Traurigkeit wich immer noch nicht aus
Neles Blick. »Die wollen sich scheiden lassen …«,
flüsterte sie mit hängenden Schultern.
Mit einem tiefen Seufzer, den sie einfach nicht
unterdrücken konnte, schloss Rosa sie in die Arme.
»Aber, aber … so schnell lässt man sich nicht
scheiden«, flüsterte sie, spürte dabei selbst einen
dicken Knödel im Hals. »Am liebsten würde ich
bei dir bleiben, für ewig oder noch länger«, wisperte
das Mädchen.
Die Frau stupste es sanft am Kinn an. »Aber
geh, deine Mama und dein Papa haben dich doch
so lieb. Wenn du weg wärst, würden die den
ganzen Tag nur weinen!«, versuchte sie einen lockeren
Ton anzuschlagen.
»Und jetzt gehen wir zu den Kaninchenbabys,
die warten schon auf uns!«
Dafür war Nele zum Glück sofort zu begeistern.
»Und das Scheckige nenne ich Kasimir!«
»Einen schöneren Namen wüsste ich auch
nicht«, pflichtete ihr Rosa bei, erleichtert darüber,
dass die Kleine so schnell auf andere Gedanken
gekommen war.
Kurz vorm Stall kam ihnen Maria mit einem
vollen Wäschekorb in den Händen entgegen.
»Klasse, dass alles in der Sonne so schnell trocken
geworden ist, nicht wahr?«, meinte ihre Arbeitgeberin,
deutete lächelnd auf die Bettüberzüge.
Von der kleinen, molligen Frau erntete sie dafür
nur ein mürrisches Nicken. Was war denn da
los? Verwundert runzelte sie die Stirn. So kannte
sie Maria, die sonst immer die gute Laune in
Person war, gar nicht. In einer ruhigen Minute
würde sie sich bei ihr erkundigen, ob sie etwas
auf dem Herzen hatte. Mit einem mulmigen Gefühl
dachte sie an die starken Magenschmerzen,
die Maria ein paar Tage zuvor erwähnt hatte
und deretwegen sie zum Arzt gehen wollte. Hoffentlich
war da nichts Schlimmes rausgekommen
…
»Genau so ist es richtig!«
Mit vor der Brust verschränkten Armen stand
Rosa hinter dem niedrigen Holztürchen des Kaninchenstalls,
nickte Nele aufmunternd zu, die
mittendrin vor den sechs Jungen kniete und sie
erstaunlich vorsichtig streichelte.
»Sie sind ganz weich und flauschig«, hauchte
das Mädchen ehrfürchtig.
Die junge Frau schluckte angesichts der rührenden
Szene einige Male, musste sich auf einmal
ganz dringend die Nase putzen … Zum Glück
klingelte in der nächsten Sekunde das Handy in
ihrer Hosentasche. Dankbar für die Ablenkung,
fischte sie es aus ihren verwaschenen Jeans, schaute
aufs Display. Oh. Als sie den Namen erkannte,
musste sie mehrmals blinzeln. Und weil sie
gleichzeitig einen Schritt rückwärts machte und
dabei über die Heugabel stolperte, fiel sie, bevor
sie ans Telefon rangehen konnte, erst mal mit einem
kleinen Plumps nach hinten ins Heu.
© ROSENHEIMER VERLAGSHAUS
in Luft aufgelöst hatte.
»Ich schau’s mir an«, hatte sie, ohne auch nur
eine Sekunde zu zögern, erwidert.
Dafür war ihr Rosa mehr als dankbar. Nun ja,
im Grunde war es ihr auch total unangenehm,
denn Kathi ließ sich dafür keinen Cent zahlen,
höchstens mit frischem Strudel belohnen. Als
Besitzerin eines gut besuchten Friseursalons im
Nachbarort Kitzbühel hatte sie an ihrem freien
Montag bestimmt weitaus Besseres zu tun, als
vor der Abrechnung der »Willkommen im
Glück«-Pension zu versauern. Aber das war eben
Kathi, wie sie leibte und lebte: Wenn sie von etwas
überzeugt war, ließ sich die zarte Powerfrau
nur sehr selten davon abbringen. »Du weißt ja,
ich kann nicht nur gut mit Haaren, sondern auch
ganz passabel mit Zahlen – und außerdem krieg
ich bei dir den besten Apfelstrudel von ganz
Tirol«, war ihr abschließender Kommentar dazu
gewesen.
Der im Übrigen keinen Widerspruch duldete.
Jetzt schaute sie ihre Freundin wissbegierig an,
musste aber warten, bis die sich einigermaßen beruhigt
hatte. »Die Leute machen sich einfach
ganz schön viele Gedanken um meinen – wie sagt
man heute so schön – ›Beziehungsstatus‹ …«, erklärte
die schließlich.
Beim letzten Wort malte sie grinsend Gänsefüßchen
in die Luft. Die andere verzog fast enttäuscht
den Mund. »Geht’s auch ein bisserl genauer?
«
Rosa nickte und las die nett gemeinte »Drohung
« von Grit Jakobs laut vor. »Oh … na, dann
mach dich mal auf was gefasst!«, lachte Kathi
derartig schallend, dass ihre kupferroten Fransen
geradezu vibrierten.
