Feuerland und Patagonien
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Feuerland und Patagonien von Klaus Bednarz
LESEPROBE
EI fin del mundo - das klingt wie Musik. SagtMaxim, der nur Russisch spricht. Für eine Weile starrt er verträumt in dieFerne, dann fügt er scherzhaft hinzu: «Könnten wir nicht auch dorthin fahren?»
Ja, warum eigentlich nicht?
Wir haben eine abenteuerliche Reise hinter uns. Nun sitzenwir, unweit des Polarkreises am nordöstlichen Zipfel Sibiriens, auf derHalbinsel Tschukotka - am Ufer der Beringstraße. Auf der anderen Seite derMeerenge schimmert im bläulichen Dunst die Küste Alaskas, im dunkelgrünenWasser vor uns blasen mächtige Grauwale ihre Fontänen in die sommerlich klarearktische Luft. Auch die Menschen hier nennen diese entlegene Region «Ende derWelt», in ihrer Sprache und der Maxims Konjez Mim.
Den Weg vom nördlichen Ende der Welt ans südliche, el fin delmundo, wie die spanischen Eroberer Feuerland und Patagoniennannten, hat die Geschichte vorgezeichnet. Es ist der Weg, den vor Tausendenvon Jahren die Vorfahren der südamerikanischen Urbevölkerung zogen. Sie warenaus Sibirien nach Tschukotka gekommen, hatten die Beringstraße überquert, diebis zum Ende der letzten Eiszeit noch eine Landbrücke war - und ihre Wanderungdann im Laufe vieler Generationen über den gesamten amerikanischen Kontinentbis hinunter nach Kap Hoorn fortgesetzt.
Mit Kameramann Maxiur waren wir den Spuren der Indianerbereits quer durch Sibirien vom Baikalsee bis nach Alaska gefolgt; nun wolltenwir sehen, was am anderen Ende der Welt, in Feuerland und Patagonien, aus ihnengeworden war. Wie hatten sie überlebt, was ist von ihrer Kultur geblieben, wasverbindet, über alles Trennende hinweg, die Bewohner Feuerlands undPatagoniens mit ihren fernen Verwandten im heutigen Sibirien? Eine Idee, naheliegend und doch schon zu Beginn um ein Haar gescheitert.
Das «Ende der Welt» auf der südlichen Halbkugel istpolitisch in zwei Hälften geteilt - eine Grenze, stellenweise mit dem Linealgezogen, durchschneidet Patagonien und Feuerland von Norden nach Süden. Und dasVerhältnis der beiden Nachbarn - Chile und Argentinien - ist nicht unbedingtkonfliktfrei. Auch ausländische Journalisten, vor allem, wenn sie eineFilmkamera dabeihaben, werden gelegentlich mit Argwohn betrachtet.
Diesen Eindruck jedenfalls vermittelte uns die argentinischeBotschaft in Moskau. Der resoluten Dame, zuständig für die Visa-Erteilung,war beim besten Willen nicht klar zu machen, warum ausgerechnet ein russischerKameramann aus St. Petersburg mit einem deutschen Fernsehteam aus Köln einenFilm im argentinischen Teil Patagoniens und Feuerlands drehen will. Erst nachwochenlangem heftigem Papierkrieg, unzähligen Faxen, Briefen und Telefonaten,einer genauen Angabe der geplanten Reiseroute, der Grenzübergänge undÜbernachtungsorte sowie einer schriftlichen Garantie des WestdeutschenRundfunks, dass Maxim weder an einer ansteckenden Krankheit noch einem anderenkörperlichen Gebrechen leidet und auch nicht beabsichtigt, Frau und Kind inPetersburg zu verlassen, um in Argentinien heimisch zu werden - erst nachalldem hatte die Dame der argentinischen Botschaft ein Einsehen und erteiltegütigst das Visum.
Die Botschaft Chiles in Moskau machte keine Umstände. Kurzerhandverwies man Maxim an die Kollegen des chilenischen Konsulats in Frankfurt amMain - schließlich wolle er ja im Auftrag des Deutschen Fernsehens reisen.Dort, so die Auskunft der Diplomaten, werde es keine Probleme geben. Und siebehielten Recht. Ein kurzes Telefonat, ein kurzer Brief - und Maxim konnte seinVisum für Chile bei einem freundlichen Seňor im Frankfurter Konsulat inEmpfang nehmen. Für Sergej, den Kameraassistenten, gab es ohnehin keineSchwierigkeiten. Er ist zwar in Kasachstan geboren und hat einen russischenVornamen, aber einen deutschen Pass und seinen Wohnsitz in Köln.
Weit problematischer als die Frage der Visa und derDrehgenehmigungen für Patagonien und Feuerland, die schließlich von denchilenischen wie argentinischen Behörden ohne jede Auflage erteilt wurden,erschien ein anderer Umstand: Niemand aus unserem Team hatteje zuvor in Südamerika gearbeitet, keiner sprach ein Wort Spanisch; auch nichtFrank, der weit gereiste Toningenieur, und Gabi, die als Fotografin auf eigeneKosten die Expedition begleiten sollte.
