Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler
Neue Zürcher Zeitung
Eine geistergeplagte Zahnarztfamilie, Hongkonger Triaden und Sydneys Opernhaus, welches das ''allerschlechteste...
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Neue Zürcher Zeitung
Eine geistergeplagte Zahnarztfamilie, Hongkonger Triaden und Sydneys Opernhaus, welches das ''allerschlechteste Fengshui'' hat - ideal für ein Abenteuer und Detektiv C.F. Wong.
Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler von NuryVittachi
LESEPROBE
Er schrieb fieberhaft, da er wusste, wie selten und knappbemessen die Augenblicke kreativer Ruhe waren, hier im Büro seiner Firma C.F.Wong & Co.in der Telok Ayer Street. Ein Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm, dass eszehn nach zehn war. Seit fast drei Stunden hatte er allein und ungestörtgearbeitet. Wie waren die Götter ihm gnädig, dass sie ihn mit Personalsegneten, welches ständig zu spät kam. Möge es seinen Gewohnheiten noch langetreu bleiben! Er legte die Hände aneinander und verneigte sich kurz und dankbarin Richtung des nächsten Tempels, der ein paar hundert Meter südlich seinesBürohauses stand. Obgleich nicht wirklich fromm, hielt Wong doch äußerlichgewisse daoistische Rituale ein, die er als Kind in Baiwan, einem Dorf in derchinesischen Provinz Guangdong, gelernt hatte. An keinem Tempel, selbst wenn erauf der gegenüberliegenden Straßenseite stand, konnte er ohne eine rascheVerbeugung und ein flüchtiges Winken mit zusammengelegten Händen vorbeigehen.Zehn Uhr vorbei! Er blickte kurz aus dem Fenster und blinzelte. Nächstens würdeWinnie Lim, die in Personalunion als seine Empfangsdame, Sekretärin,Schreibkraft und Bürovorsteherin wirkte, wohl den ganzen Vormittag schwänzen -oder gar nicht erscheinen. Wie hieß es doch gleich auf Englisch? Awol. Oder wardas eine Art Vogel? Dann gab es da noch diese albtraumhafte Praktikantin, dieihm sein Chef Mr. Pun vor einigen Monaten aufgedrängt hatte. Nie würde er den grauenhaftenTag vergessen, als die schlaksige junge Ausländerin in seinem Büro aufkreuzteund einen bizarren, unverständlichen Dialekt sprach. »Also mein Pappi, ja? Derdann so: Mein Kumpel Mr. Pun hat nen echten Fäng-Schuh-i-Meister an der Hand, bei dem kannst du drei Monatejobben, und ich dann so: Boh ey!«, hatte sie gesagt.
Es hatte lange gedauert, bis er einigermaßen mit JoyceMcQuinnie kommunizieren konnte. Sie stammte von britisch-australischen Elternab, doch sie drückte sich nur in einem abstrusen Kauderwelsch namens »Teenager«aus. Ein früher Durchbruch war ihm gelungen, als er begriff, dass sie statt Ja»egal« sagte. Erst kürzlich hatte er herausgefunden, dass ihr Wort für Nein»als ob« lautete. Bei ihrer Ankunft in der Telok Ayer Street hatte sie alsErstes ihren Schreibtisch und ihren Stuhl umgeräumt, um mehr Licht zu bekommen.Wer außer einem extrem unsensiblen Menschen würde von sich aus das Mobiliar imBüro eines Fengshui-Meisters umstellen? Von da an hatte sie die meiste Zeit indiesem Jargon mit ihren Freundinnen telefoniert und dabei so gelacht, wie nurMänner lachen durften. Wenn sie sich im Büro aufhielt, fand er es praktischunmöglich, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn mit McQuinnie zuarbeiten. Problematisch war aber nicht nur der Lärm, den sie verbreitete. JedenVormittag gegen elf verschwand sie für zehn Minuten und kam mit einem Getränkzurück, das sie Latte nannte - einem Pappbecher voll Schaum, der das Büro nachbitterem Kaffee und Kuhmilch stinken ließ. Als wäre das nicht störend genug,schnupperte sie auch noch angeekelt nach dem würzigen Nasi kandar in seinerLunchbox und rümpfte mit einem eindeutigen »Ääh!« die Nase. Sie selbst holtesich mittags Sandwiches, die dermaßen dick belegt waren, dass sie sie kaum in denMund bekam. Fast jeden Nachmittag war ihr Schreibtisch buchstäblich übersät mitSalatfetzen - von rohem Salat, wohlgemerkt. Doch das Schlimmste war, dass sieihn unbedingt zu vielen seiner Aufträge begleiten musste. Ihr lautes undschrilles Auftreten - sie trug formlose Kleidung und viel zu viel Schmuck -machte seine Klienten nervös. Ein paar Mutige hatten versucht, mit ihr insGespräch zu kommen. Ein Makler namens Tak hatte sich höflich nach ihrenschulischen Erfolgen erkundigt, worauf sie geantwortet hatte: »Ach, das lief soweit okay, ich habs auch bis zur Oberstufe gepackt. Aber Pappi zog ja ständigwieder woanders hin, und da gings dann eben den Bach runter.