»Ist dann wohl bald endgültig vorbei mit deinem
ruhigen Mauerblümchendasein …«
Und mit einem Augenzwinkern fügte sie hinzu:
»Vielleicht schafft diese Frau Jakobs das
schier Unmögliche und holt dich mit einem feschen
Prinzen raus aus dem Dornröschenschloss
… hinter der dichten, dichten Dornenhecke
… mir ist das ja bis jetzt nicht gelungen.«
Die andere verdrehte ihre großen braunen Augen.
Jetzt kam das schon wieder! Kathi, die seit
fast sechs Jahren mit ihrem Johann in einer zwar
turbulenten, aber nichtsdestotrotz, davon war sie
fest überzeugt, ausnehmend glücklichen Beziehung
lebte, konnte einfach nicht begreifen, dass
ihre Freundin auch alleine recht zufrieden war.
Insgeheim vermutete Rosa sogar, dass sie in ihrem
Kitzbüheler Friseursalon heimlich eine Liste
führte, welcher Kunde für ihre Single-Freundin
in Betracht kam – vielleicht sogar mit
Sternchen-Bewertung wie bei den Hotels, das
wäre ihr durchaus zuzutrauen. Und wofür Kathi
die meisten Sternchen vergab, wollte sie gar nicht
wissen … Wäre sie jetzt Frau Jakobs, hätte sie
hinter diesem Gedanken bestimmt mindestens
ein Smiley platziert. Apropos Frau Jakobs: Die
resolute Stuttgarterin war höchstwahrscheinlich
die leidenschaftlichste Kupplerin, aber beileibe
nicht die einzige. Auch andere Feriengäste,
Freunde und Bekannte wollten genau den »Richtigen
« für Rosa an der Angel haben. Es war zum
Verzweifeln – oder einfach nur zum Totlachen.
Tja, augenscheinlich gab sie ein ziemlich jämmerliches
Bild vor ihren Mitmenschen ab, da brauchte
sie sich gar nichts vorzumachen. Dabei hatte
sie sich bereits seit einiger Zeit heimlich geschworen:
Noch ein einziges arrangiertes Date von irgendwem,
und sie würde mindestens einen mittleren
Schreikrampf kriegen! »Brauchst dir keine
Sorgen um mich machen. Irgendwann lerne ich
bestimmt jemanden kennen, bei dem’s ›Zoom‹
macht – so wie in ›Tausendmal berührt‹ oder wie
das Lied auch immer heißen mag«, erklärte sie
jetzt bemüht locker und vertiefte sich scheinbar
wieder in ihre E-Mails. »Passt ja für dich wie die
Faust aufs Auge«, ließ sich Kathi jetzt vom anderen
Schreibtisch halblaut vernehmen.
Unwillkürlich musste sie schlucken. Mist, sie war
ja selbst schuld, dass sie ausgerechnet mit diesem
Lied dahergekommen war … geradezu eine Einladung
an Kathi, um auf Rosas äußerst peinliche
Verliebtheit in Christian anzuspielen, den sie beide
seit der Schulzeit kannten. Die Unmengen von
kitschigen Herzchen, die in ihren Augen jahrelang
wie betrunken auf und ab getanzt hatten,
waren ja für jeden offensichtlich. Und absolut
jämmerlich, wie sie sich nun selbst eingestehen
musste. Obwohl sie sich dagegen wehrte, schob
sich wieder einmal das Bild des großen, schlaksigen
Mannes vor ihr inneres Auge. Warum nur,
warum, stöhnte sie innerlich auf. Langsam reichte
es wirklich! Aber nein, da war er! Dunkelblond,
mit dem charakteristischen Wirbel über
der Stirn, wodurch seine Haare immer ein wenig
widerspenstig wirkten, sah sie den Gynäkologen
aus Kitzbühel vor sich stehen. Mit dummerweise
wahnsinnig schönen grüngrauen Augen und
diesem ehrlichen und doch so verheißungsvollen
Lächeln, das wie auf Knopfdruck Gänsehaut auf
ihre Arme zauberte. »Für immer und ewig bleiben
wir die besten Freunde der Welt«, hatte er als
Sechzehnjähriger zu ihr gesagt, wie sie nebeneinander
auf einer Kitzbüheler Alm im Gras gesessen
hatten.
Und sie? Sie hatte eifrig genickt, wie so ein belämmerter
Wackeldackel, obwohl sie doch schon
damals längst bis über beide Ohren in den feschen
Burschen verknallt gewesen war. Danach
hatte er sie ganz seltsam angeschaut, während sie
mit eher bescheidenem Erfolg versucht hatte, die
rasant aufsteigenden Tränen wegzublinzeln. »Die
Sonne blendet total stark«, hatte sie schließlich
hektisch erklärt und war aufgesprungen. Danach
hatte sie sich besser im Griff gehabt, jahrelang
nichts anderes behauptet, als dass sie in ihm wirklich
nur einen guten Kumpel sah. Also offiziell
rein gar nix mit »Zoom gemacht« … Sogar Kathi,
vor der sie sonst keine Geheimnisse hatte,
wollte sie nichts von ihren Gefühlen erzählen.
