Ein Kapitel aus meinem Leben
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Ein Kapitel ausmeinem Leben von Barbara Honigmann
LESEPROBE
Meine Mutter und Onkel Wito gingenals Feinde auseinander, während mein Vater meiner Mutter bis zu seinemLebensende, über mehrere Ehen hinweg, ein Freund blieb. Mein Vater hat mirsogar einmal gesagt, die Bindung an meine Mutter sei von Anfang an aus mehrfreundschaftlichen Gefühlen erwachsen und nicht aus einer Leidenschaft derLiebe, deshalb war ihnen die Scheidung wohl besser gelungen als ihre Ehe, nachderen Zerbrechen die Freundschaft erst ihre eigentliche Form finden konnte.Mein Vater sah sich sowieso als jemand, der kein Glück in der Liebe fand, alleseine Frauen und Geliebten seien ihm fremd geblieben, zog er einmal traurigBilanz. Mein Vater sprach oft mit mir über seine Frauen und Ehen, und ichfühlte mich davon auf ähnliche Weise überfordert wie von der Schweigsamkeitmeiner Mutter über diese Dinge, die sie selber »Diskretion« nannte. Um ausdiesen Fremdheiten mißlungener Lieben vielleicht nochirgend etwas zu retten, war es meinem Vater wichtig, nein forderte er, daß alle Frauen und Geliebten miteinander befreundet seinoder sich wenigstens Mühe geben sollten, miteinander auszukommen, und auch vonmir forderte er das. Und so kam es, daß ichausgerechnet in Leipzig bei den Eltern der dritten Frau meines Vaters, mit derer im übrigen gerade in Scheidung lag, zum ersten Mal den Namen aussprechenhörte, den ich immer nur als Schriftzug gekannt hatte.
Ab und zu verbrachte ich nämlich ein Wochenende bei diesem Paar, das ich ganzaufrichtig als Stiefgroßeltern annahm, dennGroßeltern hatte ich ja nicht, und sie »adoptierten« mich leicht, weil sieumgekehrt kein ande-
res Enkelkind besaßen. Käthe und Ferdinand waren ein altes Schauspielerehepaar,das noch etwas von der Zeit der avantgardistischen 20er und frühen 30er Jahreausstrahlte, noch jetzt lebten sie, unbürgerlich, libertärund ein bißchen exzentrisch. Bis zur Hinrichtung vonKäthes Geliebtem durch die Nazis sollen sie sogar in einer ménageà trois und teilweise auch à quatre gelebt haben.Wegen dieser libertären Einstellung fiel es ihnenleicht, den großen Altersunterschied zwischen ihrer Tochter und meinem Vater zuakzeptieren, mit dem sie auch noch Erinnerungen aus der Wandervogelzeit und andie hessische Heimat teilen konnten, oftmals fielen sie dabei in den hessischenDialekt, so daß ich kaum ein Wort verstehen konnte.Während ihrer ménage à trois-und quatre-Zeit hatten sie Kontakte zur Roten Kapellegehabt, in diesem Zusammenhang war er, Käthes Geliebter, hingerichtet worden.Käthe und Ferdinand trauerten gemeinsam um ihn, wie sie um ihren Sohntrauerten, der fast gleichzeitig an der russischen Front gefallen war. Und wieSchauspieler das tun, hielten sie sich aufrecht, wußten,daß sie ihre Rollen zu Ende zu spielen hatten, bisder Vorhang fällt und die Vorstellung zu Ende ist.
Seit dieser Zeit ihrer Beziehung zur Roten Kapelle interessierte sich Ferdinandfür Konspiration, Spionage und Geheimdienst, und er entwarf gerade das Projekt,eine Biographie des Admirals Canaris zu schreiben, als ausgerechnet an einemder Wochenenden, die ich bei ihnen verbrachte, die ganze Geschichte von Kim Philby ans Tageslicht kam. Vor Ferdinands Fernseher fiel esmir wie Schuppen von den Augen, als ich den Namen, den ich so oft gelesenhatte, immer wieder hörte, in all den Sendungen, die von morgens bis abendsliefen und immer nur dasselbe berichteten, etwas, das Ferdinand in wahnsinnigeErregung versetzte. Stell dir das vor, Doppelagent! Superagent! größter Spionaller Zeiten! Dreißig Jahre hat er die ganze Welt an der Nase herumgeführt!belogen! betrogen! - ein englischer Gentleman, Upperclass-Sohn für den KGB! UndFerdinand wußte nicht, ob er Kim Philbymehr bewundern oder mehr verachten sollte, bewundern für das gelungeneFalschspiel, den perfekten Wechsel der Maske ohne Kratzer, für dieübermenschliche Verleugnung, und verachten für den Verrat, die heimlicheMachtausübung, hinter der nur Phantasien von Größenwahn stecken könnten, wie ermir erklärte, zitternd vor Aufregung, Ferdinand, der Vater der dritten Fraumeines Vaters, der selbst auch schon ein ganz kleines bißchenin seinem Leben konspiriert hatte. Im Gegensatz zu mir. Ich hatte noch nie inmeinem Leben konspiriert und noch nie richtig Verrat begangen. Mir waren vonmeiner Mutter zwei Gebote vermittelt worden, die sich auf den ersten Blickwidersprachen: Erstens, du sollst nicht lügen, zweitens, aber wenn du lügst,dann lüge so nah wie möglich an der Wahrheit. Das zweite war ja eigentlich nurdie pragmatische Auslegung der hohen ethischen Norm des ersten Gebots und ziemlichvernünftig. Ich konnte Ferdinand nicht sagen, was ich zu sagen hatte, ichselbst konnte den Namen nicht aussprechen, den ich nun so oft hörte. Und washätte ich auch sagen sollen, ich kannte ja weder die Wahrheit noch die Lüge.