Doch auch für dieses Problem gab es eine Lösung, einen rettendenEngel, wie sich bald erweisen sollte - Liliana. Die chilenische Kollegin,deren Familie vor den Nazis aus Europa fliehen musste und während derMilitärdiktatur General Pinochets vorübergehend nach Deutschland zurückkehrte,hat in Düsseldorf das Gymnasium besucht und in Köln studiert. Und sie besitztErfahrung im Umgang mit der vertrackten Gedankenwelt und Arbeitsweise vonFernsehmenschen. Selbst mit Maxim kommuniziert sie blendend, obwohl keiner einWort des anderen versteht.
Ein Jahr etwa dauern die Vorbereitungen auf das Projekt. Undin immer kürzeren Abständen überfällt mich Panik. Mit Erstaunen, Entsetzen undBewunderung stelle ich fest: Die Menge der Publikationen zum Thema Südamerikaist, verglichen mit der Literatur über Sibirien, schier überwältigend.Patagonien und Feuerland, so lerne ich schnell, sind alles andere als weißeFlecken unseres Planeten, unbeschriebene Blätter im Bewusstsein deraufgeklärten Menschheit. Selbst die Kultbücher eines Georg Forster und BruceChatwin sind nur die winzige Spitze dessen, was in unzähligen Bibliotheken,Archiven, Museen und im Internet an Informationen über das südliche «Ende derWelt» zu finden ist. Mein einziger Trost: unsere Unbefangenheit. Wir wollen unsein eigenes Bild machen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und vermeintlichobjektivierende, doch letztlich sterile Distanz; mit dem Kamerablick Maximsund den Erfahrungen, die wir auf dieser Reise sammeln, auch den Gefühlen, dieuns bewegen. Wir wollen uns einlassen auf das Land und seine Menschen. (...)
© 2005 by Rowohlt - Berlin Verlag
Autoren-Porträtvon Klaus Bednarz
Klaus Bednarz ist als einer der bekanntesten undvielseitigsten Journalisten seit 1967 für die ARD im Einsatz. Geboren wurde er1942 in Falkensee bei Berlin. 1955 verließ die Familie die DDR und zog nachHamburg. Bednarz studierte in Hamburg, Wien und Moskau Theaterwissenschaften,Slawistik und Osteuropäische Geschichte. Er schloss 1966 sein Studium ab mitder Promotion über den russischen Dichter Anton Cechov. Im Jahr darauf begannder Journalist seine Arbeit bei der ARD und war 1977-1982 Leiter des StudiosMoskau. Danach wurde er Redaktionsleiter des Auslandsstudios beim WDR undmoderierte die Tagesthemen. 1983 übernahm Bednarz von Gerd Ruge die Leitung despolitischen Magazins "Monitor", die er 18 Jahre innehatte. Der investigativeJournalist lehrte so manchen Politiker das Fürchten und geriet ins Fadenkreuzöstlicher und westlicher Geheimdienste. "Mr. Monitor" arbeitete auch alsKommentator, Sonderkorrespondent in Russland und ständiger Mitarbeiterverschiedener Tages- und Wochenzeitungen.
Seit 2002 ist Bednarz Sonderkorrespondent und Chefreporterfür das WDR-Fernsehen. Er ist maßgeblich beteiligt an Dokumentarfilmprojektenund hat das Autorenfernsehen durch seine besondere Art der Berichterstattunggeprägt. Die Filme und Bücher über Schlesien, Ostpreußen und Masuren habenLeser und Zuschauer ebenso nachhaltig beeindruckt wie der Dreiteiler über dieReise "Vom Baikalsee nach Alaska" oder "Am Ende der Welt", eine Reise durchFeuerland und Patagonien.
In seinem neuesten Projekt "Das Kreuz des Nordens"dokumentiert Bednarz seine Reise durch Karelien, im Grenzland zwischen Finnlandund Russland. Wie bei vielen anderen Projekten kann der Zuschauer dieFernsehdokumentation mit dem reich bebilderten Buch vertiefen, vor- odernachbereiten. In fast allen Werken des Autors Bednarz wird seine Liebe zuOsteuropa und Russland spürbar: Seine Nähe zu den einfachen Menschen wie in"Fernes nahes Land. Begegnungen in Ostpreußen" (1995) und sein Interesse amkulturellen Leben in "Mein Russland. Literarische Streifzüge durch ein weitesLand" (2006). Für seine Bücher, Filme und Berichte wurde Bednarz vielfach mitPreisen bedacht. Die Goldmedaille des Internationalen Film- undFernsehfestivals in Jalta (2003) dürfte nicht die letzte Auszeichnung gewesensein.
- Autor: Klaus Bednarz
- 2005, 1. Auflage, 256 Seiten, 200 farbige Abbildungen, Maße: 25,1 x 30,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345369
- ISBN-13: 9783871345364
- Erscheinungsdatum: 23.09.2005
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