Und insgeheim – wie dusselig war das denn? –
hatte sie nichtsdestoweniger immer auf ein
Zeichen
von Christian gewartet. Auch als er in
München Medizin studiert hatte. Und dann –
trara! – als er im letzten Jahr nach Kitzbühel zurückgekommen
war, hatte dieses Zeichen direkt
vor ihrer Nase auf endlos langen Giraffenbeinen
gestanden: In Gestalt von Ines, Christians ehemaliger
Studienkollegin und aktueller Lebensgefährtin,
die sich nun im Krankenhaus von Kitzbühel
zur Kinderärztin ausbilden ließ. »Es war
nur eine dumme, kleine Schwärmerei«, hatte sich
Rosa bestimmt tausendmal wie ein Mantra im
Stillen vorgebetet.
Und es irgendwann sogar selbst ein wenig geglaubt.
Ja, sie konnte eigentlich recht zufrieden
sein, denn mit jedem Tag tat es ein bisschen weniger
weh. Kleine Rückschritte gab es nur, wenn
Christian ihr begegnete. Der hatte ja zum Glück
immer noch keine Ahnung, streute ihr so aber
auch unwissentlich bei jeder seiner innigen Umarmungen
so richtig schön Salz in die Wunden.
Und danach spürte sie immer einen seltsamen
Druck auf der Brust, der sich erst nach Stunden
verflüchtigte. Kein Wunder, dass sie ihrem »Kumpel
« inzwischen so weit wie möglich aus dem
Weg ging. Und dass er, wenn sie ihm wieder mal
absagte, darüber ziemlich niedergeschlagen zu
sein schien, das war ausnahmsweise einmal nicht
ihr Problem.
Sie atmete tief durch, spürte verärgert, wie sich
ihr Puls gehörig beschleunigt hatte. Auch jetzt,
obwohl sie die Sache mit Christian endlich überwunden
hatte, tat es ihr nicht gut, an ihn zu denken.
Schnell schaute sie aus dem geöffneten Fenster,
atmete einige Male tief durch, konzentrierte
sich auf den Ausblick … ja, viel, viel besser. Immer
wieder herrlich war es für sie, ihre idyllische
Heimat zu betrachten, die Berge und Almen, die
einfach wunderschön, geradezu wie eine Postkartenidylle
aussahen. Und wieder mal freute sie
sich darüber, was für einen fantastischen Ausblick
sie von ihrem Bürofenster im ersten Stock
hatte. Die kleine Pfarrkirche mit dem schlanken,
hohen Kirchturm vor ihr, dahinter der Gaisberg
mit seinen jetzt im Mai besonders frischen grünen
Wiesen. Und darüber thronte eine strahlende
Sonne am nahezu wolkenlosen blauen Himmel.
Nach den letzten Regentagen meinte sie es
nun endlich gut mit den Urlaubern, die zum
Wandern nach Tirol gekommen waren und bereits
ein wenig missmutig aus der Wäsche geschaut
hatten.
Für einen Moment schloss Rosa die Augen,
während sie sich bemühte, der Wahrheit ins Gesicht
zu sehen. Okay, vielleicht war diese dumme
Schwärmerei für Christian wirklich nicht ganz
unschuldig an ihrem Single-Dasein gewesen. So
richtig verliebt hatte sie sich bis jetzt in keinen
anderen Mann. Und Affären waren auch absolut
nicht ihr Ding, wie sie sich nach einem eher desaströs
verlaufenen One-Night-Stand hatte eingestehen
müssen. Sie wagte einen kurzen Blick
Richtung Kathi. »Das, was du meinst, ist schon
lange vorbei. Schnee von gestern, was sag ich,
von vorgestern sozusagen«, murmelte sie.
Prompt lachte ihre Freundin ungläubig auf.
»Bitteschön, wenn du das so sagst …«
»Es ist aber wirklich so!«, erklärte die andere
vielleicht einen Hauch zu energisch.
Mist, sie merkte ja selbst, dass sie sich dabei wie
ein trotziges Kind anhörte. Nein, so machte sie
die Sache wirklich nicht besser. Aber ehrlich über
Christian zu reden, das schaffte sie einfach nicht.
Herrje, sie musste endlich an etwas anderes denken,
am besten an jemand anderen … und wirklich,
auf einmal breitete sich ein angenehmes
Gefühl
in ihrer Brust aus. Sicher, bis jetzt war
alles
völlig unverfänglich gewesen. Poetischere
Menschen als sie würden es vielleicht als »zartes
Pflänzchen« bezeichnen. Aber ehrlich gesagt war
es nicht mal das. Bloß ein paar nette Gespräche
und eine sehr herzliche Umarmung zum Abschied
… und nun ein paar E-Mails und Anrufe,
völlig freundschaftlich gehalten. Eigentlich gar
nicht erwähnenswert, außer man war ein dreizehnjähriger
weiblicher Teenager, der Jungs endlich
nicht mehr doof fand und auf den ersten Kuss
hoffte … und dennoch, der Mann schien sie zu
verstehen, konnte offenbar bis auf den Grund ihrer
Seele schauen, obwohl sie sich kaum kannten.
Da schnalzte Kathi auf einmal mit der Zunge.
»Vielleicht sollten wir dir die Haare blond färben,
das wirkt wie ein Magnet auf die Mannsbilder!«
Rosa schüttelte den Kopf, so dass ihre schulterlangen
braunen Locken nur so flogen. »Nein,
danke, ich bleib bei meiner eigenen Haarfarbe.
