Die zerbrochene Uhr / Rosina Bd.4
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Niklas, Sohn des Großkaufmanns Claes Herrmanns und Schüler der ehrwürdigen Gelehrtenschule Johanneum, findet in der Pause einen Toten. Es ist Adam Donner, Lehrer der Sekunda und bei Schülern wie Kollegen gleichermaßen unbeliebt. Doch wer haßte ihn genug, um ihn zu töten? Niklas' Freund Simon, den Donner besonders gern demütigte? Lehrer Bucher, von dem er zu viel wußte? Oder etwa Pierre Godard, Hugenotte und Uhrmachermeister? Immerhin war eines seiner Werkzeuge die Tatwaffe. Viele Verdächtige in Schule und Kaffeehaus, am Hafen, in den Salons und gar im Damenstift - und ein neuer Fall für die Komödiantin Rosina, Großkaufmann Claes Herrmanns und Weddemeister Wagner.
Rosinas vierter Fall
Die zerbrochene Uhr von Petra Oelker
LESEPROBE
Ein Nachmittag im Februar
Der Mann in der komfortablen Kutschedrückte sich tiefer in seine Pelze und blinzelte grimmig aus dem Fenster. Erlauschte auf das Knarren der Kutsche und war sicher, daßder Weg, dessen tiefe, noch vor wenigen Tagen schlammige Kuhlen nun hartgefroren waren und das Gefährt schüttelten wie ein kleines Boot in derBrandung, die Räder brechen lassen würde.
Das Land lag düster, frostiger Windfegte über die weite Heide. Alles, was hier lebte, verkroch sich tief im Gestrüpp.Die Hasen drückten sich in ihre Sassen, Feldmäuse, Kaninchen und die einzigeKreuzotternfamilie dieser unwirtlichen Region dösten in den tiefsten Ecken ihrerLöcher und Höhlen und träumten gegen den Winterhunger vom Frühling. Ein wenigweiter südlich, dort, wo magerer Wald dem Wind trotzte, schlief auch ein Dachszusammengerollt in seinem Bau. Bald würde er erwachen und zur nächtlichen Jagdhinaus in die Heide schleichen. Die war vom Frost so grau wie der Himmel, undnur der Schrei einer Möwe, die sich in ihrer maßlosen Neugier vom Meer hierherverirrt hatte, durchschnitt die Stille über den Hügeln, übertönte gar dasPoltern der vierspännigen Kutsche auf dem gefrorenen Weg.
Schon beim Erwachen an diesem Morgenhatte der Mann gewußt, daßihn kein guter Tag erwartete. Es war noch dunkel gewesen und das Feuer im Kaminseines Schlafzimmers nur mehr ein letzter Klumpen erlöschende Glut. Der Dienerkam, ihn zu rasieren, etliche Minuten zu spät, und das Wasser, das ermitbrachte, war nicht ein wenig mehr als handwarm, wie er es liebte, sondernkalt, als komme es frisch aus dem Brunnen. Der Luftzug in den Fluren des Hausessei heute so eisig, murmelte der Diener, aber das nützte ihm nichts. Als er endlichmit neuem Wasser zurückkam, hatte er die Schale auf eine mit glühendenKohlenstücken gefüllte messingne Bettpfanne gestellt,und es war viel zu heiß. Tage, die so begannen, konnten nicht gut enden.
Wahrscheinlich, dachte der Reisendein der Kutsche, würde er heute nachtin dieser verdammten Einöde erfrieren. Und alles nur, weil ein exzentrischeralter Mann, der abgesehen von ein bißchen Gicht undZahnweh bei bester Gesundheit war, plötzlich zu sterben glaubte und seinemAdvokaten ein nicht minder exzentrisches Testament übergeben wollte. Was hießhier überhaupt alter Mann? Er selbst war nur um fünf Jahre jünger und fühlte sichmit seinen Vierundfünfzig bei Gott noch nicht alt.
Dieses verdammte Testament. So wares eben, wenn ein reicher Mann nicht, wie es sich gehörte, beizeiten einevernünftige, gesunde Ehefrau wählte. Der Mensch braucht Erben von eigenem Blut.Alles andere ist nicht in Gottes Sinn und bringt Verdruß,wenn nicht gar Schlimmeres. Sein Klient hatte sich dieser Pflicht entzogen. Undnun? Nun hatte er sein Testament gemacht, aber was für ein Testament!
Nur einen Menschen, so hatte ergesagt, habe er in seinem ganzen Leben für würdig befunden, sein Erbeanzutreten. Einen Freund aus alter Zeit, ein Uhrmacher, fromm undgottesfürchtig wie er selbst (und wahrscheinlich ebenso geizig, hatte derAdvokat in Gedanken hinzugefügt), eine treue Seele und der einzige, der nieversucht hatte, ihn zu übervorteilen oder von seinem wachsenden Reichtum zuprofitieren. Der einzige! hatte er noch einmal betont, was der Advokat gelassenignorierte. Er hatte längst gelernt, daß Reichtumnicht unbedingt zu Zufriedenheit, aber immer zu wucherndem Mißtrauenführt.