« Der alte Takhatte Wong gefragt: »Den Bach runter? Ist das gutes Fengshui?« Um eine Antwort verlegen,hatte Wong nur weise genickt. Mit Schaudern erinnerte er sich an die frühenVerständigungsversuche. Dann ging ihm ein angenehmerer Gedanke durch den Kopf.Wenn Winnie und Joyce verschwanden, stünden ihm ja genug Platz und Geldmittelfür eine echte Hilfskraft zur Verfügung, jemanden, der ihm einen Teil seinerArbeitslast abnahm, statt sie unerträglich zu erschweren. Dann könnte er dasBüromobiliar umstellen und sich von der Schmach befreien, unter der er derzeitlitt, nämlich als Fengshui-Berater in einem so entsetzlich schlechteingerichteten Büro zu sitzen. Das würde gewiss seine Lebensgeister ankurbeln,ganz zu schweigen von seinen Einnahmen. Ach gib doch, dass Winnie und JoyceAwol sind! Unter diesem köstlichenWunschbild, das ein schuldbewusstes Lächeln auf seine Lippen zauberte, wandteer sich wieder seiner Arbeit zu. Indem er seine Atmung verlangsamte, sammelteder Fengshui-Meister seine zerstreuten Gedanken und konzentrierte sich auf dasMeisterwerk, an dem er seit mehreren Jahren arbeitete: den Band, derhoffentlich zu seiner ersten bedeutenden englischsprachigen Veröffentlichungwerden würde. Dieses handgeschriebene Notizbuch, zerfleddert und vollerEselsohren, bildete seinen stolzesten Besitz. Auf zweihundert Seiten enthieltes Anekdoten und Zitate und war bereits über anderthalb Zentimeter dick. Doches gab noch viel zu tun. Um wieder in die Arbeit hineinzufinden, musste erzunächst alle ablenkenden Gedanken hinter sich lassen. Das würde kaum schwerfallen. Es war still im Büro. Die Wanduhr stand (was er bei einem Klienten niegeduldet hätte, denn eine stehende Uhr bedeutete einen inakzeptablen, negativenFengshui-Faktor). Die Klimaanlage rasselte jämmerlich, doch nach vier Jahrenstörte ihn das nicht mehr. Der normalerweise tropfende Wasserkühler warausgeschaltet, weil die Bürovorsteherin ihn seit zwei Wochen nicht gefüllthatte. Vollkommener Friede, absolute Ruhe breiteten sich aus. Die Worte seinesLieblingsdenkers Mo Di gingen Wongdurch den Kopf. Ihm war, als hörte er die ruhige und doch klare Stimme desgroßen Weisen über die Kluft von zweieinhalb Jahrtausenden Geschichte hinweg.Ein paar herrliche Minuten lang war das Kratzen seines Federhalters auf demPapier das einzige Geräusch im Büroraum. Das war denn auch der Moment, denWinnie Lim für ihre Ankunft wählte. »Aijaaah!«, schrie sie mit ihrerkrächzenden Stimme, denn sie hatte die Tür so heftig aufgestoßen, dass diesevon der Wand abprallte und gegen ihre noch vorgestreckte Hand schlug. Es gabein Klirren, und in der Mattglasfüllung zeigte sich ein hell schimmernderSprung. »Aijaaah!«, rief Winnie wieder. »Glas bricht. Billiges Glas. Ich klageSie!« »Ich verklage Sie, weil Sie zu spät zur Arbeit kommen«, gab Wong zurück.»Für das kann Sie nicht klagen.« »Kann ich wohl. Ich nehme amerikanischenFreund. In Amerika kann man wegen all und jedem klagen.« Wong dachte kurzdarüber nach und fand, dass er Recht habe. Er zog sich in hilfloses Schweigenzurück. Winnie warf die Handtasche auf ihren Stuhl und verschwand, um denersten Job des Tages zu erledigen: fünf Minuten lang in der Toilette ihrMake-up zu überprüfen - eine unnötige Mühe, da sie fast den ganzen Tag damitzubrachte, es in allen möglichen Stilvarianten neu aufzulegen. Als siehinausging, knallte sie wieder mit der Tür. Der leere Wasserkühler ratterte.Wong schloss sein Notizbuch und legte es in die Schublade. Heute Vormittagwürde er kaum noch weiterschreiben können.
© 2004 by Unionsverlag, Zürich
Übersetzung: Ursula Ballin
- Autor: Nury Vittachi
- 2004, 4. Aufl., 256 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ursula Ballin
- Verlag: UNIONSVERLAG
- ISBN-10: 3293202942
- ISBN-13: 9783293202948
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Der Fengshui-Detektiv und der Geistheiler".
Kommentar verfassen