Und wenn du es ganz genau wissen willst …«
Sie machte eine bedeutsame Pause, und wie auf
Kommando riss ihre Freundin die Augen auf.
»Rück schon raus, Mädel! Oder ich fall auf der
Stelle tot um!«
Rosa atmete tief durch. Sie wusste gar nicht so
richtig, wo sie beginnen sollte. »Also«, fing sie
schließlich an und merkte dabei selbst, wie sie
versonnen zu lächeln begann.
Menschenskind, sie interpretierte wirklich viel
zu viel in die ganze Sache hinein. Wieder ließ sie
ihren Blick durchs Fenster nach draußen schweifen,
betrachtete die weiß-braun gefleckten Kühe,
die ganz in der Nähe auf einer Weide standen
und sich das frische Gras schmecken ließen. Melodisch
bimmelte die Glocke der Leitkuh, die
recht energisch quer über die Wiese stapfte,
offenbar duftete es dort hinten nach ganz besonders
leckeren Kräutern. Traumhaft musste es
sein, durchs frische Grün zu wandern, anstatt
hier im Büro zu hocken … Besonders mit Florian,
dem Maschinenbauingenieur aus Nürnberg
mit den breiten Schultern und äußerst attraktiven
Grübchen in den Wangen. Vielleicht würden
sie sich zwischen blauem Enzian und Almrausch
irgendwann tatsächlich küssen. So wie es vor drei
Wochen um ein Haar passiert wäre, an Florians
letztem Tag in ihrer Pension, als er sie zum Abschied
einfach in den Arm genommen hatte. Tja,
aber dann war Maria, ihre Angestellte, auf einmal
ums Eck gekommen, und weil Rosa das Gesicht
rasch zur Seite gedreht hatte, war Florians
Kuss statt auf ihrem Mund auf ihrer Wange gelandet
… »Erde an Blauensteiner! Bist du noch
unter uns?«
Schützend hielt Rosa die Hände vor den Körper,
aber zu spät. Kathi konnte es sichtlich nicht
mehr erwarten, die Geschichte serviert zu bekommen
und hatte eben einen Kugelschreiber
nach ihr geworfen. Peng, war er auf Rosas
Schulter gelandet und hatte noch dazu einen
kleinen blauen Fleck auf ihrem weiß-roten Ringelshirt
hinterlassen. »Aua! Ist ja schon gut!«,
schrie sie entrüstet, begann aber endlich zu erzählen.
Nach zehn Minuten hatte sie wohl noch jedes
klitzekleine Detail ihrer Begegnung mit Florian
geschildert. Tja, erstaunlich, die Worte sprudelten
geradezu aus ihr heraus. Während sie
erzählte, wurden Kathis Augen immer größer.
»So kenne ich dich ja gar nicht!«
Begeistert sprang sie auf und fiel der Freundin
um den Hals. »Klingt ja nach so was von Traummann
«, seufzte sie schließlich, als sie sich ein wenig
beruhigt hatte, und klang dabei verdächtig
rührselig.
Dann schob sie Rosa ein Stück von sich fort,
zwinkerte ihr nun, wieder ganz die gewohnt resolute
Friseurmeisterin, spitzbübisch zu. »War aber
auch höchste Zeit! Sonst hätte ich dir glatt den Titel
›Mauerblümchen des Jahres‹ verliehen – samt
selbst gemalter Urkunde und Plastikstatuette.«
»Na, herzlichen Dank auch!«, erwiderte Rosa
gespielt empört, musste aber sofort wieder loslachen.
»Blink!«, meldete sich genau in dieser Sekunde
ihr Computer und signalisierte so den Eingang
einer E-Mail.
Kathi hob demonstrativ eine Augenbraue.
»Vielleicht Florian?«
»Ach komm, das kann alles Mögliche sein!«
Sie winkte betont lässig ab, spürte aber gleichzeitig,
wie es in ihrem Bauch auf einmal leicht zu
kribbeln begann. »Schau doch einfach mal nach!«,
sprach da Kathi ein Machtwort und reckte hinter
ihrer Freundin den Hals, als die endlich die
Computermaus bewegte.
»Jetzt hör dir das mal an«, erklärte Rosa gleich
darauf mit einem leisen Seufzer.
Und las zum zweiten Mal an diesem Vormittag
eine E-Mail vor:
Liebe Rosa, beim Aufwachen denke ich an dich,
beim Einschlafen genauso. Und die restliche Zeit?
Tagsüber gehst du mir nicht mehr aus dem Kopf,
in der Nacht träume ich von dir. Wie soll das bloß
weitergehen? Ich sag’s dir: So gar nicht! Ich will
dich nämlich reden und lachen hören und dir dabei
in deine schönen dunkelbraunen Augen sehen.
Sonst sterbe ich noch vor Sehnsucht! Ich
habe
mir eine Woche Urlaub genommen und
könnte bereits morgen vor deiner Tür stehen und
eines deiner Ferienzimmer beziehen.
»Na, der geht ja ganz schön ran!«, kicherte Kathi
los wie ein Teenager.
»Findest du?«
Sie schluckte, im ersten Moment fühlte sie sich
tatsächlich ein wenig überrumpelt. Das waren ja
ganz neue Töne. Doch das winzige Unbehagen
verschwand sofort, machte einem wohligen Gefühl
in der Brustgegend Platz. War es nicht großartig,
dass Florian sie gern hatte und keinen Hehl
daraus machte? Genau das war’s doch! Viel zu
lange hatte sie wie eine Blöde Christian hinterhergehechelt
und gehofft, dass er irgendwann das
Gleiche für sie empfinden würde wie sie für ihn.