Da war also dieser Freund gewesen,der einzige in der armen Welt des reichen Mannes. Leider war der schon langetot, und leider hatte er auch nur zwei Töchter gezeugt. Weibliche Wesen, alsokeine, denen man Besitz anvertrauen konnte. Deshalb sollte deren erstgeborener Sohn,egal, ob die jüngere oder die ältere zuerst Mutter wurde, der Erbe sein. Wasetliche Probleme aufwarf. Noch waren diese Töchternicht einmal verheiratet. Würden sie überhaupt Söhne gebären? Und wann? Immerhinwar bekannt, wo die Mädchen jetzt lebten, in Anbetracht dieser seltsamenUmstände schon ein Glück. Da sein Klient ihm streng verboten hatte, den Inhaltdes Testaments schon vor der Geburt seines zukünftigen Erben bekanntzugeben, würde ihm also nichts anderes übrigbleiben, als den Lebensweg der beiden Mädchen zu verfolgen,die, gerade achtzehn und zwanzig Jahre alt, mit ihrer Mutter in einer nurwenige Meilen entfernten Stadt lebten. Die Witwe und die Töchter des treuen altenFreundes verdienten ihren Unterhalt brav, aber mühsam als Näherinnen. Siewaren im heiratsfähigen Alter, wenn er Glück hatte, beeilten sie sich mit derEhe und dem Mutterwerden. Und waren hoffentlich so klug, Männer zu wählen, dieüber genug Verstand zur Verwaltung eines solch riesigen Erbes verfügten.Zumindest genug Verstand zur Wahl der richtigen Berater.
Seinen Vorschlag, den Damen, sonannte er sie nun auch bei sich, schon jetzt eine Rente auszusetzen, damit sieohne Not leben konnten, damit sie auch einen passenden Ehemann fanden, anstattsich an irgendeinen Schuster oder Prediger zu vergeuden, hatte der Alteentschieden zurückgewiesen. Solcherart unverdiente Geschenke machten nurbequem, hatte er geknurrt, der Besitz müsse für den Sohn beisammengehaltenwerden. Punktum. Die Möglichkeit, daß keines derMädchen einem Sohn, sondern nur Töchtern das Leben schenken könnte, schloß er aus.
Trotzdem war es dem Advokatengelungen, eine Regelung für den Fall einzufügen, daßder zuerst erbberechtigte Sohn starb. Nur die Tatsache, daßder ganze Besitz sonst dem König oder der Kirche zufallen werde, hatte denAdvokaten in diesem äußerst hart geführten Disput siegen lassen. Endlich hattesein Klient sein Siegel unter die Urkunde gesetzt, wiederum Punktum gesagt undihn entlassen, ohne ihm auch nur eine stärkende Mahlzeit anzubieten oder heißeSteine für den Fußsack mitgeben zu lassen.
Der Advokat rieb seine eiskaltenBeine gegeneinander und seufzte. Zu ärgerlich, daßseine beiden Söhne schon verheiratet waren. Es hätte natürlich Skandal gemacht,wenn sie, oder auch nur einer von ihnen, eine Näherin geheiratet hätten, aberder Vorteil, die beiden jungen Damen zu seiner Familie zu zählen, wäre einegrandiose Entschädigung für den Verlust der einen oder anderen Einladung in dieguten Häuser der Stadt gewesen. Auf alle Fälle wollte er seine Frau und seineSchwiegertöchter dazu anhalten, künftig zumindest ihre Weißwäsche bei ihnennähen zu lassen. Schließlich würde eines der Mädchen irgendwann, womöglichschon bald, einen vertrauenswürdigen Advokaten brauchen.
Gerade als er begann, darübernachzudenken, welchen Betrag er für die heimliche Verfolgung des Lebenswegesder künftigen Mutter des künftigen Erben in Rechnung stellen sollte, machte dieKutsche einen Satz. Sie schwankte schwer, und er hörte dieses gräßliche Geräusch, das er schon seit einer Stundeerwartete. Zuerst ein Knarzen, dann brach Holz mittrockenem Knall, die Kutsche rutschte noch einige Fuß weit an der neben demFahrweg aufsteigenden Böschung entlang und blieb schließlich tief zur Seitegelehnt liegen.
Der Advokat stöhnte. Nicht, weil ersich verletzt hatte, die Pferde waren nur im Schritt gegangen, und seine Pelzehatten den Aufprall gut abgefedert, sondern weil er diese Nacht nun nicht inseinem bequemen Bett in der sicheren Stadt verbringen würde, sondern auf einemverlausten Strohsack, umgeben von Gesindel, in einer der kalten Bauernkaten,die sich hinter dem nächsten Hügel duckten. Er hatte es gewußt:Kaltes Wasser am Morgen und ein so exzentrischer letzter Wille mußten ein schlechtes Omen sein.
© Rowohlt Verlag
- Autor: Petra Oelker
- 1999, 12. Aufl., 448 Seiten, 3 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 1 Abbildungen, Maße: 11,7 x 19,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499226677
- ISBN-13: 9783499226670
- Erscheinungsdatum: 01.11.1999
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die zerbrochene Uhr / Rosina Bd.4".
Kommentar verfassen