Als ich dann nach Karlshorst zurückkehrte, standen die englischen Journalistenvor der Tür, und meine Mutter gab mir nicht viel mehr Auskünfte als ihnen. Wirwaren ungefähr auf demselben Wissensstand, die englischen Journalisten und ich,meine Quellen und ihre waren die Nachrichten, die nun aus Moskau nachGroßbritannien und von da in die restliche Welt gedrungen waren, sie hatten dieEnthüllungen von Reuters, und ich hatte sie von Ferdinand.
Ich weiß nicht mehr, wann meine Mutter begann, mir ein paar wenige Details überihre Ehe mit Kim Philby preiszugeben, vieles wurdemir von fremden Leuten zugetragen, die sich wie Ferdinand fürSpionagegeschichten passionierten, und meiner Mutter wurden Artikel,Zeitschriften, Bücher zugeschickt, die dann bis an ihr Lebensende und darüberhinaus nicht mehr zu erscheinen aufhörten und die jene Passagen enthielten, vondenen mein Vater meinte, sie solle dagegen klagen und damit wenigstens »Geldmachen«. Statt dessen stellte sie die Bücher ungelesen ins Regal, nachdem sie ein wenig darin geblätterthatte, falls sie sie nicht gleich wegwarf.
Wenn meine Mutter mich später über »dieses Kapitel aus meinem Leben«, wie siees nannte, ein wenig aufklärte, dann war es nicht, um dieses Kapitel inirgendeiner Weise mit mir zu teilen, an dem es ja auch nichts mehr zu teilengab, da die Zeit der Geheimhaltung nun vorbei war, sondern weil sie meinte, daß ihre Tochter wenigstens up to date sein sollte, wennschon fremde Menschen vor der Tür standen, um Fragen zu stellen. Damit ich sonah wie möglich an der Wahrheit lügen könnte: ich weiß davon nichts.
»Deine Mutter ist ein Mensch, den man wirklich nur schwer verstehen kann«,sagte mein Vater manchmal zu mir. »Entweder ist sie viel naiver oder vielgerissener als die meisten Menschen. Entweder sie redet zuviel oder sieverschweigt alles, sie schäumt vor Temperament über oder sie fällt apathisch insich zusammen, entweder bleibt sie die ganze Nacht wach, oder sie geht um neunUhr zu Bett, sie begnügt sich mit dem Allernötigsten und schmeißt gleichzeitigdas Geld zum Fenster raus, sie verschenkt und beschenkt ohne Maß, aber etwasvon sich selbst preisgeben, das konnte sie nie.« Und ihre Schmerzlosigkeit.Wenn ich über Kopfschmerzen klagte, sagte sie, Kopfschmerzen kenne ich nicht,wenn ich über Bauchweh klagte, Bauchweh habe ich in meinem Leben noch niegehabt. Ich bin heute nicht in Stimmung - so einen Satz hätte sie nie gesagt,meine Mutter kannte keine Stimmungen, und sie ließ sich nie gehen, in Trauernicht und in Schmerz nicht und auch nicht in schlechter Laune. Contenancebewahren war das Allerwichtigste in ihrem Leben, und die Contenance kam nochvor dem Marxismus-Leninismus und den Philosophen, die die Welt nur verschiedeninterpretiert haben, wo es aber darauf ankommt, sie zu verändern. Zumindestebenso kam es darauf an, Haltung zu bewahren, und deshalb konnte man zu jederTageszeit bei ihr vorbeikommen, nie hätte man sie schlampert oder nachlässigherumlaufen sehen, bis mittags im Morgenmantel oder im Schlafanzug, so etwasgab es bei ihr nicht, es gab kein Sich-drinnen-gehen-Lassenund Sich-für-draußen-Zurechtmachen, nie kam sieunfrisiert zum Frühstück, sondern trug jeden Tag Lippenstift und lackierteFingernägel.
So war es auch jetzt, als Onkel Wito sie verlassenhatte, die englischen Journalisten vor der Tür standen und das Kapitel ihrerVergangenheit plötzlich wieder zur Gegenwart geworden war. Kopfschmerzen hattesie nicht, Bauchweh hatte sie nicht, und wenn sie »dieses Kapitel aus meinemLeben« sagte, konnte ich nicht erkennen, ob darin Scham oder Stolz zu hörenwar.