Wie lächerlich konnte man sich denn noch machen?
Es schüttelte sie ja geradezu, wenn sie daran
dachte, wie sie bis vor Kurzem, obwohl
Christian ja mit Ines zusammenlebte, immer
noch insgeheim davon geträumt hatte, dass der
Mann quasi über Nacht in heller Liebe zu ihr
entflammen würde. Himmel auch! Kathi stieß sie
jetzt breit grinsend in die Seite. »He, das hab ich
doch nicht so gemeint! Aus mir spricht nur der
Neid, weil der Johann niemals so was Süßes
schreiben würde!«
»Aber geh! Sei doch ehrlich, wenn der Johann
mit so was Schmalzigem daherkäme, würdest du
ihm glatt einen Vogel zeigen«, antwortete sie mit
hochgezogenen Augenbrauen.
Die andere gluckste. »Hast wahrscheinlich
recht … aber wichtig ist doch, dass dir das
Schmalz gefällt … und jetzt solltest du gleich mal
antworten!«
»Ich weiß nicht so recht …«, überlegte sie laut.
Irgendwas sträubte sich noch in ihr. Es war
schließlich etwas ganz anderes, ein wenig aus der
Ferne zu flirten, als sich zu verabreden. Und
dann wollte der Mann noch eine ganze Woche
bei ihr wohnen! Okay, bei ihr wohnten zwar immer
wieder Leute, das hatte es so an sich, wenn
man eine Frühstückspension sein Eigen nannte,
aber das hier war doch etwas völlig anderes.
Huch, irgendwie lief das alles so irrsinnig schnell!
Auf einmal war sie sich gar nicht mehr sicher, ob
sie das überhaupt wollte. Vielleicht brauchte sie
noch ein bisschen mehr Zeit, um endgültig mit
Christian abzuschließen. Da räusperte Kathi sich
vernehmlich. »Übrigens … ich hab gestern in
Kitzbühel beim Bäcker die Ines getroffen.«
Sie machte eine kurze Pause, so als ob sie ihrer
Freundin die Gelegenheit geben wollte, sich zu
erinnern, wer diese Ines denn eigentlich sei.
Rosa
verdrehte die Augen – langsam reichte es
wirklich mit dem blöden Versteckspiel. »Und,
was hat sie erzählt?«, fragte sie und merkte dabei
ärgerlicherweise, wie ihre Stimme leicht zitterte.
»Sie und Christian wollen im September heiraten.
Seine Frauenarztpraxis läuft schon ganz
gut, und jetzt können sie in Ruhe ihre Traumhochzeit
planen.«
Mitfühlend strich sie der Freundin, die die
letzten Worte nur mehr wie durch einen Nebel
mitgekriegt hatte, über den Oberarm. »Ich glaub,
es wird echt mal Zeit …«
Rosa schluckte. »Wo du recht hast, hast du
recht …«
Nein, sie würde jetzt nicht zu heulen beginnen.
Stattdessen ließ sie sich auf ihren Stuhl fallen,
straffte den Rücken und begann, entschlossen
zu tippen:
Lieber Florian, ich würde mich auch sehr freuen,
wenn wir uns wiedersehen. Aber bitte lass uns
nichts überstürzen! Schauen wir einfach, was die
gemeinsame Woche bringt. Auf jeden Fall steht
das Zimmer »Traumland« für dich bereit. Bis morgen
und viele Grüße …
Sie warf einen raschen Blick zu Kathi, die nickte
zustimmend. »Ist vielleicht gar nicht schlecht,
wenn du ihn ein bisschen bremst … sonst macht
er dir in drei Tagen noch einen Heiratsantrag!«
»Ha, ha … sehr witzig.«
Bevor sie es sich noch anders überlegen konnte,
drückte sie rasch auf »Senden«. »Braves Mäd-
chen«, murmelte Kathi, dann schien ihr wieder
einzufallen, warum sie eigentlich hier war.
Ausgiebig reckte sie ihre Arme über den Kopf,
setzte sich danach vor den anderen Computerbildschirm,
um ihren Blick erneut über Zahlenkolonnen
wandern zu lassen. »Was ist eigentlich
mit der Therese? Zahlst ihr noch was?«
Unmerklich zuckte Rosa bei der Nennung des
Namens ihrer fünf Jahre älteren Schwester zusammen.
Noch so eine Baustelle in ihrem Leben
… Keine Frage, es tat ihr immer noch weh,
dass Therese sie nicht besonders mochte. Und
das war noch milde ausgedrückt: Im Grunde
hasste ihre ältere Schwester sie, da brauchte sie
sich gar nichts vorzumachen. Das Äußerste, was
von ihr kam, war hin und wieder mal eine Karte
zum Geburtstag. Und trotzdem beschlich Rosa
jedes Mal ein schlechtes Gewissen, wenn sie an
ihre Schwester dachte. »Letzten Monat … ja, genau
… im April war es das letzte Mal«, antwortete
sie jetzt und hoffte dabei inständig, dass Kathi
ausnahmsweise mal nicht ihren Senf zu diesem
Thema dazugeben würde.
