Herr und Hund
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Herr und Hund vonThomas Mann
LESEPROBE
Wenn die schöne Jahreszeit ihrem Namen Ehre macht und dasTirili der Vögel mich zeitig wecken konnte, weil ich den vorigen Tag zurrechten Stunde beendigte, gehe ich gern schon vor der ersten Mahlzeit und ohne Hutauf eine halbe Stunde ins Freie, in die Allee vorm Hause oder auch in dieweiteren Anlagen, um von der jungen Morgenluft einige Züge zu tun und, bevordie Arbeit mich hinnimmt, an den Freuden der reinen Frühe ein wenigteilzuhaben. Auf den Stufen, welche zur Haustüre führen, lasse ich dann einenPfiff von zwei Tönen hören, Grundton und tiefere Quart, so, wie die Melodie deszweiten Satzes von Schuberts unvollendeter Sinfonie beginnt, - ein Signal, dasetwa als die Vertonung eines zweisilbigen Rufnamens gelten kann. Schon imnächsten Augenblick, während ich gegen die Gartenpforte weitergehe, wird in derFerne, kaum hörbar zuerst, doch rasch sich nähernd und verdeutlichend, einfeines Klingeln laut, wie es entstehen mag, wenn eine Polizeimarke gegen denMetallbeschlag eines Halsbandes schlägt; und wenn ich mich umwende, sehe ichBauschan in vollem Lauf um die rückwärtige Hausecke biegen und gerade auf michzustürzen, als plane er, mich über den Haufen zu rennen. Vor Anstrengungschürzt er die Unterlippe ein wenig, so daß zwei, drei seiner unterenVorderzähne entblößt sind und prächtig weiß in der frühen Sonne blitzen.
Er kommt aus seiner Hütte, die dort hinten unter dem Bodender auf Pfeilern ruhenden Veranda steht, und worin er, bis mein zweisilbigerPfiff ihn aufs äußerste belebte, nach wechselvoll verbrachter Nacht in kurzemMorgenschlummer gelegen haben mag. Die Hütte ist mit Vorhängen aus derbem Stoffversehen und mit Stroh ausgelegt, woher es kommt, daß ein oder der andere Halmin Bauschans obendrein vom Liegen etwas struppigem Fell haftet oder sogarzwischen seinen Zehen steckt: ein Anblick, der mich jedesmal an den altenGrafen von Moor erinnert, wie ich ihn einst, in einer Aufführung von höchstakkurater Einbildungskraft, dem Hungerturme entsteigen sah, einen Strohhalmzwischen zwei Trikotzehen seiner armen Füße. Unwillkürlich stelle ich michseitlich gegen den Heranstürmenden, in Abwehrpositur, denn seine Scheinabsicht,mir zwischen die Füße zu stoßen und mich zu Falle zu bringen, hat unfehlbareTäuschungskraft. Im letzten Augenblick aber und dicht vor dem Anprall weiß erzu bremsen und einzuschwenken, was sowohl für seine körperliche als seinegeistige Selbstbeherrschung zeugt; und nun beginnt er, ohne Laut zu geben - denner macht einen sparsamen Gebrauch von seiner sonoren und ausdrucksfähigenStimme -, einen wirren Begrüßungstanz um mich herum zu vollführen, bestehendaus Trampeln, maßlosem Wedeln, das sich nicht auf das hierzu bestimmteAusdruckswerkzeug des Schwanzes beschränkt, sondern den ganzen Hinter
Leib bis zu den Rippen in Mitleidenschaft zieht, ferner einemringelnden Sichzusammenziehen seines Körpers, sowie schnellenden,schleudernden Luftsprüngen nebst Drehungen um die eigene Achse, - Aufführungen,die er aber merkwürdigerweise meinen Blicken zu entziehen trachtet, indem erihren Schauplatz, wie ich mich auch wende, immer auf die entgegengesetzte Seiteverlegt. In dem Augenblick jedoch, wo ich mich niederbeuge und die Handausstrecke, ist er plötzlich mit einem Sprunge neben mir und steht, dieSchulter gegen mein Schienbein gepreßt, wie eine Bildsäule: schräg an michgelehnt steht er, die starken Pfoten gegen den Boden gestemmt, das Gesichtgegen das meine erhoben, so daß er mir verkehrt und von unten herauf in dieAugen blickt, und seine Reglosigkeit, während ich ihm unter halblauten undguten Worten das Schulterblatt klopfe, atmet dieselbe Konzentration undLeidenschaft wie der vorhergegangene Taumel.