Meine Mutter ist tot. Mein Vater ist tot. Onkel Witoist tot. Genau wie Ferdinand und Käthe und Lomi und Brauni und die anderen Witwen aus Karlshorst. Philby ist tot, und am längsten sind schon die Rosenbergstot.
Jetzt, nach der Öffnung der KGB-Akten, hat sich die Aussage meiner Mutter, sieseien nicht unschuldig hingerichtet worden, bestätigt. Sie mußes also gewußt haben. Wer weiß, welchen Anteil siedaran hatte. Es ist geschrieben worden, Philby habeim Jahr 1938 aus dem Munde meiner Mutter zum ersten Mal das Wort Atomenergiegehört. Das ist wirklich verwunderlich, da meine Mutter kaum die einfachstenGesetze der klassischen Mechanik kannte und nicht einmal Autofahren in ihremLeben gelernt hat.
Das Imperium, für das die Rosenbergs, Philby undmeine Mutter spionierten, ist zusammengebrochen und untergegangen, und von denIdeen und Theorien - für die sich meine Eltern und ihre Freunde, Philby und die Rosenbergs hingaben, denen ihre ganzeLeidenschaft galt und für die sie jede andere Loyalität ablegten, alleBindungen an ihre Herkunft lösten - ist auch nicht mehr viel übriggeblieben.
Unendlich viel ist seitdem über die Rosenbergs geschrieben worden und unendlichviel über Kim Philby, Dutzende von Büchern undHunderte von Artikeln sind erschienen, Radiosendungen und Fernsehserien dazugelaufen. Sechs Bücher stehen in meinem Regal, zwei habe ich gelesen, zwei habeich durchgeblättert, die anderen beiden kurz angesehen und dann ins Regalgestellt, so ähnlich, wie es meine Mutter auch getan hat. Meine Neugier warschnell befriedigt, denn was ich an diesem Kapitel aus ihrem Leben nichtverstand, wurde in den Büchern auch nicht erklärt. Das zuletzt erschienene Buchist das interessanteste. Ein russischer Journalist hat mit Philbywenige Monate vor seinem Tod ein langes Gespräch auf seiner Datscha geführt undseine Erinnerungen den Berichten und Dokumenten des KGB gegenübergestellt undauch den kurzen Lebensläufen seiner, und also auch meiner Mutter,Kontrolloffiziere aus der Zeit, als sie das Wort Atomenergie ausgesprochenhaben soll. Diese Biografien enden alle gleich: erschossen, erschossen,erschossen. Als feindliche Spione natürlich.
Meine Mutter hat mir den Stolz und die Scham, die so schwer zu unterscheidenwaren, wenn sie über dieses Kapitel aus ihrem Leben sprach, wie einenAdelstitel vererbt. Wie alle ererbten Titel weist er auf eine vergangeneGlorie, ist anachronistisch und am Rande der Lächerlichkeit.
© Hanser Verlag
- Autor: Barbara Honigmann
- 2004, 4. Aufl., 144 Seiten, Maße: 13,2 x 20,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205314
- ISBN-13: 9783446205314
- Erscheinungsdatum: 09.08.2004
Uwe Wittstock, Die Welt, 04.09.04
"Ein berührendes und unterhaltsames Porträt einer eigenwilligen Frau, ein vielschichtiges Zeitbild, in dem sich individuelle Widersprüche in den Paradoxien der Zeitgeschichte spiegeln. ... So souverän und zugleich liebevoll muss man die Freiheiten des biografischen Schreibens erst einmal auszureizen wissen."
Sibylle Birrer, Neue Zürcher Zeitung, 25./26.09.04
"Barbara Honigmann gibt der Sache, auch den Gefühlen, den einfachsten und manchmal gerade deshalb umso raffinierteren Ausdruck - oft voller Witz und Ironie."
Claudia Kühner, Tages-Anzeiger, 21.10.04
"Barbara Honigmanns Buch ist ein sprachliches und erzählerisches Ereignis."
Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung, 18./19.12.04
Uwe Wittstock, Die Welt, 04.09.04
"Ein berührendes und unterhaltsames Porträt einer eigenwilligen Frau, ein vielschichtiges Zeitbild, in dem sich individuelle Widersprüche in den Paradoxien der Zeitgeschichte spiegeln. ... So souverän und zugleich liebevoll muss man die Freiheiten des biografischen Schreibens erst einmal auszureizen wissen."
Sibylle Birrer, Neue Zürcher Zeitung, 25./26.09.04
"Barbara Honigmann gibt der Sache, auch den Gefühlen, den einfachsten und manchmal gerade deshalb umso raffinierteren Ausdruck - oft voller Witz und Ironie."
Claudia Kühner, Tages-Anzeiger, 21.10.04
"Barbara Honigmanns Buch ist ein sprachliches und erzählerisches Ereignis."
Volker Breidecker, Süddeutsche Zeitung, 18./19.12.04
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ein Kapitel aus meinem Leben".
Kommentar verfassen