Zum Glück sagte sie nichts, runzelte bloß die
Stirn. Auch so wusste Rosa, dass die Freundin ihre
Entscheidung, der älteren Schwester dreißigtausend
Euro als Ausgleich zu ihrem eigenen Erbe
in Raten zu bezahlen, im besten Falle als
unrettbar gutherzig bis völlig durchgeknallt bewertete.
Verständlich, denn Rosa konnte nun mal
nichts dafür, dass Tante Grete ihr alleine den
alten Bauernhof, der nun zur Ferienpension mit
kleinem Streichelzoo umgebaut worden war, vermacht
hatte. Als die Eltern der beiden Mädchen
vor zwölf Jahren bei einem Autounfall gestorben
waren, war Rosa erst vierzehn, Therese neunzehn
Jahre alt gewesen, hatte bereits in München
eine Modeschule besucht und dort in einem Studentenwohnheim
gelebt. So war bloß Rosa, völlig
traumatisiert nach dem plötzlichen Tod der
Eltern, zu Tante Grete in ihr altes Bauernhaus
mit den vielen Hühnern gezogen. Die um einiges
ältere Schwester des Vaters mochte vielleicht eine
einfach gestrickte und etwas bedächtige Frau
gewesen sein, aber sie hatte ihren Schützling geliebt
und umsorgt wie ein eigenes Kind, und das
junge Mädchen hatte ebenfalls sehr an der Tante
gehangen. Rosa hatte es auch gar nicht fassen
können, als Grete vor fünf Jahren mit Mitte siebzig
nach einem schweren Schlaganfall gestorben
war. Hatte der alten Frau, die sie sieben Jahre
lang wie eine Mutter behütet hatte, viele Tränen
nachgeweint. Im Gegensatz zu Therese, die Tante
Grete, in ihren Augen »ein strunzdummes
Bauernweiberl«, nie wirklich hatte besonders leiden
können.
Rosa hielt für einen Moment den Atem an. Als
ob es erst gestern gewesen wäre, sah sie die Szene
bei der Testamentseröffnung in der Kanzlei
des Notars vor sich.
Mit glühenden Wangen wetzte Therese auf dem
schweren Stuhl hin und her, konnte es sichtlich
kaum erwarten, dass Doktor Steinfellner, der
Notar von Kirchberg, endlich anfing, Tante Gretes
Testament vorzulesen. Dabei wirkte sie wie
ein aufgeregtes Schulmädchen und trotz ihrer
topmodischen, engen schwarzen Lederhose und
der hohen Stiefeletten gar nicht mehr wie die
trendige, stets coole Münchner Modedesignerin,
als die sie sich so gerne präsentierte. Dabei würdigte
sie ihre jüngere Schwester, damals einundzwanzig,
die im braven Dirndl neben ihr wie ein
Häufchen Elend hockte, keines einzigen Blickes.
»Wie lange dauert es denn noch?«, fragte sie ungeduldig
den Notar, der eben noch dabei war, seine
Unterlagen zu ordnen.
»Keine Sorge, es geht schon los.«
Steinfellner warf ihr einen kühlen Blick zu. Einen
Bruchteil einer Sekunde lang glaubte Rosa
sogar ein spöttisches Lächeln zu erkennen, das
seine Lippen umspielte. Aber vielleicht hatte sie
sich das auch bloß eingebildet. Mit ruhiger Stimme,
scheinbar ohne jede Gefühlsregung, las er
das Testament bis zum letzten Satz vor. Danach
war es einen Moment lang so ruhig in dem eichenholzgetäfelten
Raum, dass man die sprichwörtliche
Stecknadel hätte fallen hören können.
Doch schon in der nächsten Sekunde schnappte
Therese wie eine Ertrinkende nach Luft, um dann
mit hochgeschraubter Stimme loszukreischen:
»Wie bitte? Rosa erbt von der alten Schachtel alles
allein? Den ganzen Hof?«
»Exakt«, kam die Antwort des Notars wie aus
der Pistole geschossen.
Rosa warf abwechselnd ihm, dann Therese einen
entsetzten Blick zu. Ihr Magen hatte sich verkrampft,
und sie musste mehrmals schlucken, um
nicht auf der Stelle in Tränen auszubrechen. Heute
noch lief ihr ein eisiger Schauer den Rücken hinunter,
wenn sie an den wutverzerrten Ausdruck
im Gesicht ihrer Schwester dachte. »Alles kriegst
du! Nachdem uns unsere Eltern nichts als Schulden
hinterlassen haben … hast ja ganz wunderbar
eingefädelt … du kleine, fiese Egoistin!«
»Aber ich hab doch gar nix gewusst … und
verstehe auch nicht, warum Tante Grete das getan
hat.«
Obwohl Rosas Erklärung der reinen Wahrheit
entsprach, sprang Therese schäumend vor Wut
auf. »Wer’s glaubt, wird selig!«, zischte sie,
rauschte an Rosa vorbei, die ebenfalls aufgestanden
war.
Als sie die Jüngere grob an der Schulter streifte,
entschuldigte sie sich nicht, sondern starrte
Rosa nur hasserfüllt an. Ein scharfer Schmerz
schoss ihrer Schwester bis in die Brust, obwohl
es doch bloß ein leichter Rempler gewesen war.