Es ist ein kurzhaariger deutscher Hühnerhund, - wenn mandiese Bezeichnung nicht allzu streng und strikt nehmen, sondern sie mit einemKörnchen Salz verstehen will; denn ein Hühnerhund wie er im Buche steht undnach der peinlichsten Observanz ist Bauschan wohl eigentlich nicht. Für einensolchen ist er erstens vielleicht ein wenig zu klein, - er ist, dies will betontsein, entschieden etwas unter der Größe eines Vorstehhundes; und dann sind auchseine Vorderbeine nicht ganz gerade, eher etwas nach außen gebogen, - wasebenfalls jenem Idealbilde reiner Züchtung nur ungenau entsprechen mag. Diekleine Neigung zur »Wamme«, das heißt: zu jener faltigen Hautsackbildung amHalse, die einen so würdigen Ausdruck verleihen kann, kleidet ihnausgezeichnet; doch würde auch sie wohl von unerbittlichen Zuchtmeistern alsfehlerhaft beanstandet werden, denn beim Hühnerhund, höre ich, soll dieHalshaut glatt die Kehle umspannen. Bauschans Färbung ist sehr schön. Sein Fellist rostbraun im Grunde und schwarz getigert. Aber auch viel Weiß mischt sichdarein, das an der Brust, den Pfoten, dem Bauche entschieden vorherrscht,während die ganze gedrungene Nase in Schwarz getaucht erscheint. Auf seinembreiten Schädeldach sowie an den kühlen Ohrlappen bildet das Schwarz mit demRostbraun ein schönes, samtenes Muster, und zum Erfreulichsten an seinerErscheinung ist der Wirbel, Büschel oder Zipfel zu rechnen, zu dem das weißeHaar an seiner Brust sich zusammendreht, und der gleich dem Stachel alter Brustharnischewaagerecht vorragt. Übrigens mag auch die etwas willkürliche Farbenprachtseines Felles demjenigen für »unzulässig« gelten, dem die Gesetze der Art vorden Persönlichkeitswerten gehen, denn der klassische Hühnerhund hatmöglicherweise einfarbig oder mit abweichend gefärbten Platten geschmückt, abernicht getigert zu sein. Am eindringlichsten aber mahnt von einer starrschematisierenden Einreihung Bauschans eine gewisse hängende Behaarungsart seinerMundwinkel und der Unterseite seines Maules ab, die man nicht ohne einen Scheinvon Recht als Schnauz- und Knebelbart ansprechen könnte, und die, wenn man sieeben ins Auge faßt, von fern oder näherhin an den Typus des Pinschers oderSchnauzels denken läßt.
Aber Hühnerhund her und Pinscher hin - welch ein schönes undgutes Tier ist Bauschan auf jeden Fall, wie er da straff an mein Knie gelehntsteht und mit tief gesammelter Hingabe zu mir emporblickt! Namentlich das Augeist schön, sanft und klug, wenn auch vielleicht ein wenig gläsern vortretend.Die Iris ist rostbraun - von der Farbe des Felles; doch bildet sie eigentlichnur einen schmalen Ring, vermöge einer gewaltigen Ausdehnung der schwarzspiegelnden Pupillen, und andererseits tritt ihre Färbung ins Weiße des Augesüber und schwimmt darin. Der Ausdruck seines Kopfes, ein Ausdruck verständigenBiedersinnes, bekundet eine Männlichkeit seines moralischen Teiles, die seinKörperbau im Physischen wiederholt: der gewölbte Brustkorb, unter dessenglatt und geschmeidig anliegender Haut die Rippen sich kräftig abzeichnen, dieeingezogenen Hüften, die nervicht geäderten Beine, die derben undwohlgebildeten Füße - dies alles spricht von Wackerkeit und viriler Tugend, esspricht von bäurischem Jägerblut, ja, der Jäger und Vorsteher waltet eben dochmächtig vor in Bauschans Bildung, er ist ein rechtlicher Hühnerhund, wenn manmich fragt, obgleich er gewiß keinem Akte hochnäsiger Inzucht sein Daseinverdankt; und eben dies mag denn auch der Sinn der sonst ziemlich verworrenenund logisch ungeordneten Worte sein, die ich an ihn richte, während ich ihmdas Schulterblatt klopfe.
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© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2005
- Autor: Thomas Mann
- 2005, 6. Aufl., 144 Seiten, 15 Abbildungen, Maße: 11,2 x 18,6 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3103481519
- ISBN-13: 9783103481518
- Erscheinungsdatum: 27.04.2005
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