Bereits am nächsten Tag schlug sie Therese die
dreißigtausend Euro als Ausgleichszahlung vor.
Ohne mit der Wimper zu zucken, nahm die das
Angebot an. Und dennoch, bis heute war es offensichtlich,
dass Therese ihre jüngere Schwester
verabscheute.
»Tja, dann muss ich wohl weitersuchen«, holte
Kathi Rosa wieder in die Gegenwart zurück.
Die runzelte die Stirn. »Tut mir echt leid, dass
du dir so viel Arbeit machst!«
»Ach, das tu ich doch gern … Und jetzt werd
ich erst so richtig neugierig!«
Sie zwinkerte ein paar Mal. »Kannst mich gerne
Sherlockine Holmes nennen!«
Ihre Freundin schmunzelte, merkte auf einmal,
wie Kathi sie liebevoll anschaute. »Außerdem
bin ich total stolz auf dich, dass du die Pension
so super schupfst. Quasi aus dem Nichts
hast du es geschafft, dass jeder Gast wiederkommt,
ja am liebsten gleich bei dir einziehen
möchte!«
Rosa, der so viel Lob richtig unangenehm war,
winkte ab. »Im Grunde hab ich einfach nur viel
Glück gehabt … und supernette Gäste, die weitererzählen,
wenn es ihnen hier gefällt.«
»Aber sicher.« Kathi, die merkte, wie Rosa sich
vor Verlegenheit wand, kam wieder zur eigentlichen
Sache. »Bezahlen nicht viele auch in bar?«
»Schon, aber das Geld bringen Maria oder ich
einmal die Woche auf die Bank, und im Moment
ist nichts offen.«
»Aha, Maria …«
Energisch schüttelte Rosa den Kopf. Über ihre
Mitarbeiterin, die von Anfang an dabei war,
ließ sie nichts kommen. Seit fünf Jahren arbeitete
die sechzigjährige Witwe bei ihr; eigentlich seit
dem Eröffnungstag der Ferienpension »Willkommen
im Glück«. Von ihr war auch der Vorschlag
gekommen, die zehn Zimmer, anstatt sie
einfach zu nummerieren, mit klingenden Namen
wie »Herzenswärme«, »Kinderlachen« oder »Liebeszauber
« zu versehen. Rosa hatte die Idee umwerfend
gefunden – und erfreut gemerkt, dass sie
auch bei ihren Gästen unglaublich gut ankam.
Und jetzt war Maria so was wie das »Mädchen
für alles«, putzte die Zimmer, half beim Frühstücksbuffet
und fungierte insgesamt als die gute
Seele des Hauses. »Du, wirklich … für sie lege
ich meine Hand ins Feuer«, erklärte Rosa nun
mit Nachdruck.
Kathi setzte eben zu einer Antwort an. Doch
ausgerechnet jetzt wurde von außen die Bürotür
aufgerissen.
»Da bist du ja!«
Große blaue Kinderaugen schauten Rosa vorwurfsvoll
an und zauberten sofort ein Lächeln auf
die Gesichter der beiden Frauen. Zu niedlich sah
die fünfjährige Nele aus Köln aber auch aus in ihrem
rosa geblümten Kleiderl und mit den zwei
geflochtenen blonden Zöpfen! Wie ein kleiner
Engel, der jetzt aber eher wie ein trotziges Teuferl
die Unterlippe vorschob. »Wir wollten doch
gemeinsam zu den Kaninchenbabys gehen!«
»Aber sicher, Nele!«
Rosa beugte sich zu ihr. »Ich hab’s auch nicht
vergessen!«
»Na, dann gehen wir doch!«
Zappelig fasste ihr im Moment jüngster Gast
nach ihrer Hand. »Darf ich ihnen Namen geben?
Ich weiß auch schon ganz tolle: Murmel für das
Braune … und Schneeflocke für …«
»Das Weiße?«, fragte Kathi mit treuherzigem
Blick nach.
Nele rollte mit den Augen. »Na, logo!«
Die beiden Frauen tauschten einen raschen
Blick aus, bemühten sich, dabei ernst zu bleiben.
»Ist es okay, wenn ich dich ein bisserl allein lasse?
«, fragte Rosa die Freundin.
»Na, logo!« Kathi grinste breit, ging dann wie
bei Karate in Kampfstellung. »Mit deiner Abrechnung
werde ich auch alleine fertig.«
»Bis später!«
Rosa lachte auf und war in der nächsten Sekunde
auch schon an Neles Hand zur Tür draußen.
Die Kleine hatte es ziemlich eilig, zog sie rasant
wie auf einer Flucht den schmalen Weg zum Kaninchenstall
hinter sich her. Erstaunlich, wie
schnell so kleine Füßchen laufen konnten!
Mmmh, als sie am Kräutergarten vorbeikamen,
zog ein wunderbar würziger Duft nach Salbei,
Zitronenminze und Basilikum zu ihnen herüber.
Normalerweise hätte Rosa das Mädchen darauf
aufmerksam gemacht, aber jetzt … jetzt waren
die Kaninchen einfach interessanter, alles klar.
Auch Benno, Rosas ein Jahr altem Hovawart, der
eben noch faul in der Sonne gedöst hatte und nun
die beiden schwanzwedelnd begrüßte, wurde
von Nele ausnahmsweise bloß im Vorbeigehen
der Kopf getätschelt. Da fiel Rosa etwas ein.
»Wissen deine Eltern überhaupt, dass du bei mir
bist?«, fragte sie und blieb abrupt stehen.
Wie von grimmiger Zauberhand weggewischt,
verschwand blitzartig das eben noch so fröhliche
Lachen aus Neles Kindergesicht. »Denen ist das
doch egal … die streiten ohnehin die ganze Zeit!«
»Ach, Mäuschen …«, murmelte Rosa, strich
der Kleinen über die blonden Haare.
Ihr selbst war auch schon aufgefallen, dass sich
Neles Eltern, Doris und Klaus Reichart, seitdem
sie vor einer Woche angekommen waren, häufig
angifteten. Einmal, als sie frische Handtücher ins
Zimmer gebracht hatte, war Rosa sogar unbeabsichtigt
Zeugin eines handfesten Ehekrachs geworden.
Ungewöhnliche Kreditkartenabrechnungen
von Klaus und eine Arbeitskollegin, die
verdächtig oft in der Anrufliste seines Handys
auftauchte … Am liebsten hätte die Pensionswirtin
das alles gar nicht mitgekriegt, und besonders
tat ihr natürlich die Kleine leid. »Das wird schon
wieder«, versuchte sie zuversichtlich zu klingen,
aber die Traurigkeit wich immer noch nicht aus
Neles Blick. »Die wollen sich scheiden lassen …«,
flüsterte sie mit hängenden Schultern.
Mit einem tiefen Seufzer, den sie einfach nicht
unterdrücken konnte, schloss Rosa sie in die Arme.
»Aber, aber … so schnell lässt man sich nicht
scheiden«, flüsterte sie, spürte dabei selbst einen
dicken Knödel im Hals. »Am liebsten würde ich
bei dir bleiben, für ewig oder noch länger«, wisperte
das Mädchen.
Die Frau stupste es sanft am Kinn an. »Aber
geh, deine Mama und dein Papa haben dich doch
so lieb. Wenn du weg wärst, würden die den
ganzen Tag nur weinen!«, versuchte sie einen lockeren
Ton anzuschlagen.
»Und jetzt gehen wir zu den Kaninchenbabys,
die warten schon auf uns!«
Dafür war Nele zum Glück sofort zu begeistern.
»Und das Scheckige nenne ich Kasimir!«
»Einen schöneren Namen wüsste ich auch
nicht«, pflichtete ihr Rosa bei, erleichtert darüber,
dass die Kleine so schnell auf andere Gedanken
gekommen war.
Kurz vorm Stall kam ihnen Maria mit einem
vollen Wäschekorb in den Händen entgegen.
»Klasse, dass alles in der Sonne so schnell trocken
geworden ist, nicht wahr?«, meinte ihre Arbeitgeberin,
deutete lächelnd auf die Bettüberzüge.
Von der kleinen, molligen Frau erntete sie dafür
nur ein mürrisches Nicken. Was war denn da
los? Verwundert runzelte sie die Stirn. So kannte
sie Maria, die sonst immer die gute Laune in
Person war, gar nicht. In einer ruhigen Minute
würde sie sich bei ihr erkundigen, ob sie etwas
auf dem Herzen hatte. Mit einem mulmigen Gefühl
dachte sie an die starken Magenschmerzen,
die Maria ein paar Tage zuvor erwähnt hatte
und deretwegen sie zum Arzt gehen wollte. Hoffentlich
war da nichts Schlimmes rausgekommen
…
»Genau so ist es richtig!«
Mit vor der Brust verschränkten Armen stand
Rosa hinter dem niedrigen Holztürchen des Kaninchenstalls,
nickte Nele aufmunternd zu, die
mittendrin vor den sechs Jungen kniete und sie
erstaunlich vorsichtig streichelte.
»Sie sind ganz weich und flauschig«, hauchte
das Mädchen ehrfürchtig.
Die junge Frau schluckte angesichts der rührenden
Szene einige Male, musste sich auf einmal
ganz dringend die Nase putzen … Zum Glück
klingelte in der nächsten Sekunde das Handy in
ihrer Hosentasche. Dankbar für die Ablenkung,
fischte sie es aus ihren verwaschenen Jeans, schaute
aufs Display. Oh. Als sie den Namen erkannte,
musste sie mehrmals blinzeln. Und weil sie
gleichzeitig einen Schritt rückwärts machte und
dabei über die Heugabel stolperte, fiel sie, bevor
sie ans Telefon rangehen konnte, erst mal mit einem
kleinen Plumps nach hinten ins Heu.
© ROSENHEIMER VERLAGSHAUS
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Autoren-Porträt von Andrea Eichhorn
Die gebürtige Wienerin Andrea Eichhorn schrieb bereits als Kind gerne Geschichten. Nach ihrem Studium der Geschichte und Germanistik machte sie ihre Leidenschaft, das Schreiben, zum Beruf. Sie fühlt sich in verschiedenen Genres wohl: Romantische Kurzgeschichten, Kurzkrimis, Drehbücher für Fernsehsketche und Kindersendungen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Andrea Eichhorn
- 2015, 272 Seiten, Gebunden, Deutsch
- Verlag: ROSENHEIMER VERLAGSHAUS
- ISBN-10: 3475544245
- ISBN-13: 9783475544248
- Erscheinungsdatum: 25.02.2015
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